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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 1. Maerz 2005; 20:08
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Debatte:

> Ein paar Antworten

Zur laufenden Diskussion ueber die USA, Privatisierung und "die Linke"
(zuletzt akin 6/2005)


Wenn ich so allgemein an die an mich gerichteten Antworten denke, dann frage
ich mich manchmal, ob man mich nicht verstehen KANN oder WILL. Man wird sich
wundern, aber ich glaube an ersteres, weil die "Ideologie im Kopf" staerker
sein kann als das "Verstehen-Koennen" anderer Meinungen, sogar staerker als
die Realitaet. Nirgendwo habe ich jemals geschrieben, bei "uns sei alles
bestens", im Gegenteil, da fiele mir viel ein, was es hier zu kritisieren
gaebe. Es war ein rein statistischer Vergleich: Bei uns ist vieles BESSER
als in anderen Laendern, vor allem, bedenkt man jene Parameter, die von der
Linken haeufig - an unserem System - kritisiert werden:
Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit, Armut, Bildung, Arbeitslose,
usw...Diese Parameter sind in Laendern des Westens (USA, Kanada, Japan,
Australien, Westeuropa) weit besser als in Staaten, in denen Systeme wie
Feudalismus, Kommunismus und korrupte Diktaturen herrschen. Nicht mehr,
nicht weniger, ich hoffe sehr, dass der Unterschied "besser als" und "alles
bestens" klar ist.

Irrtum, liebe Sissi! Aber aus eigener Erfahrung weiss ich sehr gut, wo die
Grenzen der "Rechtssicherheit" liegen. Da schuldet mir einer Geld fuer eine
fuer ihn geleistete Arbeit, und das kann ich jetzt vergessen, weil der gute
Mann in Konkurs gegangen ist. Kommt im Selbststaendigen-Bereich gar nicht so
selten vor! Aber Ilses naiven Glauben an das Gute im Staat zum Trotz gibt es
noch einen anderen Fall: die linkssozialistische, nicht privatisierte Wiener
Gebietskrankenkasse zieht mir SOFORT einen Riesenbetrag vom Konto ab, sobald
man den kleinsten Fehler macht, ganz buerokratisch kassiert die linke
GANZ-staatliche Organisation schnell ab und ich moechte nicht wissen,
wieviele Leute alle zwei Jahre davon existenziell betroffen sind. Auch
dieses Geld ist unwiederbringlich futsch! Soll ich jetzt die Wiener
Gebietskrankenkassa wegen 230 Euro (300 statt 70 abgebucht) klagen?


In deinem Fall aber, liebe Sissi, solltest du dich informieren, ob es nicht
doch Moeglichkeiten gibt, abseits von viel Geld haben, trotzdem Recht zu
bekommen. Aber, so tragisch unsere (Einzel-)Faelle sind, es geht uns
bestimmt weit besser als jenen in korrupten Staaten in Afrika und Osteuropa.
Ganz relativ wird das "Pech", wenn man z.B. nach Afghanistan schaut
(ARTE-Themenabend, Di., 22.2.05): Da wird die Frau an den meistbietenden
Mann von ihrem Vater verscherbelt, und wenn sie von dem dauernd gepruegelt
wird und davon laeuft, hat sie die Ehre der Familie beschmutzt und landet
fuer viele Jahre im Gefaengnis, wo sie wie Vieh herumgeschubst wird. Und
auch wenn die familiaeren Zeugen ihre Aussagen aendern, es gibt keine
Berufungsmoeglichkeit! Da sind doch unsere Probleme laecherlich dagegen,
oder? Das muss und sollte sich in Afghanistan jetzt - langsam - aendern,
weil es eine Demokratie gibt und neue Gesetze zum Schutz der Frauen. Die
gaebe es nicht, wenn die USA dort keinen Krieg gefuehrt haetten! Die Linke
war total dagegen. Ginge es nach der europaeischen Linken, waeren in
Afghanistan noch die Taliban an der Macht.

