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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Februar 2005; 19:00
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EU:

> Widerstand bringt´s

Bolkestein- und Softwarepatent-Richtlinie wackeln.

Nachdem Frankreichs Praesident Jacques Chirac bereits zur Wochenmitte vor
"Steuer- und Sozialdumping" warnte und die geplante Oeffnung der
Dienstleistungsmaerkte (die sog. "Bolkestein-Richtlinie") fuer "nicht
hinnehmbar" erklaerte, zog nun auch die deutsche Bundesregierung nach. Die
EU-Kommission muesse "berechtigte Schutzanliegen der Mitgliedsstaaten ernster
nehmen", so Kanzler Schroeder.

Dumpingeffekte und "brutale" Auswirkungen auf einzelne Sektoren konnte zuletzt
auch Kommissions-Praesident José Manuel Barroso nicht mehr ausschliessen und
kuendigte eine "gruendliche" Ueberarbeitung des Vorschlags an. Kein leichtes
Unterfangen, sind doch auch seitens des Europaeischen Parlaments einige hundert
Aenderungsantraege in Vorbereitung. Der vom ehemaligen Binnenmarktkommissar
Frits Bolkestein vorgelegte Richtlinienentwurf war seit Monaten Gegenstand
europaweiter Proteste. Im Mittelpunkt der Kritik stand dabei das
Herkunftslandprinzip, das im innereuropaeischen Wettbewerb eine Abwaertsspirale
bei Sicherheits-, Sozial- und Umweltstandards in Gang gesetzt haette.

Allerdings so wirklich zurueckziehen - wie erste Meldungen suggerierten - will
die Kommission den Richtlinienentwur nicht. Denn die Liberalisierung der
Dienstleistungen sei "ein Schluesselelement des Relaunches der Lissabon-Agenda",
die Europas Wirtschaft wettbewerbsfaehiger machen soll, sagte
Kommissionssprecherin Françoise Le Bail am Freitag. "Die EU-Kommission schliesst
es aus, den Vorschlag zurueckzuziehen", so die Sprecherin. Dies habe
Kommissionspraesident José Manuel Barroso auch nie angestrebt. Er habe aber sehr
wohl auf moegliche Schwierigkeiten hingewiesen, vor allem in Hinblick auf das im
Richtlinienentwurf enthaltene Herkunftslandsprinzip.

Das Herkunftslandprinzip besagt, dass bei grenzueberschreitender
Leistungserbringung die Dienstleister in Zukunft nur noch den Gesetzen ihres
Herkunftslandes unterliegen sollen und nicht den Bestimmungen des Landes, in dem
sie die Dienstleistung erbringen. Eine griechische Bank, ein Wettunternehmen aus
Polen oder ein Kasino aus Malta, das nach dortigem Recht erlaubt ist, muesste
demnach automatisch auch in Oesterreich zugelassen werden.

Aber auch wenn sich die Kommission noch ziert, scheint der Richtlinienentwurf
wohl schon schwer beschaedigt. Aehnliche Schwierigkeiten drohen der genauso
umstrittenen Softwarepatentrichtlinie: Das Europaeische Parlament scheint
gewillt zu sein, seine bisherige nur zoegerliche Kritik zu verschaerfen: Der
Rechtsausschuss des Europaeische Parlaments beschloss heute mit
ueberwaeltigender Mehrheit einen Neustart der Verhandlungen ueber die gesamte
Softwarepatente-Richtlinie zu fordern. Auch wenn die Durchsetzungsmoeglichkeiten
des Parlaments bekanntermassen begrenzt sind, so ist das politische Signal nicht
zu uebersehen. Eine so ueberraschend klare Entscheidung waere nach Einschaetzung
der EP-Gruenen vor einer Woche noch nicht zu erwarten gewesen. Sie fiel nach
einer Aussprache mit Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy und einer hitzigen
Debatte ueber die Zukunft der Richtlinie letzte Woche. Da die Richtlinie im Rat
derzeit keine klare Mehrheit mehr hat und die letzten Ratssitzungen keine
Einigung brachten, nahm das Parlament das Heft in die Hand und forderte -
entsprechend der Geschaeftsordnung - den voelligen Neustart des Verfahrens.

Eva Lichtenberger, Mitglied des Rechtsausschusses, erklaerte nach Abstimmung:
"Die jetzige Initiative des Ausschusses ist ein guter Anfang, aber noch nicht
das glueckliche Ende in der Frage der Patentierung von Software. Aber die mutige
Entscheidung des heutigen Abends hat eine gute Chance auf eine bessere Loesung
eroeffnet. Ich bin sehr zufrieden darueber, dass damit eine Moeglichkeit
geschaffen wird, die Patentierung von Software zu verhindern und eine bessere
Richtlinie fuer die gesamte Branche zu bekommen, ohne dass die Giganten am Markt
mit Hilfe eines quasi-amerikanischen Patentrechts die innovativen Klein-und
Mittelbetriebe aus dem Markt draengen koennen."

Dass allerdings das Parlament - mit ziemlicher Verspaetung - ueberhaupt sich mit
diesem etwas sperrigen Thema beschaeftigte, ist wohl vor allem der massiven
Aufklaerungsarbeit von NGOs wie dem "Verein zur Foerderung Freier Software" zu
verdanken, die zwei Jahre lang die Abgeordneten bearbeiten mussten, bis man in
weiten Kreisen der Abgeordneten Erfolge erzielen konnte.

Schattenseite

Und noch eine andere Richtlinie wackelt - da allerdings nicht wegen Drucks von
unten, sondern (wie so oft) dank der Industrielobby. Der Entwurf fuer die
"Reach"-Richtlinie sah umfangreiche Tests fuer rund 30.000 Chemikalien vor.
Ziel dieser Richtlinie war, Folgen fuer Gesundheit und fuer Umwelt schon vor der
Verwendung von chemischen Stoffen zu kennen. Die Wirtschaft hat dagegen
mobilisiert und vor Mehrkosten, Hindernissen fuer Produktentwicklungen und
Arbeitsplatzverlusten gewarnt. Nun soll auch diese Richtlinie grundlegend
ueberarbeitet werden. Umweltschuetzer fuerchten, dass dabei die
umweltpolitischen Ziele der Richtlinie verwaessert werden.
(ATTAC, Der Standard, EP-Gruene/-br-)


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