**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 12. April 2005; 21:00
**********************************************************

Kaernten/Schwarzblau:

> Wenn die Bundesregierung konsensorientiert ist

Briefwechsel zwischen der Gesellschaft fuer bedrohte Voelker und der OeVP
zum Ortstafelstreit


Bozen, 8. Maerz 2005

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
als Suedtiroler Sektion der Gesellschaft fuer bedrohte Voelker (GfbV) wenden
wir uns anlaesslich der geplanten - und offensichtlich gefaehrdeten -
Konsenskonferenz am 13. Maerz abermals an Sie. Eine Konferenz offenbar, die
nicht dazu dient, berechtigte - durch den Staatsvertrag, Volksgruppengesetz
und Verfassungsgerichtserkenntnissen gedeckten - Forderungen der
slowenischen Sprachgruppe in Kaernten zu erfuellen, sondern unter dem
Deckmantel des Konsenses ruhigzustellen und ueber den Tisch zu ziehen.

Sollte die Republik Oesterreich nicht endlich die entsprechenden Gesetze
zugunsten der slowenischen Sprachminderheit in Kaernten, wie auch vom
Verfassungsgericht eingefordert, umsetzen? Wann betreibt die Republik
Oesterreich eine Minderheitenpolitik, die im Konsens mit den betroffenen
Minderheit formuliert wird und nicht im Konsens mit dem Mitte-Rechts-Lager
sowie den deutschnationalistischen Kraeften in Kaernten.

Der Rat der Kaerntner Slowenen / Narodni svet wies bereits darauf hin, dass
Sie mit der Konsenskonferenz letztendlich eine Einigung erpressen wollen -
so sollen slowenische Organisationen vor den Verhandlungen erklaeren, dass
der Art. 7 des Staatsvertrages erfuellt ist. Im Gegenzug erhalten die
Slowenen einige zweisprachige Ortstafeln mehr.

Zurecht kritisierte der Rat auch die Zusammensetzung der Konsenskonferenz.
So wird der Rat nicht als Organisation eingeladen. Der Vorsitzende erhielt
nur eine persoenliche Einladung. Absurderweise sitzen am Tisch dieser
sogenannten Konsenskonferenz auch die Vertreter der "Heimatverbaende",
Kaerntner Heimatdienst und Kaerntner Abwehrkaempferbund, Organisationen, die
sich radikal gegen die Umsetzung von Minderheitenrechten wenden, und die am
aeussersten rechten Rand angesiedelt sind. Die GfbV-Suedtirol unterstuetzt
die Forderung des Rates, seine Delegationsteilnehmer selbst auszuwaehlen.

Landeshauptmann Joerg Haider agiert wohl in Ihrem Sinn, wenn er sich gegen
die Teilnahme bestimmter Slowenenvertreter ausspricht und deshalb nicht an
der Konsenskonferenz teilnimmt. Laut ORF sagte Haider, "wir sind ja keine
Lausbuben, die sich von irgendwelchen Hitzkoepfen dirigieren lassen." Nach
Konsens klingt das nicht. Wir erinnern Sie daran, dass Ihre Bundesregierung
seit 2001 nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes fuer die
Aufstellung weiterer zweisprachiger Ortstafeln in Kaernten haette sorgen
muessen. Stattdessen verschleppen Sie mit den Konsenskonferenzen die Loesung
der offenen Ortsnamengebung. Nicht von ungefaehr mahnte der Praesident des
Verfassungsgerichtshofes Korinek eine Umsetzung des Erkennisses an. Die
oesterreichische Politik kuemmert sich aber nicht darum. Ein
Verfassungsgerichtsurteil scheint in Oesterreich wenig Gewicht zu haben. Ihr
Nationalratspraesident Andreas Khol brach gezielt einen diplomatischen
Streit mit Slowenien los und bezeichnete den Staatsvertrag als einen Vertrag
aus der Zeit des Kalten Kriegens. [...]

Die Loesung der Ortstafelfrage im zweisprachigen Kaernten liegt bei Ihnen.
Setzen Sie doch mit einer Verordnung die Erkenntnis des
Verfassungsgerichtshofes um. Folgen Sie dem engagierten Beispiel Ihres
Vorgaengers Bruno Kreisky, der trotz radikalen Widerstandes aus Kaernten die
Auftraege zum Minderheitenschutz aus dem Artikel 7 des Staatsvertrages -
wenn auch Jahrzehnte verspaetete - umzusetzen begann. Die
Volksgruppengesetze tragen die Handschrift Kreiskys und Ihres verstorbenen
Parteifreundes Felix Ermarcora.