Liebe Ilse! Ich verstehe unter "links" auch Freiheit und Selbstbestimmung
der Menschen. Und danach beurteile ich die Linke. Es sieht derzeit ganz
schlecht aus, und ich muss meinerseits zurueckfragen, aber, was ist da bitte
noch links an dem, was Linke wie Attac und andere von sich geben? Da finde
ich nichts als (paranoiden) Hass auf die USA, Israel, den Kapitalismus und
der Neoliberalismus soll sowieso fuer alles Boese der Welt verantwortlich
sein. Unter "Freiheit" faellt fuer mich aber auch die unternehmerische
Freiheit, Forschungs-Freiheit und die Freiheit des Handels zu beidseitigen
Vorteil, ganz zum Unterschied zur Ausbeutung waehrend der Kolonialzeit. Wenn
ich an die ganze furchtbare Geschichte (und Folgen in Laendern wie
Sowjetunion, Kambodscha und Nordkorea) der "Vergesellschaftung der
Produktionsmittel" mit ihren Umerziehungslagern, staatlichen Terror zur
Durchsetzung dieses vergesellschaftlichen Systems denke: Wie kann die AKIN,
wie koennen andere das noch als "links" einstufen? Es uebersteigt voellig
mein Vorstellungsvermoegen!

Ein grosser Teil der Linken befindet sich in einer Art geistigen
"Verirrungs-Zustand". Auszug aus dem neuen, absolut empfehlenswerten Buch
"Amerika, dich hasst sich´s besser" von Andrei S. Markovits, ein linker
UNI-Professor, erschienen in einem linken Buchverlag (S 192):

"Was grosse Teile der Linken in Europa hierbei offensichtlich antreibt, sind
Abneigung und Hass gegenueber Israel und Amerika, es ist nicht die
aufrichtige Sympathie fuer geknechtete Muslime und die Identifikation mit
ihnen oder wirkliche Solidaritaet mit den Unterdrueckten und Geknechteten
oder den - oft kulturalistisch-folkloristisch als kollektive Einheit
wahrgenommenen und verklaerten - "unterdrueckten Voelkern". Was die
europaeische Linke aufregte, war nicht die Ermordung unschuldiger
muslimischer Frauen und Kinder, weder in der Geschichte durch arabische
Diktatoren, noch waehrend des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Was
Tausende auf die Strassen von Berlin, Paris und Athen brachte, als endlich
zugunsten der Muslime interveniert wurde, war wieder einmal der
amerikanische Popanz. Und wieder einmal trafen sich extreme Rechte und
extreme Linke in Fragen, die mit Amerika und Juden zu tun haben, in
Konstruktionen naemlich, in denen ausschliesslich Amerika, Juden und Israel
als Verbrecher der Weltgeschichte erscheinen."

Ja, wissenschaftlich fundiert, mit Studien untermauert beweist das Buch all
das, was mir schon seit Jahren auffaellt: Viele Behauptungen der Linken sind
von denen bekannter Rechtsradikaler wie Le Pen kaum zu unterscheiden (wer´s
nicht glaubt, empfehle ich, Interviews mit Le Pen zu lesen, sind im Internet
leicht zu finden) und die Linke verraet in der politischen
Auseinandersetzung zunehmend ihre eigenen Ideale! In der Tat muss man heute
Konservative lesen, wenn man z.B. Kommentare wie "Anti-Semitism Evolves"
(http://www.danielpipes.org/article/2412) sucht.

