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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. April 2005; 18:59
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Verfassung/Glosse:

> Ein Fall fuer die Baupolizei

Wenn habilitierte Verfassungsrechtler etwas sagen, schweigt das p.t.
Publikum und lauscht andaechtig. Das ist so wie bei Reden des
Bundespraesidenten. Und genauso wie bei den Reden des Bundespraesidenten
schweigt das Publikum deswegen, weil es die weisen Worte eh nicht
ernstnimmt. Das gehoert sich so in einer Demokratie, dass man Leute, die
keine unmittelbare Entscheidungsgewalt haben und von grundlegenden
Prinzipien der gesellschaftlichen Ordnung reden, geflissentlich ignoriert.

Das beweist sich gerade wieder in den momentanen Diskussionen der
Innenpolitik. Kurz flammte die Debatte ueber Oesterreichs neue Verfassung
auf und schon glost sie nur mehr wieder in irgendwelchen Gremien, weit
unterhalb der Wahrnehmbarkeit der interessierten Oeffentlichkeit, vor sich
hin. Und irgendwann, man weiss nicht wieso, haben wir dann vielleicht sowas
wie eine neue Verfassung, sauber nach Einflusssphaeren von Rot und Schwarz
geordnet.

Doch zuweilen gibt es einzelne Reizthemen, die doch noch oeffentlich
diskutiert werden. Und nach all den salbungsvollen Worten, die
Verfassungsrechtler darueber verlauten haben lassen, dass in die Verfassung
nur Grundregeln des Staates gehoeren und auch Kirche und Staat eigentlich
von einander getrennt sein sollten, tauchen SPOe-Chef und Kardinal
haendchenhaltend bei Liesl Gehrer auf und sagen, wenn man die
Schulgeldfreiheit und das Konkordat in der Verfassung verankerte, koenne man
ansonsten auf den Verfassungsrang von Schulgesetzen verzichten. Darauf sagt
die Bildungsministerin, dann muesse man aber auch die Schulgliederung mit
einer Zweidrittelklausel schuetzen, weil sie die Gesamtschule verhindern
will.

Bitte, was soll das? Wofuer halten diese Herrschaften eine Verfassung? Sie
halten sie fuer Gesetze, die man mit Zweidrittelmehrheit beschliessen kann,
um den Verfassungsgerichtshof aergern. Die Idee, dass es sich dabei um
Grundspielregeln des Staates handelt, die die Willkuer des einfachen
Gesetzgebers ein wenig einbremsen sollen, ist ihnen voellig fremd. Sie reden
von den "Grundbausteinen der Demokratie" und bauen stattdessen Sandburgen.

Im konkreten Fall kann man sagen, dass das Recht, seine Kinder an eine
Schule schicken zu koennen ohne Schulgeld loehnen zu muessen, durchaus
Grundrechtscharakter hat -- eine Praezisierung des Menschenrechtes auf
Bildung und auch eine soziale Hilfestellung, die Bestimmungen der
Schulpflicht erfuellen zu koennen. Das Konkordat hingegen, das immerhin
seinen Ursprung in der Putschregierung von 1933 hat und mittels
Kriegsermaechtigungsgesetz "ratifiziert" wurde, ist nichtsdestotrotz ein
voelkerrechtlich bindender Vertrag. Es ist daher unnoetig, ihn mit zwei
Dritteln auch noch einzuzementieren. Aber es stellt eine Festschreibung dar,
dass die Pfaffen sehr wohl im Staat was zu reden haben -- ein unglaublich
atavistischer Vorstoss, vorgetragen von Sozialdemokraten.

Auf der anderen Seite ist vollkommen unverstaendlich, was die Frage,
wieviele Klassen welcher Schultyp haben soll, in der Verfassung verloren
haette. Wenn das eine Grundrechtsangelegenheit oder eine Staatsspielregel
sein soll, dann ist die Frage, ob ein Unterrichtsfach "Leibesuebungen" oder
"Sport" heisst, genauso verfassungswuerdig.

Die Verfassungsrechtler Klecatzky und Morscher schreiben im Vorwort ihrer
kommentierten Ausgabe des Bundes-Verfassungsgesetzes, die oesterreichische
Verfassung trage "ruinenhafte Zuege". Diese sind verstaendlich: Stammt der
Keller doch noch von den Habsburgern und die Umbauten der ersten Republik
sowie die grosskoalitionaeren Basteleien waren auch ziemlich schaedigend
fuer die Bausubstanz. Doch jetzt soll alles anders werden. Derzeit bauen Rot
und Schwarz an einem architektonischen Meisterwerk: Einen megalomanen
Neubau, der schon als Ruine eroeffnet wird. Und das ganz bewusst und
gezielt, denn wenn eine Verfassung unklar, widerspruechlich und nach
Tagesinteressen gestaltet ist, kann man willkuerliche Bestimmungen viel
einfacher durchsetzen -- schliesslich kann dann eh keine Sau mehr mit
Bestimmtheit sagen, was denn da eigentlich verfassungskonform ist und was
nicht.

Sicher, wir werden von vorn bis hinten vom Staat verarscht, nach Strich und
Faden, sowohl mit als auch ohne Zweidrittelmehrheit. Aber dass der Staat mit
seinen Politiker seine eigenen Grundregeln derart ignoriert und nicht einmal
dafuer deftige Schelte von uns da unten bekommen, ist etwas, was mich immer
wieder aufregt.

*Bernhard Redl*



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