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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. November 2004; 19:56
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SPOe/Glosse:

> Gewaehlt wird nicht, was auf den Tisch kommt!

Die Wahlergebnisse von SPOe-Parteitagen lassen gestandene KP-Nostalgiker vor
Neid erblassen. Man stelle sich vor: 99,5 % oder gar 99,8 % Zustimmung fuer
den jeweiligen Parteileader. In der politischen Erinnerung entstehen
gewaltige Nebelbaenke, in denen sich immer klarer Breschjnew, Kim Il Sung
und Ceaucescu abzeichnen. Nach einigen Gedenk- oder Schrecksekunden ist
unsereiner wieder in der Realitaet angekommen, in der solche Wahlergebnisse
ueblicherweise nicht in Musterstaaten der Demokratie entstehen. Unter diesem
Gesichtspunkt koennte es sogar als durchaus wohltuend empfunden werden, dass
Alfred Gusenbauer nur 89 % der Delegiertenstimmen des aktuellen Parteitages
erhalten hatte. Unter dem Strich hatte er also mangels eines Gegenkandidaten
elf Prozent Streichungen hinzunehmen. ,Gusi' selbst war darueber jedoch tief
traurig - der ORF wusste von seiner ,Leichenbittermiene' zu berichten.
Trotzdem nahm er natuerlich die Vertrauenskundgebung der Delegierten seiner
Partei an.

Also gut - Gusenbauer wird in zwei Jahren als Spitzenkandidat der
Sozialdemokraten bei den wohl wichtigsten Nationalratswahlen der letzten
Jahrzehnte antreten. Die dazu noetige Kampfbereitschaft soll mit dem neuen
Slogan ,Startklar' signalisiert werden. Damit und mit der zu 89 %
gestaehlten Partei soll es jetzt ernst werden: Schluss mit der durch die die
Koalition hervorgerufenen katastrophalen Situation, Schluss mit den staendig
aus der Huefte geschossenen ,Blitzgesetzen' und daher auch Schluss mit den
rein wirtschaftsfreundlichen Gesetzen, waehrend die Bevoelkerung enorm
geschroepft wird. Auf in eine neue sozialdemokratische Zukunft ohne VP und
FP! Naja, meinen jetzt die Skeptiker, besser als das bestehende Kabinett ist
bald wer. Aber waere die SP im Falle ihres Wahlsieges auch in der Lage, z.B.
die Pensionsreformen wieder zurueckzunehmen und koennte sie die VOEST wieder
verstaatlichen? Waere sie bereit, die Studiengebuehren aufzuheben, die
Rezeptgebuehren zu senken, die VA-Tech wieder unter oesterreichischem
Einfluss zu bekommen? Wuerde sie das Unwesen mit den staendigen
Rueckfluessen an den Staat verhindern, damit die Regionen und Laender wieder
ausreichend wirtschaften koennen? Tritt sie gegen die Schliessung von
Postaemtern auf und besteuert sie die, die vom derzeitigen System ungeheuer
profitieren?

Fragen ueber Fragen. Ueber der Erleichterung ueber die von der SP
(hoffentlich) gewonnenen naechsten NR-Wahlen liegen natuerlich, missguenstig
wie wir mal sind, folgende Gedanken: Die derzeitige Situation strotzt
zunehmend von monstroeser Ekelhaftigkeit. Bei einem Wahlsieg der SP
braeuchte diese ihren gluecklichen Waehlern ohne Anstrengung nur jeweils
kleine Brocken vorzuwerfen, die allein schon Veraenderungen signalisieren.
Dann haette die derzeitige Koalition die Drecksarbeit geleistet, mit der es
sich in Zukunft leicht regieren laesst. Aber lassen wir die Grauslichkeiten
beiseite und denken wir mal an fruehere Koalitionsbildungen der ehrwuerdigen
Sozialdemokratie. Bruno Kreisky hat Friedrich Peter mit einer Neuwahl ins
Out gedraengt, Wolfgang Schuessel hat Joerg Haider domestiziert - welche
Koalition koennte Gusi eingehen, ohne politisch einzutrocknen? Ausser seinem
oeffentlichen Auftreten ist ihm nichts Unehrenhaftes vorzuwerfen.
Moeglicherweise entdecken spaetere Generationen sogar an ihm so etwas wie
charismatische Zuege. Koennte er sich soweit entwickeln, seinen
Koalitionspartner so um den Finger zu wickeln, dass noch sowas wie
sozialdemokratische Politik zu erkennen ist? Waere es z.B. beim
naheliegenden Partner Van der Bellen nicht eher umgekehrt? Il Professore
schaetzt es, politisch unberechenbar zu sein und ab und zu Sympathien fuer
die OeVP zu entwickeln. Naheliegenderweise wuerde er als Juniorpartner von
Schuessel fuer soziale Kompetenz in den Himmel gelobt werden - mit der SP
haetten die Gruenen jedoch kaum so riesige Diskrepanzprobleme. Aber die
Einzigartigkeit des Herrn Professor wuerde in einer SP-und Gruenen-Koalition
nicht ganz so einzigartig aussehen. Was wiederum er nicht so mag.

Naja, auf jeden Fall gilt es in zwei Jahren, politische Entscheidungen zu
treffen. Bei bestem Willen ist den Gruenen zuzutrauen, dass sie
gegebenenfalls eine schwarz-gruene Koalition bilden. Sie wuerden damit die
derzeitige politische Katastrophe zwar eine kleine Spur netter aussehen
lassen, die ueble Geschichte aber nur bis zu den uebernaechsten Wahlen zum
Leidwesen der Bevoelkerung prolongieren. Dies fuehrt zu der mir am
logischsten erscheinenden Wahlstrategie: Solange sich die Gruenen nicht klar
und oeffentlich gegen eventuelle Koalitionsvereinbarungen mit der VP und der
FP aussprechen und dies auch notariell verankern lassen, gilt meine Stimme
bei aller durchaus angebrachter Skepsis den Sozialdemokraten - trotz
Gusenbauer!
*Fritz Pletzl*


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