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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Dezember 2004; 02:44
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Nordirland:

> Schuld und Suende

Beim Streit um das letzte Detail geht es um mehr als ein paar
Schnappschuesse fuer Ian Paisleys Familienalbum. (Bericht vom 16.12.)


Der Mann versteht es, immer noch einen draufzusetzen. Natuerlich sei er
bereit, Gerry Adams zu treffen, sagte lan Paisley, Vorsitzender der
radikal-protestantischen Partei DUP, am letzten Wochenende. Wenn Adams, Chef
der IRA-nahen Partei Sinn Fein, «morgen zu mir in die Kirche kommt, um ueber
die Suende zu reden und darueber, wie man davon wegkommt, werde ich mit ihm
sprechen. Sonst aber nicht.» Ist es Chuzpe oder die reine Bigotterie, die
den Sektengruender Paisley solche Sprueche klopfen laesst - und das
ausgerechnet in diesen Tagen, in denen eine Einigung der Konfliktparteien so
nahe schien wie selten zuvor?

Noch Mitte letzter Woche schien ein Abkommen der beiden groessten Parteien
in Nordirland in greifbarer Naehe. Nach Jahren des politischen Stillstands -
das Regionalparlament war zwar gewaehlt, trat aber nicht zusammen, weil sich
die Kontrahenten nicht auf eine Regionalregierung einigen konnten - haben
die protestantischen Hardliner der DUP und selbst ihr mittlerweile 78 Jahre
alter Chef etliche Zugestaendnisse gemacht. Sie sind nun bereit, das Prinzip
der Machtteilung zu akzeptieren und mit ihren alten Widersachern von Sinn
Fein die Regierungsverantwortung zu teilen - eine Haltung, die sie vor der
letzten Wahl noch heftig bekaempft hatten. Sinn Fein erklaerte sich im
Gegenzug damit einverstanden, die ehemalige Untergrundorganisation IRA ein
fuer alle Mal zu entwaffnen, und die neue, wenngleich noch immer
protestantisch dominierte Polizeiorganisation von Nordirland zu
unterstuetzen. Tony Blair und Bertie Ahern, die Premiers von Britannien und
Irland, hatten bereits die Weltmedien aufgeboten, um ihnen freudestrahlend
den so lange erwarteten Durchbruch im blockierten Friedensprozess zu
verkuenden. Doch dann platzte die Feier.

DUP und Sinn Fein konnten sich in einem winzigen Detail nicht einigen:

Wer ueberprueft die endgueltige Entwaffnung der IRA? Sinn Fein war bereit,
die Zerstoerung des IRA-Arsenals vor den Augen einer Internationalen
Entwaffnungskommission, eines katholischen Priesters und eines
protestantischen Pfarrers vorzunehmen. Die DUP hingegen bestand auf
fotografischen Dokumenten: Sie muessten ihrer Gefolgschaft zeigen koennen,
dass die IRA keine Gefahr mehr darstelle. Paisley, der vor vierzig Jahren
bereits gegen eine IRA gewettert hatte, die es damals in dieser Form nicht
gab, fordere jetzt die bedingungslose Kapitulation seines Erzfeindes,
schrieben manche Kommentatoren. Da ist was dran. Erst muesse die IRA in Sack
und Asche durch Belfasts Strassen ziehen, bevor er mit Sinn Fein verhandele,
hatte der Prediger vor nicht allzu langer Zeit erklaert.

Dies aber erklaert noch nicht die schroffe Ablehnung, auf die Paisleys
Ultimatum stiess. Auch die Sinn-Fein-Fuehrung weiss, dass der Krieg seit
langem vorbei ist, dass die Waffen nicht mehr gebraucht werden, dass die IRA
nur noch Geschichte ist. Demuetigungen in der Art, wie Paisley sie jetzt mit
seiner Forderung nach Fotos von der Waffenabgabe verlangt, hatten Gerry
Adams, Martin McGuinness und all die anderen arrivierten ehemaligen
IRA-Fuehrer in den letzten Jahren klaglos hingenommen. Sie liessen sich auf
ihrem Weg nach oben von einer Einbahnstrasse in die naechste fuehren,
sprangen durch jeden Reifen und huepften ueber jedes Stoeckchen, das man
ihnen hinhielt. Sie hatten den Staat, den sie aus guten Gruenden von unten
bekaempft hatten, nicht besiegen koennen, und arrangierten sich mit dem
Gegner.

Aber ihre Geschichte haben sie nicht vergessen. Und sie wissen um die Macht
der Bilder. Die Fotos, die die Kapitulation der IRA dokumentieren sollen,
koennten nicht nur fuer allerlei Propagandazwecke genutzt werden. Sie waeren
auch Beleg dafuer, dass der bewaffnete Widerstand gegen die protestantischen
Pogrome und die Unterdrueckung durch die britische Kolonialmacht von Anfang
an falsch gewesen war. Sie wuerden auch in allen kuenftigen
Geschichsbuechern abgedruckt - moeglicherweise mit dem Hinweis darauf, dass
Sinn Fein wie so viele andere irische Parteien vor ihr einen schlechten
Frieden mit den Briten geschlossen hatte, der irgendwann spaeter neue
Konflikte erzeugte.

Von solchen Konflikten kann heute keine Rede sein - obwohl die katholische
Minderheit in Nordirland heute auf dem Arbeitsmarkt noch staerker
diskriminiert wird als frueher. Daher trauen auch viele dem Frieden nicht so
recht. So manche wuerden die Waffen gern behalten, zur eigenen Sicherheit -
und intern hatte das die Sinn-Fein-Fuehrung ihrer Gefolgschaft auch
versprochen, allerdings nur, um diese zu beschwichtigen.

Von den protestantischen Paramilitaers, die in den letzten fuenfzehn Jahren
weitaus mehr Menschen in Nordirland getoetet haben als die IRA und die eine
Entwaffnung strikt ablehnen, spricht uebrigens niemand - nicht lan Paisley
und schon gar nicht die britische Regierung, die bei vielen Mordanschlaegen
ihre Finger im Spiel hatte.
(Pit Wuhrer, WoZ 51/04)


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