Es mag uns gefallen oder nicht, aber, liebe Ilse, es ist eben eine Tatsache,
dass, haetten die Amis nicht gebombt, im Irak NIEMAND waehlen koennte. Was
waeren die Alternativen gewesen? Die Schiiten duerften noch immer keine
religioesen Feste feiern, es gaebe noch immer UN-Sanktionen und Saddam
wuerde mit Geld aus dem Oil-For-Food-Programm seine Freunde, darunter einige
extreme Rechte und vielleicht sogar UN-Beamte schmieren waehrend die
Bevoelkerung hungert. Waere das besser? Du beklagst, dass auch jene gern
waehlen wuerden, die im Bombenhagel der USA starben. Dazu zweierlei: Erstens
kamen da viele um, die frueher ihrerseits die irakische Bevoelkerung
terrorisiert bzw. gegen Unschuldige gebombt haben und zweitens, aber was ist
denn mit all jenen, die Saddam umgebracht HAeTTE, gestern, heute, morgen,
die naechsten 5 bis 10 Jahre, wenn die Amis NICHT gebombt haetten? Hast du
jemals an jene gedacht, die heute leben WEIL Bush und Rumsfeld diesen Krieg
gefuehrt haben? Wir sollten es uns endlich eingestehen, aber es gab (wie bei
den Nazis) keinen anderen Weg! Einen - moeglicherweise friedlichen -
Uebergang unter militaerischer Androhung hat die - rechte - (und mit Saddam
wirtschaftlich besonders gut stehende) franzoesische Regierung unter grossen
Beifall der europaeischen - Linken - mit ihrem UN-Vetorecht erfolgreich
verhindert. Und Aufstaende im Land gab es schon viel zu viele, sie wurden
mit unglaublicher Brutalitaet niedergeschlagen, bedenkt man die mehr als
200 - DANACH - gefundenen Massengraeber mit ueber hunderttausend bestialisch
ermordeten Kurden und Schiiten.

Deine Ansichten zu Bin Laden sind eine schockierende Verharmlosung! Da geht
es nicht um ein "bissl Sprengstoff", sondern um eine faschistische
Ideologie, in deren Namen seit Jahrzehnten in zahllosen Attentaten weit
ueber hunderttausend Menschen ermordet wurden. Der - von Bin Laden
erklaerte - Krieg richtet sich uebrigens gar nicht gegen George Bush,
sondern gegen uns, liebe Ilse, gegen dich, weil du vielleicht "Feministin"
bist, und konkret gegen mich, weil ich Musik liebe. Verharmlosung durch die
Linke ist nicht neu. Auch Hitler wurde jahrelang verharmlost und
unterschaetzt. Wir sollten uns selbstkritisch fragen, wie weit die Linke
mitverantwortlich am Aufstieg der Nazis ist, wie weit Antisemitismus bei der
Linken dazu beigetragen hat, sich mit Hitler zu arrangieren.

Heute spricht sie wie Le Pen! Meinen Gegen-Protest soll ich aber lieber an
die Salzburger Nachrichten schicken!
*Thomas Herzel*


*


> Immer noch unverstaendlich

Zu Vorstehendem


Thomas, ich KANN Dich nicht verstehen. Vielleicht WILL ich Dich auch nicht
verstehen, weil das meiner Meinung von den akin-Lesern nicht gut taete.

Du wirfst der "Linken" alles moegliche vor: Verharmlosung, Antisemitismus,
und mir persoenlich, dass ich Bin Laden fuer nicht gefaehrlich hielte.
Stimmt nicht. Ich halt ihn auch fuer einen Ideologen, der dem Faschismus
nahe steht oder etwas, das aehnlich verbrecherisch ist, aber noch keinen
eigenen Namen hat:

Diktatorisch, rassistisch, sexistisch. Stimmt alles. Aber er hat keinen
Staat, eine kleine, schlecht ausgeruestete Armee, deren einzige Staerke ihr
Fanatismus ist. Er hat keine 200 Millionen Menschen hinter sich,
wahrscheinlich, wenn man alle radikalen Moslems zusammenrechnet, wesentlich
weniger als Bush. Und wie gesagt, keine institutionalisierte Macht und keine
institutionalisierte Militaermaschine und kein institutionalisiertes
Wirtschaftsimperium.

Deiner Meinung nach war es richtig, Afghanistan zu bombardieren, den Irak zu
bombardieren, es ist dann wohl auch richtig, Syrien und Iran zu
bombardieren. Und dann, wenn die alle niedergebombt und "befriedet" sind?
Wer kommt dann dran, der nicht pariert? Als naechstes wird Kuba bombardiert,
vielleicht irgendwelche afrikanischen Staaten, um die sich eh keiner
kuemmert, und in Lateinamerika sind vielleicht auch noch ein paar lohnende
Ziele. Schliesslich wird sich doch wohl noch irgendein Diktator finden, der
wegzubomben ist. Nicht weggebombt werden hingegen demokratische Regimes wie
Saudi-Arabien oder der Vatikan oder diverse mittelasiatische "Republiken".

