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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Februar 2005; 19:00
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Venezuela:

> Venepal - Eine Papierfabrik in Arbeiterhand

Regierung enteignet vom Eigentuemer aufgegebene Fabrik

Per Dekret enteignete der venezolanische Praesident Hugo Chávez am 9. Januar
2005 den gesamten Besitz des Papierunternehmens Venepal. Die Firma hatte Anfang
Dezember Konkurs angemeldet. Vor zehn Jahren war Venepal noch die groesste
Papierfabrik Lateinamerikas. Damals hatte das Unternehmen 1.800 Beschaeftigte.
Dann begann der Eigner die Fabrik nach und nach zu demontieren, denn er ist auch
Teilhaber an dem transnationalen US-Papierkonzern Smurfit, Venepals Konkurrenz
in Venezuela.

Die Fabrik in Morón, im Bundesstaat Carabobo, vier Autostunden westlich der
venezolanischen Hauptstadt Caracas, soll nun gemeinsam vom venezolanischen Staat
und den Arbeitern betrieben werden. Dafuer hatten bis zuletzt 350 Arbeiter und
ihre Familien gekaempft. Einige von ihnen berichteten auf dem Akt zur
Unterzeichnung des Dekrets, dass sie seit vier Monaten keinen Lohn mehr erhalten
haben.

Der Arbeitskonflikt entbrannte Anfang 2003. "Als wir gemerkt haben, dass die
Leitung das Unternehmen gezielt in den Konkurs fuehrt, haben wir intern die
Kontrolle ueber die Produktion uebernommen", berichtet Edgar Peńa,
Generalsekretaer der werkseigenen Papierindustriegewerkschaft Sutip, "daraufhin
entschied die Leitung am 4. Juli 2003 das Unternehmen zu schliessen und wir
besetzten es, um so Druck auszuueben."

Nach 80 Tagen kam es zu einer Einigung. Der Staat erklaerte sich bereit, die
Modernisierung mit fuenf Millionen Dollar zu unterstuetzen. Dafuer sollte eine
Kooperative mit 400 Arbeitern eingerichtet und direkt am Unternehmen beteiligt
werden. Ein Gerichtsurteil verpflichtete den Besitzer auch zur Wiedereinstellung
der Entlassenen und Zahlung der ausgefallenen Loehne. Die Arbeit wurde wieder
aufgenommen, Rohstofflieferungen, Produktion und Vertrieb von den Arbeitern
organisiert. "Doch der Besitzer hielt sich nicht an die Vereinbarung und schloss
das Werk am 7. September," so Peńa. Seitdem stehen bei Venepal alle Maschinen
still, ausser dem Stromwerk, das auch eine kleine Siedlung versorgt.

Die Arbeiter besetzten daraufhin den Betrieb und forderten die Nationalisierung
unter ihrer Kontrolle. "Bei den Gespraechen mit Firmenleitung und Ministerien
wurde uns klar, dass die Leitung weniger Ueberblick hat, als wir Arbeiter, und
wir genug Erfahrungen gesammelt haben, um das Werk zu betreiben", so Peńa.
Nachdem Venepal Anfang Dezember 2004 Konkurs anmeldete forderte die
venezolanische Nationalversammlung am 13. Januar die Exekutive auf, gemaess der
geltenden Gesetzgebung aufgrund oeffentlichen Interesses ein Dekret zur
Enteignung der Gueter und Immobilien des in Konkurs gegangenen Unternehmens
Venepal und seiner Filialen zu erlassen. Es wurde auch eine
Untersuchungskommission gebildet, da der Verdacht auf betruegerischen Konkurs
besteht.

Mit einem Sofortkredit fuer den Kauf von Zellulose soll unter Leitung der
Arbeiter nun moeglichst schnell die Produktion wieder anlaufen. Zuallererst
wuerden diverse Sozialprogramme der Regierung mit Arbeitsmaterialien beliefert
werden, so der Generalsekretaer der Gewerkschaft. Edgar Peńa bat auch um die
Unterstuetzung der Nationalgarde zur Sicherung des Unternehmens, da Sabotageakte
seitens Personen, die sich der Kontrolle des Betriebs durch die Arbeiter
widersetzen, befuerchtet wuerden. Zu schuetzen gibt es neben der Fabrik und
einer werkseigenen Wohnsiedlung viel.

Das Gelaende von Venepal umfasst insgesamt 5.000 ha. Auf dem Gelaende stehen
noch eine Schule, ein Baseballstadion, ein Hotel mit Schwimmbad, ein Klaerwerk,
Anlagen zur Aufbereitung von Trinkwasser und Industriewasser, ein Stromwerk und
ein kleiner Flughafen, den die Besitzer nutzten, um zur Fabrik zu gelangen.
Alles verlassen und ungenutzt. Auch grosse brachliegende Laendereien gehoeren
zum Firmengelaende. Als landlose Bauern diese besetzten, liess der Besitzer sie
von der Polizei raeumen.

Im Hinblick auf Kritiken, Venezuela wuerde dem "kubanischen Modell folgen",
erklaerte Chávez: "Wir importieren kein Modell nach Venezuela, wir erfinden hier
unser eigenes". Der Praesident geisselte den Konsumismus als "pervers" und
erklaerte Venezuela koenne seine Lebensweise nicht der des Nordens der Welt
anpassen, denn diese beruhe auf dem "Imperialismus und der Pluenderung der
aermeren Laender". Der Kapitalismus sei ein versklavendes Modell, von dem
Venezuela sich befreien wolle, so der Praesident weiter, daher die Veraergerung
der US-Regierung: "Sie will nicht, dass wir das Papier hier selbst produzieren,
sondern moechte, das wir es dort kaufen". Und waehrend der Kapitalismus "die
Arbeiter und damit die Volksmacht zerstoeren wolle, geht es hier um die
Befreiung der Arbeiter". Dafuer sei die Veraenderung der
Produktionsverhaeltnisse fundamental.

Chávez wies aber auch darauf hin, die Enteignung sei eine Ausnahme, niemand
muesse um seinen Besitz fuerchten, solange dieser genutzt werde, doch die
Regierung werde weiterhin geschlossene und verlassene Unternehmen uebernehmen
und wieder aufbauen. Dies ist auch die Hoffung vieler Arbeiter und
Gewerkschafter, denn weitere Fabriken, darunter die Nationale Ventilfabrik (CNV)
oder die Parfuemproduktion Cristine Carol, wurden ebenfalls von den Eigentuemern
aufgegeben und von den Arbeitern besetzt.

Venezuela importiert einen Grossteil des im Land benoetigten Kartons und
Papiers. Der 1999 eingeleitete gesellschaftliche Transformationsprozess hat sich
zum Ziel gesetzt im Land eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur aufzubauen und
so eine eigenstaendige nachhaltige Entwicklung zu ermoeglichen. Bisher basierte
die Oekonomie des viertgroessten Erdoelproduzenten weltweit auf einem
Rentiersmodell, in dem ueber 70 Prozent der Lebensmittel und nahezu alle Gueter
des taeglichen Gebrauchs importiert wurden. (Dario Azzellini)


Quelle: http://www.labournet.de/internationales/ve/venepal.html




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