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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. September 2005; 13:30
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Kommentare der Anderen/Deutschland:

> Wie links?

Gut, das es ein paar aktive Rentner gibt, Leute wie Paul Kirchhof, Heinrich
von Pierer oder Oskar Lafontaine. Denn nur sie sorgen fuer etwas Schwung in
diesem Wahlkampf. Kirchhof zum Beispiel, ein frueherer Verfassungsrichtcr,
den die CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel in ihr «Kompetenzteam» holte,
hat es im Handumdrehen geschafft, die Union aufzumischen, Die hitzige
Debatte ueber seinen Einheitssteuerplan hat den Wahlkampf der CDU voellig
aus dem Tritt gebracht. Das haette kein Gegner so schoen hingekriegt. Von
Pierer wiederum darf miterleben, wie seine Fehlleistungen als Chef des
Eiektrokonzerns Siemens breitgewalzt werden. Denn Merkel hat das
CSU-Mitglied von Pierer, das frueher auch schon mal Kanzler Gerhard
Schroeder zur Seite stand, zu ihrem wirtschaftspolitischen Berater ernannt.
Unter ihm hat das Unternehmen gut 75 000 Arbeitsplaetze abgebaut und
ausgelagert, den Gewinn vervierfacht und allerlei Pannen produziert -- vom
desastroesen Mautsystem Tollcollect ueber miserabel fabrizierte Zuege, Bahn-
und Strassenbahnsysteme («Combino») bis hin zur Pleite im Handybereich.
Bevor von Pierer diese Sparte an eine taiwanesische Firma verhoekerte, hatte
er noch dafuer gesorgt, dass die Belegschaften eine unbezahlte Mehrarbeit
von fuenf Stunden in der Woche akzeptierten, um ihre Jobs zu retten. Dieser
Mann also soll kuenftig zeigen, wie Deutschland zu retten ist.

Der "Luxuslinke"

Und dann ist da natuerlich Lafontaine, ohne den die Medien fast nichts zu
berichten haetten. Immer nur Merkel hier und Schroeder dort, dazu die
Luftballons, die in die Hoehe gehaltenen Plakate, die rhetorischen Blasen --
das ermuedet auf Dauer sogar die ReporterInnen. Da stuerzt man sich doch
lieber auf Lafontaine, der Rot-Gruen als «Mitte-rechts-Regierung»
bezeichnet, hoehere Loehne fordert, vor den Konsequenzen zu vieler
Billigjobs warnt, die Ruecknahme der letzten Sozialgesetze verlangt und fuer
sich selber (als Besserverdienenden) hoehere Steuern fordert. Und wenn er
nicht genug Reibungsflaeche bietet, erfindet man halt Geschichten.

Wie die von den «Luxuslinken». Vorletzte Woche fragte «Bild am Sonntag»
(BamS) den mit der Billigfluggesellschaft Air Berlin in den Urlaub gereisten
Lafontaine, ob er nicht zu einem Leserforum kurz zurueck nach Deutschland
fliegen koenne. Eine Lafontaine-Mitarbeiterin suchte nach einer
Linienmaschine, fand aber keinen Flug, der ihn in die Naehe des
Diskussionsorts transportiert haette. Und fragte daher an, ob BamS eventuell
einen Privatjet schicken koennte.

Prompt empoerte sich das BamS-Schwesterblatt «Bild» ueber die Luxuswuensche
des Linken. Weitere Zeitungen griffen das Thema auf und schon lief eine
Kampagne, die so manche potenzielle Waehlerinnen der neu entstandenen
Linkspartei verunsicherte. Darf ein Linker Geld haben, fragten sich viele,
die nicht wissen,wie reich Friedrich Engels und August Bebel, der
Mitbegruender der SPD, gewesen waren - und die wahrscheinlich ueber das
Gehalt des Springer-Chefs Mathias Doepfner staunen wuerden.

