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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. November 2005; 19:43
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Frankreich:

> Was man nicht alles fuer schoene Dinge mit einem Ausnahmezustand machen
> kann...

Der Ausnahmezustand in Frankreich gilt fuer weitere drei Monate. Die
franzoesische Nationalversammlung hat ltzte Woche mit den Stimmen der
konservativen UMP und der christdemokratischen UDF ihre Zustimmung erteilt.
Die Linke stimmte dagegen. Eine Woche davor hatte das Regierungskabinett
unter Premierminister Dominique de Villepin ein Gesetz von 1955 wieder in
Kraft gesetzt. Das stammt aus der Zeit des Algerienkrieges und erlaubt die
Verhaengung des Ausnahmezustands per Regierungsdekret fuer zwoelf Tage,
danach muss das Parlament zustimmen. Das ist nunmehr geschehen.

Das Gesetz erlaubt es den Prae-fekten, also den juristischen Vertreterinnen
des Zentralstaates in den Departementen, Ausgangssperren ueber bestimmte
Oertlichkeiten und Zonen zu verhaengen. Es erlaubt aber auch, bestimmte
Personen, die «die oeffentliche Ordnung gefaehrden» koennten, praeventiv
unter Hausarrest zu stellen oder zu internieren. Auch ist mit dem Gesetz die
Anwendung von Pressezensur und die Schliessung von Versammlungslokalen
moeglich. Bisher haben nur die Praefekten von 5 der 26 von den Krawallen
betroffenen Departementen oertliche Ausgangssperren angeordnet. Im Grossraum
Paris, wo die Unruhen ohnehin seit einer Woche abflauen, wurde so gut wie
nicht davon Gebrauch gemacht.

Mit den Ausgangssperren angefangen hatte es vorvorige Woche im
nordfranzoesischen Amiens. Dort war es zwar im Zuge der Unruhen weitgehend
ruhig geblieben, aber als Buergermeister amtiert der Christdemokrat Gilles
de Robien, der zugleich als Bildungsminister im Pariser Kabinett sitzt.
Zudem gilt der dortige Praefekt Michel Sa-pin als uebereifrig. Es folgten
Ausgangsverbote in mehreren Staedten der Normandie wie Le Havre, Rou-en und
Evreux, wo es nur zu wenigen Jugendkrawallen gekommen war. Evreux wird von
Oberbuergermeister Jean-Louis Debre regiert, der ab 1995 Innenminister der
konservativen Regierung von Alain Juppe gewesen war. In seiner Stadt wurde
gleich ein ganzes Viertel, das Quartier de la Madeleine mit 18 000
Einwohnerinnen, eine Woche lang jeweils ab 22 Uhr mit Sperrgittern
abgeriegelt und bis 5 Uhr frueh quasi unter Quarantaene gestellt.
Gendarmerieeinheiten an den Ein- und Ausgaengen der Siedlung sorgten dafuer,
dass nur hineinoder hinauskonnte, wer «familiaere, medizinische oder
berufliche Notfaelle» nachweisen konnte.

Gar keinen Zusammenhang mit den Unruhen hat die Anwendung des
Notstandgesetzes im Departement von Alpes-Maritimes. In bisher 21 Staedten
dieses suedlichen Regierungsbezirkes, darunter Nizza, Cannes und Antibes,
wurden Ausgangssperren verhaengt. Das Ziel war hier ganz offensichtlich, das
oertliche Buergertum zu beruhigen - aber auch, politische Fakten zu
schaffen. Nizza diente in der Vergangenheit bereits mehrfach als
Versuchslabor fuer besonders reaktionaere Politikmodelle. Der Buergermeister
der Stadt ist seit 1995 Jacques Pevrat. Bis kurz vor seiner Wahl hatte er
fast zwanzig Jahre lang dem rechtsextremen Front National angehoert. Nach
seiner Wahl erliess Peyrat als einer der ersten franzoesischen
Buergermeister ein Stadtverbot fuer «Vagabunden». Der Beschluss wurde damals
durch ein Verwaltungsgcricht annulliert. 2002 schuf jedoch Innenminister
Nicolas Sarkozy ein Gesetz zur «inneren Sicherheit», das es der Polizei
erlaubt, Bettelverbote auszusprechen.

Die politische Atmosphaere ist derzeit fuer die politische Rechte guenstig.
Sie holt alle moeglichen Vorhaben aus der Schublade, von denen sie laengst
traeumte. So entbrannten Anfang der Woche erneut Debatten ueber die alte
Forderung, Eltern aus «sozial schwachen» Familien die Kindergeld- und
Sozialleistungen zu entziehen, wenn sie ihre Kinder nicht kontrollieren
koennen. Der konservative Buergermeister der Pariser Trabantenstadt Draveil,
Georges Tron, hat diese Form von Sippenhaft bereits umgesetzt: Er streicht
jenen Familien die Sozialleistungen - etwa Beihilfen fuer die
Stromrechnungen -, deren Soehne infolge der Unruhen verurteilt wurden.
Innenminister Sarkozy hat seinerseits angekuendigt, an den Unruhen
beteiligte Auslaenderinnen abzuschieben. Rasch wurde die Rueckkehr der
«Doppelstrafe» kritisiert: Minister Sarkozy selbst hatte im Jahr 2003 die so
genannte «double peine» weitgehend abgeschafft. Zuvor konnten, wie in der
Schweiz, gerichtlich verurteilte Auslaenderinnen nach derVerbues-sung ihrer
Strafe abgeschoben werden. Diese Doppelstrafe war seit langem durch
Menschenrechts-gruppen als diskriminierend kritisiert worden. Sarkozy gelang
es damals, sich als einer in Szene zu setzen, der «hart, aber gerecht»
handelt. Jetzt zitiert die Zeitung «Le Monde» Berater des Ministers mit dem
Argument, es gehe gar nicht darum, die Doppelstrafe wieder einzufuehren.
Diese wuerde strafrechtlich verurteilte Auslaender betreffen. Tatsaechlich
plane man jedoch, an den Unruhen beteiligte Auslaenderinnen auch ohne Urteil
abzuschieben. (Bernhard Schmid, WoZ 46/05 /bearb.)


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