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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. September 2005; 15:26
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Kino/Rezension:

> Was alles moeglich ist

Operation Spring
Idee, Buch, Regie: Angelika Schuster, Tristan Sindelgruber
Oesterreich 2005, 92 Minuten
Deutsch/Englisch mit deutschen Untertiteln

"Operation Spring" -- die Geschichte von der Verhaftung von ueber 100
schwarzafrikanischen Menschen unter dem Verdacht der Drogendealerschaft am
27.Mai 1999 und die nachfolgende Razzia im Heim in der Zohmanngasse im
September desselben Jahres kann als bekannt vorausgesetzt werden.
Dementsprechend geht auch der Film nur relativ kurz auf diese, mittlerweile
als "zeithistorisch" anzusehenden Geschehnisse ein. Auch die zeitliche Naehe
zum Skandal um den Tod von Marcus Omofuma am 1.Mai 1999 sowie die Tatsache,
dass sich unter den Verhafteten eine ganze Reihe derjenigen befanden, die
sich in der daraus entstehenden Protestbewegung stark gemacht hatten, wird
zwar erwaehnt, ist aber nicht eigentlich Thema des Films. Denn wenn die
Polizei tatsaechlich eine Revancheaktion gestartet hat, um sich an den
Aktivisten zu raechen und Omofuma endgueltig als Drogenkriminellen zu
desavouieren, "um den eh net schad ist", so waere das zwar ein handfester
Skandal, aber wohl nur fuer diejenigen, denen die Polizei als Staat im Staat
mit seinen eigenen, von demokratischen Vorstellungen wenig beeinflussten
Gesetzen bislang als rechtsstaatlich einwandfreie Institution erschienen
ist.

Auch auf die im engeren Sinne politische Ebene, also vor allem der als
Minister verkleidete, damalige Pressesprecher der Polizei, Karl Schloegl,
wird nicht sonderlich kritisiert -- wer sich von Polizeiministern etwas
anderes erwartet, ist nun wirklich ein bisserl zu naiv fuer diesen Film.

Die vierte Gewalt

Nein, worum es geht, ist, dass auch die Medien, der Gesetzgeber und vor
allem die Justiz derart versagt haben. Punkt eins: Die Medien. In ihrer Not,
tagesaktuell sein zu wollen, uebernehmen alle unwidersprochen den
Polizeibericht so, als handle es sich dabei um eine objektive Quelle --
klar, denn eine entsprechend fundierte Kritik ist so schnell nicht zu haben,
schliesslich liegen die Informationen ueber die Aktion alle bei der Polizei.
Selbst wenn kritische Stimmen aus dem etablierten Bereich der Gesellschaft
existieren, koennen die in dem ganzen Chaos nunmal nicht binnen weniger
Stunden detaillierte Gegendarstellungen aus dem Aermel schuetteln. Das
passiert erst nachher, Woche, Monate, manchmal Jahre nach dem Geschehenen --
doch dann ist die mediale Aufmerksamkeit laengst verpufft und auch keinen
Aufmacher mehr wert. Die Antwort auf diese journalistische Misere waere eine
Zurueckhaltung bei der Reportierung -- oder besser: Apportierung -- von
Polizeiberichten; was sich auch Blaetter wie "Der Standard" nicht zu leisten
trauen, wollen sie als Tagesmedien ernstgenommen werden.

Punkt zwei: Der Gesetzgeber. Die Polizei wollte den grossen Lauschangriff.
Der Minister -- damals noch der ach so liberale Caspar Einem -- musste ihn
daher auch wollen. Und das Parlament beschloss ihn, ohne sich gross Gedanken
darueber zu machen. Denn "Operation Spring" bewies, dass diese
Ueberwachungsmethoden nicht nur sehr bedenklich sind, was die Verletzung der
Intimsphaere angeht, sondern dass massenhafte Telefonueberwachung plus
Wanzen plus versteckte Videokameras eine Fuelle von Informationen liefern,
die serioes nicht mehr handhabbar sind -- die Folge ist aber nicht ein
Zusammenbruch des Systems, sondern eine "Aufarbeitung" durch die Polizei.
Die Gerichte bekommen dann nur mehr schriftliche Exzerpte -- um einen
reibungslosen Ablauf des Verfahrens und unnoetige Widersprueche zu
ermoeglichen. Diese Folgen haetten aber dem Gesetzgeber bekannt sein
muessen -- nur hat es ihn wohl nicht interessiert.

Justizia -- nicht blind, aber taub

Punkt drei: Die Justiz. Und da wirds wirklich ungustioes. Denn die meisten
Richter akzeptierten das, was ihnen da die Polizei vorlegte, wie halt so
ueblich, ohne nachzufragen. Die Justiz ist in unserem Land bekanntlich
voellig ueberlastet und muss sich auf das, was die Polizei so anbringt,
verlassen. Und unsere Richter tun das auch sehr gerne, denn sonst geht ja
nichts weiter und schliesslich ist die Polizei ja nicht einfach Partei,
sondern eine unbefangene Behoerde. Genau da liegt aber der Hund begraben --
denn waehrend Oesterreichs Justiz in anderen Fragen durchaus als zumindest
einigermassen serioes angesehen werden kann, ist sie im Bereich der
Strafjustiz hoffnungslos mit Staatsanwaltschaft und Polizei verbandelt. Die
Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft ist es aber nunmal, mutmassliche
Taeter vor Gericht zu bringen -- der vorsitzende Richter im Hauptverfahren
hat diese Beweise kritisch zu pruefen und im Zweifel (alleine oder mit
Schoeffen- resp. Gerschworenensenat) als nicht ausreichend zu erklaeren.
Unsere Strafjustiz nimmt aber das Material der Polizei und vor allem deren
Aufarbeitung als bare Muenze -- als waeren unsere Polizisten mit Columbo zu
vergleichen, der vorurteilsfrei, aber mit hundertprozentiger Sicherheit
immer den richtigen Verdaechtigen verfolgt und dann unwiderlegbare Beweise
vorlegt.