Sie setzten - gemeinsam mit anderen mutigen Politikern -
minderheitenpolitische Akzente. Das heutige Oesterreich scheint in dieser
Frage mutlos geworden zu sein. Der Entwurf der neuen oesterreichischen
Verfassung ist ein Rueckschritt. Im Vergleich zur italienischen
Verfassungsreform, in der sich die Suedtiroler Volkspartei trotz gespannten
Verhaeltnisses zur Mitte-Rechts-Regierung mit ihren Abaenderungen einbringen
konnte, zielt der oesterreichische Verfassungsentwurf auf eine
"Domestizierung" der sechs Sprachminderheiten ab.

Ihr Kaerntner Club-Obmann Grilc traegt mit seiner Wortmeldung auch nicht zur
Klaerung bei. Laut Grilc ist der Wille fuer eine Loesung der Ortstafelfrage
in Kaernten vorhanden. Doch sind Ortstafeln alleine nicht ausschlaggebend
fuer eine zukunftsorientierte Minderheitenpolitik. Eine gemeinsame
Vertretung der slowenischen Sprachgruppe im Kaerntner Landtag hat laut Grilc
mehrere Vorteile. Ein Vertreter der Minderheit, der durch Wahlen sein Mandat
im Kaerntner Landtag erhaelt, waere damit der legitimierte Ansprechpartner
fuer Fragen in Zusammenhang mit der Minderheitenpolitik des Landes.
Voraussetzung ist aber ist die Abschaffung der Wahlhuerde, die von den
grossen Parteien im Kaerntner Landtag bisher strikt verteidigt wurde.
Kaernten wusste bisher erfolgreich eine eigenstaendige politische Vertretung
der slowenischen Minderheit zu verhindern. [...]

Verantwortung an dieser Entwicklung hat letztendlich die Kaerntner Politik,
die deutschnationale Koalition aus FPOe, OeVP und SPOe. Herr Bundeskanzler,
machen Sie diesem Trauerspiel ein Ende. Einigen Sie sich mit den Vertretern
der Kaerntner Slowenen, entsprechende Vorschlaege liegen bereits vor. (gek)

***

An die Gesellschaft fuer bedrohte Voelker, info@gfbv.it

Wien, 14.03.2005

Sehr geehrte Damen und Herren!
Zu Ihrem offenen Brief an Bundeskanzler Dr. Schuessel, den Sie mir mittels
e-mail ebenfalls zukommen haben lassen, gibt es viel zu erwidern. Ich
beschraenke mich auf einige wenige Punkte:

Ihre Auffassung, der damalige Bundeskanzler Dr. Kreisky haette die
Ortstafelfrage seinerzeit bestens geloest, kann ich in keinster Weise
teilen. Gerade einen derartigen Sturm der Entruestung gegen die Aufstellung
von zweisprachigen Ortstafeln wollen wir mit unserer behutsamen
Vorgangsweise verhindern. Dafuer ist uns auch die von Bundeskanzler
Schuessel initiierte - von der SPOe aber jahrelang verschleppte -
Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln im Burgenland, bei der es
keinerlei Proteste gab, sondern die vielmehr im Einvernehmen mit allen
Bevoelkerungsgruppen durchgefuehrt wurde, ein sehr gutes Beispiel. So wollen
wir Volksgruppenpolitik machen, indem wir alle Bevoelkerungsgruppen
informieren und einbinden, nicht aber durch die rasche Erlassung einer
Verordnung, welche dann erst mit Polizeigewalt umgesetzt werden muesste.
Uebrigens darf ich daran erinnern, dass es auch der damalige Kanzler Dr.
Kreisky nicht geschafft hat, alle Ortstafeln aufzustellen, zu denen wir
verpflichtet gewesen waeren.

Daher sehen wir die Konsenskonferenz als den einzigen gangbaren Weg an, alle
irrelevanten Gruppen zur Loesung der Ortstafelfrage miteinzubinden. Der
Erfolg der Runde vom letzten Sonntag hat uns darin bestaetigt.

Mit freundlichen Gruessen,

Mag. Wilhelm Molterer eh., Klubobmann

***

Quellen:
http://www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050405de.html
http://www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050308ade.html


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin