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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Juni 2004; 03:11
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Frankreich/Privatisierung:

> Die Robin Hoods von Paris

In Frankreich will die Regierung die Elektrizitaets- und Gasbetriebe
privatisieren. Die Gewerkschaften wehren sich. Auf ziemlich unkonventionelle
Art.

In Paris tobt wieder ein Arbeitskampf. Diesmal geht es um den Strom. Zuerst
gab es Grossdemonstrationen (mit rund 80000 Beschaeftigten), dann folgten
subtilere Methoden: Stromabschaltungen. Im Laufe der letzten anderthalb
Wochen gingen beim Elysée-Praesidentenpalast, beim Arbeitgeberverband Medef
und bei einigen Parlamentariern zu Hause die Lichter aus. Die Aktionen
richten sich gegen die Privatisierung der franzoesischen
Energieversorgungs-Unternehmen EDF (Electricité de France) und GDF (Gaz de
France). 138000 Angestellte arbeiten dort.

Die Parlamentsdebatte zur Umwandlung der Staatsbetriebe in
Aktiengesellschaften laeuft seit dem 15. Juni, und inzwischen sind die
Protestaktionen der Beschaeftigten kaum noch zu zaehlen. Die endgueltige
Abstimmung in der Nationalversammlung ist fuer kommenden Dienstag angesetzt.

Der Versuch, EDF und GDF zu privatisieren, ist ein Bruch mit der Geschichte
Frankreichs. Die Vergesellschaftung der Energieversorgung war das Produkt
der Periode unmittelbar nach der Befreiung vom Faschismus. Damals regierte,
von 1944 bis 1947, eine Koalition unter Einschluss der Kommunistischen
Partei das Land. Die Ueberbleibsel jener Periode sollen jetzt definitiv
beseitigt werden.

Atomkraftwerke privat?

Die Gewerkschaften warnen, die Energiepreise fuer VerbraucherInnen wuerden
infolge der Privatisierung nicht sinken, sondern steigen. Das zeigten die
Erfahrungen mit der Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung in vielen
franzoesischen Gemeinden. Dort sind die Wasserpreise zwischen 23 und 144
Prozent hoeher als dort, wo die oeffentliche Hand die Wasserversorgung
kontrolliert. Aber die Gewerkschaften stoeren sich auch an etwas anderem: an
der allfaellig privaten Kontrolle der derzeit 56 in Betrieb stehenden
Atomkraftwerke in Frankreich. Man frage sich, was das fuer die Sicherheit
bedeute, wenn diese Anlagen privatwirtschaftlichen Rentabilitaetskriterien
unterstellt wuerden.


Die Gewerkschaft und der Filz

So einleuchtend die Argumente und Hinweise der Gewerkschaften sein moegen,
die mit Abstand staerkste Gewerkschaft in der Branche, die CGT, hat ein
Glaubwuerdigkeitsproblem: Die Organisation war Jahrzehnte lang derart tief
in einen dichten Filz, namentlich den der Atomlobby, eingesponnen, dass sie
nun dadurch erpressbar ist. So wurden im April dieses Jahres die Bueros des
zentralen Betriebsrates von EDF polizeilich durchsucht. Der Betriebsrat
verwaltet ein Milliardenbudget fuer soziale und andere Dienstleistungen und
wird von der CGT beherrscht. Die Ermittlungsbehoerden waren auf der Suche
nach Dokumenten zu vermuteten Geldhinterziehungen und fiktiven
Beschaeftigungsverhaeltnissen.

Es ist seit laengerem ein offenes Geheimnis, dass es massive Hinterziehungen
unter anderem mittels Scheinbeschaeftigungsverhaeltnissen ueber den
EDF-Betriebsrat gegeben hat. Auf diesem Wege wurde die franzoesische
Kommunistische Partei finanziert, vor allem auch, seit diese, spaetestens
mit ihrer Regierungsbeteiligung ab 1997, massiv Mitglieder verlor. Das war
natuerlich auch in Regierungs- und Behoerdenkreisen bekannt. Die
polizeilichen Durchsuchungen koennen als eine Art Warnschuss vor den Bug der
Gewerkschaft gelten.

Es scheint jedoch, dass die CGT, die unter massivem Druck ihrer Basis steht,
hart bleiben und weitere Aktionen durchfuehren will, wenn auch in
modifizierter Form. Es geht ums Image. Anfang Juni noch war der Strom unter
Beihilfe der Gewerkschaften an drei Pariser Bahnhoefen ausgefallen, wodurch
eine halbe Million Fahrgaeste - vor allem in Pendlerzuegen zwischen Paris
und den Vororten - einen halben Tag festsassen. Dadurch hatten die
Protestierenden einen Teil der oeffentlichen Meinung gegen sich gekehrt. Die
Boulevardpresse nutzte dies zum Anlass fuer eine Antigewerkschaftskampagne,
insbesondere das rechte Boulevardblatt «France Soir». Die Zeitung verglich
die Aktivisten mit islamistischen Terroristen.


Strom fuer die Armen

Daraus haben die Protestierenden ihre Lehren gezogen und ihre Methoden
geaendert. Seitdem versuchen sie, das Publikum moeglichst in ihre
Protestaktionen einzubeziehen. Seit Montag dieser Woche laeuft eine «Aktion
Robin Hood»: Die CGT und drei andere Gewerkschaften rufen die
EDF-Beschaeftigten systematisch dazu auf, solche Haushalte wieder an das
Stromnetz zu nehmen, die aufgrund von Armut oder finanziellen
Schwierigkeiten ihre Rechnungen nicht bezahlt haben. Bei dieser Gelegenheit
erfuhr die staunende Oeffentlichkeit, dass 250 000 finanzschwache Haushalte
im Dunkeln sitzen. (Bernhard Schmid, WoZ 26/2004)

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Quelle: http://www.woz.ch/artikel/archiv/10154.html


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