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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. September 2004; 18:28
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Recht:

> Haftentschaedigung: Jetzt neu mit Menschenrechtsgarantie

Mit dem "Strafrechtlichen Entschaedigungsgesetz 2005" wird die
Haftentschaedigung neu geregelt. Zwei menschenrechtswidrige Bestimmungen der
derzeitigen Regelung werden damit korrigiert: Erstens hatte bisher nur
Anspruch auf Haftentschaedigung, wer saemtliche gegen ihn bestehenden
Verdachtsmomente ausraeumen konnte. Wer also "im Zweifel" freigesprochen
wurde, galt zwar rechtlich als unschuldig, bekam aber nicht notwendigerweise
Haftentschaedigung. Das widersprach der Unschuldsvermutung.

Zweitens musste man sich vor einer Klage wegen Haftentschaedigung bisher vom
zustaendigen Strafgericht per "Grundsatzbeschluss" bestaetigen lassen, dass
die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind. Erst dann konnten
Schadenersatzansprueche geltend gemacht werden. Da der "Grundsatzbeschluss"
in nicht oeffentlicher Verhandlung fiel, war auch dies ein Verstoss gegen
Art. 6 der Menschenrechtskonvention ("Recht auf faires Verfahren").

Im neuen Gesetz, das ab 1. Jaenner 2005 gelten soll, entfaellt dieser
Zwischenschritt ueber die Strafgerichte. Schadenersatzansprueche sind direkt
an die Finanzprokuratur zu richten, die binnen drei Monaten darueber
entscheiden muss. Danach koennen die Entschaedigungsansprueche
zivilrechtlich eingeklagt werden.

Grundsaetzlich ist Haftentschaedigung sowohl fuer Strafhaft als auch fuer
Untersuchungshaft moeglich, und zwar in drei Faellen: Nach "gesetzwidriger
Haft", nach "ungerechtfertigter Haft" (sprich: nach einem Freispruch bzw.
wenn das Verfahren eingestellt wird), sowie in Faellen, wo nach
Wiederaufnahme des Verfahrens das Strafausmass heruntergesetzt wird und die
bereits "abgesessene" Haftdauer das Strafausmass uebersteigt.

Eingeklagt werden kann sowohl Verdienstentgang als auch Schmerzensgeld.
Letzteres liegt im Ermessen der Gerichte. Das Justizministerium geht von
Tagsaetzen bis zu 100 Euro aus. Die jaehrlichen Mehrkosten der Neuregelung
werden mit bis zu 600.000 Euro beziffert. (APA, Rechtsdatenbank/gek.)

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Kommentar:

> Man wird sehen

Schoen. Man hat es also endlich geschafft. Lange mahlten die Muehlen des
Justizministeriums. Nachdem bereits Minister Michalek zu grosskoalitionaeren
Zeiten gemeint hatte, dass eine Haftentschaedigung fuer alle
Freigesprochenen "an sich wuenschenwert" waere und vor mittlerweile 3 Jahren
sich dieser Meinung auch der Europaeische Gerichtshof fuer Menschenrechte
recht vehement angeschlossen hatte, ist zumindest erfreulich was
herausgekommen ist -- immerhin haette der Spruch der Strassburger Richter
eine Deutung erlaubt, wonach man zwar bei Freispruch, aber nicht bei
Verfahrenseinstellung Geld gesehen haette.

Dennoch gilt es jetzt wohl sehr genau zu beobachten, ob diese
Gesetzesaenderung nicht einen Einfluss auf die Spruchpraxis unserer
Strafgerichte haben wird. Sicher, es gibt Richter, die fragen eine
Polizisten wie einen beliebigen Zeugen und nicht wie einen Beamten-Kollegen.
Es gibt Richter, wo der Begriff "Fair Trial" mehr als nur ein
Lippenbekenntnis ist. Es gibt Richter, die sich nicht von der Tatsache
beeindrucken lassen, dass ihre Amtsraeume nicht allzuweit von denen der
Staatsanwaelte entfernt sind.

Es gibt aber auch Richter, die verurteilen einen Angeklagten zu genau jener
Haftlaenge, die er bereits in U-Haft abgesessen hat -- und bedeuten ihm,
dass ihm Falle einer Berufung der Staatsanwalt auch in Berufung gehen
koennte, was seine Haft verlaengern wuerde. Es gibt Richter, die verurteilen
einen Beschuldigten, weil er es "verdient" habe, nicht weil er schuldig
waere. Und es gibt Richter, die jemanden in U-Haft halten, um ihn dann im
Zweifel freizusprechen -- so kann man ihn bestrafen, ohne ihn zu
verurteilen. Das kommt vielleicht nicht oft vor, aber es genuegt.

Man muss in den naechsten Jahren sehr auf die Statistik achten. Denn wenn in
Zukunft mehr Schuldsprueche gefaellt wuerden, darf man sich die Frage
stellen, ob es vielleicht daran liegen koennte, dass man den Delinquenten
nicht auch noch mit einer Haftentschaedigung "belohnen" moechte.

Aber vielleicht habe ich einfach eine viel zu schlechte Meinung ueber unsere
Strafrichter... *br*




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