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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Oktober 2005; 18:18
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Kino/Fast eine Rezension:

> Mehr an- als aufregend

Abschweifende Gedanken beim Betrachten eines Films ueber ein wohlbekanntes
Uebel

Artikel 7 -- unser Recht!
A/SLO 2005, 83 Min., deutsch/slowenisch mit dt. UT
Film von Thomas Korschil und Eva Simmler


"Oesterreich ist ein Rechtsstaat und besteht aus 8 Bundeslaendern. Die
Bestimmungen dieser Bundesverfassung finden auf den Freistaat Kaernten keine
Anwendung." Wenn man jetzt doch einmal die oesterreichische Bundesverfassung
neu fassen wollte, waere dies eine ehrliche Praeambel -- denn real ist sie
ja schon laengst gueltig.

Solche Gedanken kommen einem, wenn man die Dokumentation "Artikel 7 -- unser
Recht" sieht. Zugegeben, fuer eingefleischte Kaernten-Hasser bringt der Film
nichts Neues. Es ist der altbekannte Missstand: Da gibt es eine
voelkerrechtliche Verpflichtung, die Minderheiten zu schuetzen (eben jenen
Art.7 im Staatsvertrag von Wien), da gibt es ein Volksgruppengesetz von 1976
und da gibt es ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, wie diese beiden
Rechtswerke konkret in Anwendung zu bringen sind. Einerseits. Und
andererseits gibt es da einen Landeshauptmann, der in unbezweifelbarem
Rechtsbruch verharrt, von einer chianti-seligen Landes-SPOe akzeptiert und
von einer schwarzblauorangen Bundesregierung nicht gestoert.

Was der Film aber sehr schoen zeigt, ist die Kontinuitaet in diesen Dingen:
Von dem ersten ernsthaften Aufmucken junger Kaerntner Slowenen 1970 gegen
die Unterdrueckung des Slowenischen ueber den Ortstafelsturm unter
wohlwollenden Blicken der Gendarmerie bis in die Jetztzeit.

Da gibt es Fernsehbilder, zwischen denen liegen 30 Jahre und doch gleichen
sie sich sehr. Sicher: Der ORF berichtet nicht mehr voellig unkritisch 4
Stunden lang von den Volksabstimmungsfeierlichkeiten, wie er es anlaesslich
des 50.Jahrestages getan hat. Aber auf der Tribuene das gleiche Bild 1970
wie 2000: Der Bundespraesident und fast die gesamte Bundesregierung schauen
dem Treiben eines nationalistischen Folklorezugs zu und feiern damit auch
den Kaerntner Heimatdienst -- desinteressiert an der Formulierung des
fuenften Absatzes des Art.7 des heuer ja mit viel Brimborium gefeierten
Staatsvertrages: "Die Taetigkeit von Organisationen, die darauf abzielen,
der kroatischen oder slowenischen Bevoelkerung ihre Eigenschaft und ihre
Rechte als Minderheit zu nehmen, ist zu verbieten." Kein Wunder, waere nach
dieser Bestimmung ja wohl auch das BZOe zu verbieten, dessen Vorsitzender
nach wie vor die Angst vor der "Slowenisierung" Kaerntens schuert.

Aber warum diese ganze Aufregung? Vor Jahren bin ich mal durch
Bleiberg/Pliberk gekommen. Und tatsaechlich dort ist man wirklich in
Bleiberg/Pliberk und nicht einfach in Bleiberg. Auf der Strasse nicht diese
staendige Verdraengungssucht, sondern ohne irgendwelche Probleme wurde da
wild durcheinander deutsch und slowenisch gesprochen und man hatte den
Eindruck, als fiele den Menschen gar nicht auf, dass sie staendig die
Sprache wechselten -- haette ich nichts ueber Kaernten gewusst und nur
dieses Szenerie erlebt, haette ich das Land glatt fuer ein Musterbeispiel an
konfliktfreier Zweisprachigkeit halten koennen -- es geht also doch, wo
liegt das Problem?

Und vor allem: Warum diese Panik vor ein paar Ortstafeln, die doch niemanden
schaden duerften? Oft gewinnt man den Eindruck, dass der Konflikt eigentlich
eh nur um diese sichtbaren Zeichen einer Minderheit geht -- die
Schulzweisprachigkeit oder die slowenische Amtssprache, also viel konkretere
Dinge, scheinen weitaus unwichtiger und leichter ausverhandelbar zu sein,
als die symbolhaft so aufgeladenen Ortstafeln. Es geht also hauptsaechlich
um fuer Einheimische wie Durchreisende sichtbare Symbole der slowenischen
Praesenz. Wieso sind die so wichtig?

Ein Satz des KP-Minderheitensprechers Mirko Messner im Film bringt einen da
auf die Spur: Bei all diesen Volksabstimmungs-Feierlichkeiten werde "das
gefeiert, was nicht gefeiert werden darf: der Nationalsozialismus".

Es geht heute wohl nicht mehr darum, dass man Angst habe, ploetzlich nicht
mehr zum deutschen Kulturkreis (was immer das auch sein mag) zu gehoeren, es
geht um Geschichte -- denn der Widerstand gegen die Nazis war nunmal in
Kaernten grossteils von den Slowenen getragen.