Du beurteilst "die Linke" nach Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen.
Klingt gut. Die philosophische Beurteilung solcher Allgemeinplaetze wie
"Freiheit" und "Selbstbestimmung" lassen wir jetzt einmal ausser Acht. Klar
ist: Dein und mein Mass an Freiheit und Selbstbestimmung ist groesser als
das afghanischer Frauen. Auch als das von Bettlern oder Obdachlosen in San
Francisco oder Mumbay, von Strassenkindern in Bukarest oder Sao Paolo.
"Demokratie" und "Freiheit" und "Selbstbestimmung" gehen offensichtlich
nicht immer Hand in Hand, die haben wohl auch was mit Sozialsystemen zu tun.
Und dass vom freien Handel alle nur profitieren, das glaubst eigentlich nur
du und die Weltbank. Wenn in der Sahelzone Erdbeeren fuer Oesterreich
angepflanzt werden, statt Nahrung fuer die Bevoelkerung, wenn die
Kaffeepflanzer-Grossgrundbesitzer die Kleinbauern ruinieren, wenn der
Regenwald abgeholzt wird, damit McDonalds Rinder weiden lassen kann, dann
ist das Weltwirtschaft a la Weltbank u.ae.

Aber wie ist das jetzt mit Deiner Stellung in dieser von Dir so gescholtenen
Linken. Du bist Teil von ihr, nach Deiner Selbstdefinition. Du wirfst uns
(der akin), Staaten wie Nordkorea als links einzustufen, nur weil sie die
Produktionsmittel verstaatlicht haben. Also da muss ich nun wirklich
widersprechen. Heftig. Wir haben nicht und wir werden nicht.

Aber Schluss jetzt. Die Debatte, was "links" ist und was nicht, werden wir
heute nicht zu Ende bringen. Jede/r ist aufgefordert, sich den Kopf zu
zerbrechen, was nun eigentlich "wirklich links" ist oder obs vielleicht auch
"mehrere links" und nicht nur "mehr oder weniger links" gibt.
*Ilse Grusch*


*


> Zur letzten Ausgabe


Lieber Thomas, bei deinem Artikel reisst es mich immer hin und her. Zu einem
hast Du m.M. nach mit der Einseitigkeit von Verurteilungen und blinden
Flecken recht (mir faellt da auch noch die Beteiligung chinesischer
Oelfirmen im Sudan ein). Auch solche Entwicklungen wie in Haiti waeren eine
serioese Diskussion wert und sicher lehrreich, wie ein erwuenschter,
erkaempfter Machtwechsel langfrisitig gesichert werden kann. Andererseits
ist mir Deine Amerika- bzw. Wirtschaftsfreundlichkeit wirklich zu naiv: wie
weit koennen Geschaefte zwischen Firmen aus dem Norden und dem Sueden
selbstbestimmt sein? Warum ist private Wasserversorgung a priori sicherer
als staatliche? Ich kenne Positiv- und Negativbeispiele fuer beide
Varianten.

Zu Costa Rica und Intel habe ich vor kurzem einen interessanten Artikel
gelesen. Intel hat dort mehrere Werke, weil die Standortbedingungen
(Ausbildung, Infrastruktur) besser als in anderen lateinamerikanischen
Laendern ist. Also nix mit "da investiert keiner mehr" und der Staat hat mit
Budgetproblemen zu kaempfen, weil Intel "natuerlich" kaum Steuern zahlt.
Trotzdem schaetze ich Deine "Eigenwilligkeit".


Liebe Sissi Aigner, im schrecklich kapitalistischen System gibt es so was
wie eine Rechtsschutzversicherung, die ermoeglicht es auch einem politisch
engagierten, einkommensschwachen Menschen ein Prozessrisiko einzugehen. Bei
mir hat sich allein durch einen einzigen Prozess die Versicherung auf ca. 20
Jahre gerechnet.

Liebe Gruesse
*Michael Bockhorni*




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