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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Jaenner 2005; 19:55
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Prinzipielles/Glosse:

> Die Holschuld

Bei "Offen gesagt" am Sonntag wurde im Zuge der Debatte um die
Verfassungsreform die Frage aufgeworfen, warum den zum Beispiel
Landeshauptleute nicht direkt gewaehlt werden koennten. Doch mehrheitlich
kam dann die Meinung zum Ausdruck, dass sich dann der "Landeshauptmann nicht
ruehren" koennte, wenn er im Landtag keine Mehrheit haette.

Im "Standard" vom Montag lesen wir einen Kommentar von Roman David-Freihsl,
dass "die sogenannte Basis" der Wiener Gruenen mit ihrer Entscheidung fuer
angebliche "Fundi"-Kandidaten wohl nicht ganz bei Trost gewesen sein koenne.
Schliesslich waere damit nicht nur eine Zusammenarbeit mit der OeVP auf
Bundesebene gefaehrdet, sondern auch eine Wiener rot-gruene Koalition
problematisch: "Mit wem soll Haeupl den realistischerweise verhandeln, wenn
ein Christoph Chorherr weit nach hinten und ein Routinier und Rathausinsider
wie Guenther Kenesei gleich ganz rausgedraengt wurden?"

Eine ganz bestimmte Grundhaltung verbindet diese beiden
Meinungsaeusserungen: Die Angst vor demokratischen Prozessen. Ein bisserl
Demokratie sei ja in Ordnung, aber das duerfe nicht dazu fuehren, dass das
politische Geschaeft behindert werde.

Immer ist noch -- oder auch schon wieder -- die Grundhaltung vorhanden, dass
"checks and balances" oder die Trennung von Gewalten nie soweit gehen
duerften, eindeutige Hierarchien zu gefaehrden. Die Politikprofis verstehen
Politik als etwas, wo sie sich moeglichst grosse Gestaltungsspielraeume
erkaempfen muessten und es sei doch voellig ausreichend, wenn sie hie und da
mit Amtstraeger auf ihrer eigenen Stufe streiten muessen. "Effizienz" nennt
man das, wenn die Hierarchien steil sind und eindeutig. Sie sehen sich als
"Volksvertreter", gerieren sich aber eher als Machtarbeiter, die moeglichst
effektiv ihre Vorstellungen umsetzen moechten. Sie haben schon genug damit
zu tun, die Kapital-Lobbyisten zufriedenzustellen, und fuehlen sich daher
generell immer nur in ihrer segensreichen Arbeit behindert. Weitere
Stoerungen sind nicht erwuenscht. Wenn das Parteivolk pariert und die von
Journalisten und Meinungsforschern gewaehlten Chefs genauso akzeptiert oder
wenn die Legislative brav Gesetze beschliesst, die sich die Regierung
wuenscht, dann ist alles in Ordnung. Und das nennen sie dann Demokratie.

Aber wieso ist es ein Problem, wenn eine Partei ihre Spitzen abwaehlt, wenn
sie mit ihnen nicht zufrieden ist? Wieso ist es ein Problem, wenn ein
Landeshauptmann und seine Beamten Gesetze vollziehen muessen, die sie nicht
selbst diktiert haben? Es ist deswegen ein Problem, weil es den Betroffenen
selbst ein Problem ist; Weil sie es vorziehen, in obrigkeitlichen Systemen
zu operieren, anstatt sich mit geteilter und kontrollierter Macht
zufriedenzugeben. Und sie sorgen immer wieder dafuer, dass sich an diesen
Verhaeltnissen nicht aendert, denn sie behaupten ihre Definitionsmacht, was
denn Demokratie sei -- egal ob es sich dabei um rote, schwarze, blaue oder
gruene Politiker handelt.

Tatsaechlich kann man ihnen das aber gar nicht vorwerfen. Es sind die
Uebervorteilten selbst, die daran schuld sind. Sie haben ihre "Spitzen"
selbst da hinaufgebracht, sehr wohl wissend, dass ein bisschen Macht den
Appetit auf mehr macht -- aber schliesslich hamma das imma schon so gemacht
und ueberhaupt ist das ja "professionell". Es ist deren eigener autoritaerer
Charakter, ihr eigenes Obrigkeitsdenken, dass die Demokratie nicht
funktionieren koenne, wenn man nicht auf altbewaehrte Rezepte vertraue. Es
ist das Denken, dass es fuer ein funktionierendes Gemeinwesen ein Oben geben
muss.

Egal ob es sich um etablierte Landtagsabgeordnete, Parteibasiswappler oder
ganz allgemein das Volk handelt, sie -- und also auch wir alle -- sind
aufgefordert, die von ihnen resp. uns Erhobenen zum Omnipotenzverzicht zu
bringen oder sie gleich zu demontieren. Denn Demokratie ist keine
Bringschuld der Maechtigen, sondern eine Holschuld der Gegaengelten. Eine
Runterholschuld naemlich.
*Bernhard Redl*


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