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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23.Februar 2005; 8:00
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Moderne Zeiten/Glosse:

> Sorry, no Gigahertz!

Fuer einen Computertechniker ist es immer wieder spannend, den Anrufbeantworter
abzuhoeren. Beim Nachhausekommen meldet meiner oft Hilferufe von Kunden wie
folgt: "Mein Internet geht nicht!", "Mein Windows stuerzt immer wieder ab!" oder
gar "Es hat geraucht und gestunken, jetzt geht gar nichts mehr!" Und dann darf
ich mich um hochgezuechtete und dementsprechend sensible Pentium 4-Rechner
kuemmern. Doch eines Tages hatte ich eine Anfrage der anderen Art auf dem
Anrufbeantworter: "Kannst Du mir helfen, einen 386er zu reparieren?" Wenn es
nicht die Stimme eines ueblicherweise serioesen Kollegen gewesen waere, haette
ich gedacht, da will mich jemand wegen meines Faibles fuer Rechner aus dem
letzten Jahrhundert auf die Schaufel nehmen... Tatsaechlich hatte der Kollege
aber wirklich das Problem, ein Messgeraet ansteuern zu muessen, das mit modernen
Rechnern nicht kompatibel war - selbst die schon vor etwa eineinhalb Jahrzehnten
auf dem Markt eingefuehrten 486er waren dem Geraet zu neumodisch. Ich konnte ihm
wirklich helfen, denn ich hatte noch so eine komplette Kiste, er war
uebergluecklich und ich hatte wieder einmal den Beweis, das es doch nicht ganz
sinnlos ist, das alte Graffel aufzuheben. Der Satz: "Vielleicht kann man das
spaeter doch noch mal brauchen!" hat sich wieder einmal als richtig erwiesen.

Mit unserem Abo-Programm in der Redaktion verhaelt es sich aehnlich - dieses
angejahrte Stueck Software weigert sich, unter einem anderen Betriebssystem zu
laufen als DRDOS 5.0 aus dem Jahre 1988. Doch es funktioniert. Es funktioniert
genauso wie bis vor kurzem jene "Brotdose" (Spitzname des Commodore C64), der
die Anzeigentafeln des Dortmunder Hauptbahnhofes steuerte. Andere Berichte
sprechen davon, dass es sich um einen Rechner mit 286er-Prozessor gehandelt
haben soll - egal, das Ding hat auf alle Faelle mehr als zwei Jahrzehnte auf den
Chips und versah bis letzten Mittwoch klaglos seinen Dienst.

Wie koennen solche Dinge moeglich sein, wo selbst mancher Gigahertz-Bolide
bisweilen als uuuurlangsam angesehen wird? Naja, es kommt auf die Software an -
denn das Werkel spielt sich so ab: "Eigentlich brauch ich nur eine bessere
Schreibmaschine." So faengt es ueblicherweise an. Dann entdeckt der frisch an
der Nadel haengende - oder besser an der Maus klebende - User, was man sonst
noch so alles mit dem neuen Spielzeug machen kann. Und schon kommt das Ansinnen:
"Kann man da nicht eine Digitalkamera irgendwo anstecken? Zum Videoschneiden?"
Und es kommt der Junior mit seiner frisch gebrannte Raubkopie des
Rennfahrerspiels "Need-for-Speed 5" an und dann ist die Kiste auf einmal schon
wieder, ja eben, uuuurlangsam. Wenn das Geraet dann eineinhalb Jahre alt ist,
sieht man bei jemandem anderen, was dessen brandneuer Computer alles leistet,
was der eigene nicht kann. Kurz darauf kommt Junior mit "Need-for-Speed 6"
daher.

Lange macht das dieser Rechner nicht mehr (mittlerweile immerhin schon zwei
Jahre alt!) und er wird zum Zweitgeraet degradiert - zur Schreibmaschine, als
was er eigentlich urspruenglich gedacht war. Und nachdem die User das fast alle
so machen, meint die Software-Industrie die jetzt
groesseren Ressourcen der aktuellen Rechner ausnuetzen zu muessen - was freilich
dazu fuehrt, dass ... ja, ehschowissen.

Anders indes in Dortmund. Die alte Anlage am Bahnhof soll auch jetzt noch nicht
verschrottet werden. Denn schliesslich hat sich die Aufgabe, Abfahrtszeiten
anzuzeigen, in zwanzig Jahren nicht verkompliziert. So ist man bereits dabei,
das Geraet reparieren lassen - und erspart sich damit die voellige
Neueinrichtung der Installation. Sowas nennt man Nachhaltigkeit.
*Bernhard Redl*

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