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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Oktober 2005; 17:11
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Polen:

Nachstehender Text wurde vor den Praesidentschaftswahlen am vergangenen
Sonntag geschrieben. Nachdem diese Wahlen aber bekanntlich keinen wirklichen
Ausgang hatten (die Kandidaten Tusk und Kaczynski erhielten fast gleich
wenig Stimmen -- jeweils etwa ein Drittel -- bei mickrigster
Wahlbeteiligung) und es somit zu einem zweiten Wahlgang kommen muss, ist der
Text aber noch immer ziemlich aktuell:

> Megasoziale Moralisten

Wenn es in Polen hart auf hart geht, werden auch die Juenger Christi aktiv.
Wenige Tage vor der Praesidentenwahl laesst der erzkatholische Sender Radio
Maryja nichts unversucht, um die Hoererinnen zur Stimmabgabe fuer den einzig
richtigen Mann zu bewegen: den 56-jaehrigen Law-and-Order-Politiker Lech
Kaczynski. Gemeinsani mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw, der kuerzlich die
Parlamentswahl gewann, will Lech Kaczynski das Projekt einer «vierten
polnischen Republik» in die Tat umsetzen; Er will eine moralische Erneuerung
Polens einleiten, selbstverstaendlich auf Grundlage traditionell
katholischer Werte. Sozial und gerecht soll diese neue Republik sein. Und
zugleich unnachgiebig hart all jenen gegenueber, die das verdienen;
Kriminellen, Finanzbetruegern, korrupten Beamten und, wenn sie ihre
Neigungen offen zeigen, auch Homosexuellen.

Um Kaczynski den Sieg und die Umsetzung seines Programms zu ermoeglichen,
sendete Radio Maryja daher einen ungewoehnlichen Appell. Darin wurde Maciej
Giertych zum Rueckzug aufgefordert - ausgerechnet jener Kandidat, den Radio
Maryja bislang im Rennen um die Praesidentschaft unterstuetzt hatte. «Wer
edel ist und das Wohl Polens im Sinne hat, sollte zuruecktreten und sich
fuer Lech Kaczynski einsetzen. Nur das kann Polen noch retten», hiess es in
dem Appell. Ueberdeutlich haben die Patres von Radio Maryja dem
Forstwirtschaftsprofessor Gierlych signalisiert, dass sie seiner
ultrarechten Liga der Polnischen Familien jegliche weitere mediale
Unterstuetzung entziehen, sollte er den Weg fuer Kaczynski nicht freimachen.
Der Sender erreicht Tag fuer Tag an die fuenf Millionen der fast 39
Millionen Polinnen.

Dass Pater Rydzyk, der Chef von Radio Maryja, sich auf die Seite des
Rechtspopulisten Kaczynski schlaegt, waere fuer sich allein noch nicht
ungewoehnlich, schliesslich ist Rydzyk selber einer. Auffallend an der
aktuellen Kampagne von Radio Maryja ist etwas anderes: Der Sender wettert
einmal weder gegen postkommunistische Usurpatoren noch gegen juedische
Bankiers. Diesmal zieht Rydzyk in einen Bruderkampf und erklaert
ausgerechnet einen gestandenen Rechten zum Hauptfeind: den Neoliberalen
Donald Tusk, der als Kaczynskis groesster Konkurrent im Kampf um die
Praesidentschaft gilt. Damit zeichnet Rydzyk exakt die Trennlinie nach, die
auch Kaczynski zwischen sich und Tusk ziehen moechte: hier der wirtschafts-
und Bruessel-hoerige Kapitalistenknecht Tusk, dort der sozial empfindliche
nationale Katholik Kaczynski.

Retter der Armen?

Wie die Stichwahl am 23. Oktober ausgeht, ist offen. Obwohl die
Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit im Parlament bereits eine Koalition
mit der neoliberalen Buergerplattform von Tusk vorbereitet, gibt Kaczynski
zur Zeit in der Oeffentlichkeit den radikalen Kritiker des Neoliberalismus.
«Rechte Politik muss nicht unsozial sein», sagte er im Wahlkampf. Mit
derselben Masche hat Bruder Jaroslaw schon die Parlamentswahl gewonnen.

Dass die Kaczynski-Zwillinge so leicht in die Rolle der Verteidiger aller
sozial Schwachen schluepfen konnten, liegt nicht zuletzt am desastroesen
Zustand der polnischen Linken. Das postkommunistisehe Buendnis der
Demokratischen Linken ist nach vier Jahren Regierung und unzaehligen
Korruptionsaffaeren nur noch mit sich selbst beschaeftigt. Mehr als die
Stammwaehler-Innen vermag es zur Zeit nicht zu mobilisieren. Und auch
Praesidenschaftskandidat Marek Borowski von der sozialdemokratischen
Konkurrenz ist nicht glaubwuerdig.

Dass Lech Kaczynski alles daran setzt, die «verwaisten» linken WaehlerInnen
auf seine Seite zu ziehen, ist nahe liegend. Bis zur Stichwahl wird es daher
bei dem skurrilen Etikettenschwindel bleiben: ein Rechter als Kaempfer gegen
die Haerten der Marktwirtschaft. Dann aber schlaegt die Stunde der Wahrheit.
Denn das Mindeste, was die WaehlerInnen nach der megasozialen Wahlkampagne
der Zwillinge erwarten, ist, dass sie dem neoliberalen Programm der
Buergerplattform die groebsten Kanten abschleifen. Die Frage ist nur: Werden
die pausbackigen Zwillinge das auch tun?
(Piotr Dobrowolski, WoZ 40/05 / aktualisiert.)

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