Oder noch weiter zurueck: Das Grenzland Kaernten war 1918/19 hin- und
hergerissen zwischen einer Zugehoerigkeit zu Oesterreich oder dem
Koenigreich Jugoslawien. Schliesslich bildeten sich nach dem Zerfall der
Monarchie ueberall Nationalstaaten. Eine starke slowenische Volksgruppe
(Minderheit war damals wohl der falsche Ausdruck) war einfach ein Argument
fuer Jugoslawien -- auch wenn gar nicht mal soviele Slowenen Kaernten dort
sehen wollten. Dann kam die Proklamation Oesterreichs als Teil des Deutschen
Reiches -- wenn Kaernten im neuen grossen Nationalstaat mit von der Partie
sein wollte, durfte es nicht in den Geruch kommen, nicht deutsch zu sein.
Also wurde den Kindern eingeblaeut, nicht slowenisch zu sprechen.

St.Germain machte mit Grossdeutschland vorerst mal Schluss. Doch keine 2
Jahrzehnte spaeter kamen die Nazis und der Gedanken "Grossdeutschland" wurde
wieder aktuell -- dass sich die Slowenen gegen diesen jetzt noch viel
staerkeren Ausrottungs- resp. Vertreibungsdruck zu wehren begannen, ist auch
kein Wunder.

Und nach dem Krieg haette das schlechte Gewissen der Deutschkaerntner kommen
muessen. Aber wie das so ist, mit dem schlechten Gewissen: Man kann es gut
damit vertreiben, indem man sich einredet, dass man eh immer recht gehabt
hat und ergo kein schlechtes Gewissen zu haben braucht.

Soweit die Deutschkaerntner. Doch viele Slowenen waren da kaum besser: Dank
der erzwungenen Anpassung wurden sie zu 150%igen Deutschen. Ich erinnere
mich noch gut an die Grossmutter eines Freundes, die ich in Kaernten traf,
um mit diesem zu einer Radtour ueber die Karawanken aufzubrechen.
Grossmutter riet uns dringend davon ab, "zu den Slowenen" zu fahren, denn
bei denen wisse man ja nie so genau, was die so machen -- fast unnoetig zu
erwaehnen, dass ihre Muttersprache nicht deutsch war, dass sie sich aber
seit Jahrzehnten des Slowenischen nicht mehr bedient hatte.

Der Rezensent bemerkt gerade, dass er sich immer weiter vom Inhalt des Films
entfernt. Aber vielleicht kann man mit den Gedanken, die ein Film erzeugt,
auch etwas ueber diesen Film sagen und damit bleibe ich beim gedanklichen
Flanieren.

Meine Gedanken gehen heim nach Wien, als ich in diesem Film hoere, wie der
1921 geborene Kaerntner Schriftsteller Janko Messner seinen Schullehrer
zitiert. "Slowenisch ist schiach, deutsch ist schoen." Meine Assoziation war
eine eigenartige, weit weg vom Thema: "Sprich schoen!" Das hatte ich doch
auch in Wien in der Schule gehoert. Gemeint war damit, dass man Hochdeutsch
zu sprechen habe, und nicht dieses haessliche Wienerisch -- ja, Wienerisch
ist nun wirklich keine unterdrueckte Sprache. Und dennoch: Es hat etwas von
der Erziehung zu Anpassung und Biederlichkeit -- und zwar in "bester
Absicht", schliesslich sorgt man sich ja um das Wohl des Kindes und wenn
dieses nicht die Normsprache spricht, so wird es zum "Proleten". Etwas was
in Wien fast so schlimm ist wie in Kaernten ein "Windischer" zu sein.
Vielleicht bin ich also gar nicht so weit weg vom Thema.

Und noch eine Assoziation zu Wien: Waehrend in Kaernten in hoechsten Kreisen
gegen die Slowenen gehetzt wird, affichiert hier ein ehemaliger
Parteikamerad dieser Kreise Wahlplakate gegen Minderheiten, dass man sich
schon fragen muss, was uns vom Kaerntner Klima unterscheidet. Sicher, ein
Herr Strache wird in hundert Jahren hier nicht Landeshauptmann, aber allein
die Tatsache, dass er glauben kann, mit derart minderheitenfeindlichen
Plakaten Stimmen fangen zu koennen, sagt viel ueber die Wiener aus. Viel
besser als die Kaerntner sind wier also wohl auch nicht.

Wie gesagt, der Rezensent erzaehlt hier nicht viel ueber den Film. Der
Grossteil seiner Notizen ueber den Inhalt -- beispielsweise ueber die
anfangs teilweise mutige, spaeter nur noch resignierte Haltung Bruno
Kreiskys -- bleibt unberuecksichtigt. Aber obwohl dieser Film ein Thema
behandelt, das nun wirklich schon zur Genuege beleuchtet worden ist, regt
"Artikel 7 - unser Recht" doch noch zum Nachdenken an.

Wohl nicht das Schlechteste was man ueber einen Film sagen kann.
*Bernhard Redl*

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Der Film laeuft in Wien noch zumindestens bis 13.10.2005 im TOP-Kino



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