Dementsprechend sind diese Verfahren verlaufen. In fast allen Prozessen
weigerten sich die Richter, die Originalunterlagen anzufordern. Erst im
Laufe der Instanzen kam es dann doch zu einigen Verfahren, wo die
Originalvideos gezeigt wurden -- verwaschene, schlecht belichtete
Schwarzweissaufnahmen aus der Vogelperspektive, bei denen nun wirklich beim
besten Willen niemand eindeutig identifiziert werden konnte. Es kam in
diesen spaeteren Verfahren auch heraus, dass die Uebersetzung der Videos und
sogar die Identifikationen der Personen zumeist von einem Dolmetsch gemacht
worden waren, der nicht vereidigt war, grob fehlerhaft uebersetzte und
Funktionaer der nigerianischen Regierungspartei war -- also nicht unbedingt
ein Freund von gefluechteten Regimkritikern.

Als diese Dinge bekannt wurden, waren aber schon fast alle anderen
Verurteilungen rechtskraeftig -- zu Wiederaufnahmen kam es bislang deswegen
natuerlich so gut wie nicht.

Auch die beruechtigten "Anonymisierten Zeugen", die sich im nachhinein, wie
der Film beweist, schlicht als vorher praeparierte Beschuldigte
herausstellten, waren wichtige Grundlagen fuer die Urteile -- und auch
genauso serioes. Denn im Nachhinein deanonymisierte sich ein Zeuge (Codename
"AZ 3000") selbst: "AZ 3000", rechtskraeftig zu 3 Jahren Haft verurteilt,
stellte sich ohne Maske und mit vollem Namen vor laufender Kamera vor: "Ich
will mein Gewissen erleichtern" sagt er "und nicht mehr luegen". Als er den
Polizisten gesagt haette, dass er nicht mehr erfundene Geschichten erzaehlen
wollte, haetten diese gemeint, dann werde wohl sein Verfahren wieder
aufgenommen und er zu einer hoeheren Strafe verurteilt. "Die Polizei
erzaehlt mir, dass der Oberste Gerichtshof dieses Urteil aufheben kann und
ich diesmal 13 Jahre bekommen."

Natuerlich wussten das die Richter zum Zeitpunkt ihrer Sprueche noch nicht.
Aber sie haetten es ahnen koennen -- speziell der beruechtigte "AZ 1" konnte
nicht so einfach als glaubwuerdig angesehen werden. Und einer der Richter
gesteht ein: "Es war schon etwas verwunderlich, dass er ueber jeden etwas
gewusst hat." und schwaecht gleich darauf wieder ab: "Aber es wird schon so
gewesen sein." Muss es wohl, denn es kann ja wohl nicht sein, was nicht sein
darf, und zumindest darf man nicht zugeben, dass es an Sorgfaltspflicht
gemangelt haben koennte.

Wobei AZ 1 auch allein wegen seiner Aussagen doch genauer unter die Lupe
genommen werden haette koennen. Ute Bock, Leiterin des Heims in der
Zohmanngasse, das bei Operation Spring II heimgesucht worden war: "Der hat
ja auch mich beschuldigt." Was aber dann doch nicht weiter verfolgt wurde --
waere sicher ein spannender Prozess geworden...

Der Film in seiner Gesamtheit ist sehr sehenswert. Jedoch sollte man vorher
nichts gegessen haben, denn passagenweise ist er in einer subtilen Art
grauslicher als so manches Splattermovie. Auch geht ihm erfreulicherweise
die manchmal penetrante Art eines Michael Moore ab, der die Dinge immer ein
wenig zu sehr "auf lustig" abhandelt. Trocken werden Fakten und
Zeugenaussagen aneinandergereiht und so manch einem abgehaerteten Linken
wird dabei wohl uebel und er wird sich das denken, was auch Ute Bock im Film
meint: "Ich haette nicht geglaubt, dass so etwas bei uns moeglich ist!"

Das Filmplakat zeigt die oesterreichische Justizia, wie sie ueber der Treppe
des Justizpalastes throhnt. Diese Treppe muessen die Beschuldigten in ihrem
Verfahren vor dem Oberlandesgericht demuetig hinaufsteigen. Die dort
dargestellte Justizia hat keine Augenbinde, sondern schaut sich genau an,
wer da kommt. Sie steht nicht aufrecht, sondern sie sitzt erhoeht und
bequem. In der linken Hand haelt sie statt der Waage, um die Beweise
abzuwaegen, ein Gesetzbuch -- vielleicht ist es aber auch ein Akt.

Von der ueblichen Vorstellung der mythologischen Figur wurde nur das
uebernommen, was sie in der rechten Hand traegt: Das Schwert.
*Bernhard Redl*

"Operation Spring" startet am 23. 9. und laeuft bis 14.10. im Stadtkino,
danach noch bis Ende Oktober im Filmhaus am Spittelberg, und ab 23.9. auch
im Grazer Augartenkino Kiz.

--

Ebenfalls demnaechst im Kino:

"Artikel 7 - Unser Recht!"
Ueber den Kampf der Kaerntner Slowenen um Anerkennung
Dokumentarfilm, A/SLO 2005
Regie: Thomas Korschil und Eva Simmler
Kinostart 29. September 2005.



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