Bereits 2002 versuchten viele, die PDS ins Abseits zu schreiben. Damals war
die auf den Osten beschraenkte PDS kein grosser Gegner, die Linkspartei ist
es heute schon. Schliesslich agieren in ihr nicht nur ehemalige
DDR-StaatssozialistInnen, sondern auch SozialdemokratInnnen, die die SPD
wegen Schroeders Kurs verlassen haben, und viele aktive GewerkschafterInnen.
Sie hat ein Programm, das nicht nur, aber vor allem das untere Drittel der
Gesellschaft anspricht. So scheint es nur logisch, dass sie ins Schussfeld
jener geraet, die dem oberen Drittel dienen. Dennoch liegt sie weiter bei
zehn Prozent, ein Drittel der WaehlerInnen ist zwei Wochen vor der Wahl noch
unentschieden.

Allerdings hat es die Linkspartei -und das war wohl der groesstc
Geburtsfehler beim Zusammenschluss der westdeutschen Wahlalternative fuer
Arbeit und soziale Gerechtigkeit WASG und der ostdeutschen PDS -- den
Kritikerinnen aus den rechten Grossverlagen ziemlich einfach gemacht: Sie
setzt ganz auf die Medien stars Lafontaine und Gysi.

Mehr muss her

Diese sind in der oeffentlichen Wahrnehmung die neue Linkspartei, und nicht
Leute wie beispielsweise der parteilose Voelkerrechtler Norman Paech, der im
Wahlkampf -- anders als Lafontaine -- auch mal sagt: «Links ist, wo niemand
fremd ist» (er kandidiert in Hamburg und koennte demnaechst dem Bundestag
angehoeren), aber auch basisorientierte Aktivistinnen wie das Attac-Mitglied
Heike Haensel und die Gewerkschafterin Karin Binder (beide treten in
Baden-Wuerttemberg an und werden wohl gewaehlt) oder der renommierte linke
Oekonom Joerg Huffschmid. Von ihnen wird es abhaengen, ob die Partei zu
einer gesellschaftsveraendernden Kraft wird und demnaechst mehr zu bieten
hat, als eine Rueckkehr in eine Zeit, in der keynesianische Finanz- und
Wirtschaftspolitik noch akzeptiert war, Vermoegen besteuert wurden, Loehne
ueber der Inflationsrate lagen, niemand von Hartz IV sprach und
Kriegseinsaetze der Bundeswehr undenkbar waren. Das nun verabschiedete
Programm enthaelt durchweg vernuenftige Forderungen nach einem Mindestlohn
in Hoehe von 1350 Euro brutto zum Beispiel oder nach einem von allen zu
finanzierenden Sozialsystem. Aber eine ernst zu nehmende Linke muss mehr
bieten koennen. Sie muesste expliziter umweltpolitische Fragen
beruecksichtigen, mehr ueber die Regulierung internationaler
Wirtschaftsprozesse nachdenken, staerker die Nord-Sued-Solidaritaet
beruecksichtigen, die Geschlechtergerechtigkeit mehr in den Mittelpunkt
ruecken und die Bedrohung durch den Ueberwachungsstaat ernster nehmen.

Dennoch koennte sie so manches zum Tanzen bringen, im Parlament, auf der
Strasse und vielleicht sogar in den Gewerkschaften. Diese wagen noch immer
nicht den Bruch mit der SPD. Auch die naechste Regierung koennte die Linke
zu spueren bekommen. Sollte die Linkspartei viele NichtwaehlerInnen
mobilisieren koennen und neun oder mehr Prozent erreichen, wird es wohl zu
einer grossen Koalition aus CDU und SPD kommen, von der Einheitssteuern,
Kopfpauschalen im Gesundheitswesen und eine weitere Lockerung des
Kuendigungsschutzes kaum umgesetzt werden duerften. Schon das waere ein
Erfolg. Und wer weiss, vielleicht verreisst es noch die SPD. Ulrich Maurer,
langjaehriger SPD-Fraktionschef im baden-wuerttembergischen Landtag und seit
kurzem WASG-Abgeordneter, erwartet weitere Abspaltungen: «Zwei Drittel
meiner frueheren Fraktionskollegen schneiden mich», sagte er am Wochenende.
«Das andere Drittel aber ist demonstrativ freundlich zu mir.»
(Pit Wuhrer, WOZ, 1.9.2005)



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