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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Mai 2004; 17:11
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Oekonomie:

> Vertrauen ist besser

Das "Hawala-System" des Geldtransfers soll staerker kontrolliert werden,
weil es angeblich von Terroristen missbraucht wird. Doch Kriminelle bedienen
sich des legalen Bankensystems.



Ein »Banksystem fuer den Terrorismus« nannte es das US-Magazin Time, ein
Interpol-Bericht dagegen raeumt ein, dass es »kostenguenstig, effektiv,
vertrauensvoll und voellig unbuerokratisch ist«. Seit den Anschlaegen vom
11. September wird den »Informal Money Transfer Systems« (IMTS) nachgesagt,
dass sie der Finanzierung terroristischer Netzwerke dienen. Anfang April
beschaeftigte sich in Abu Dhabi zum zweiten Mal eine internationale
Konferenz mit den IMTS und ihrer Kontrolle.

In Pakistan wird das System »Hundi« genannt, die Chinesen bezeichnen es
als »Fei ch'ein«, und in Lateinamerika heisst es das »kolumbianische
System«. Am bekanntesten aber wurde das »Banksystem der Armen« unter der in
den meisten islamischen Staaten gebraeuchlichen Bezeichnung »Hawala«.

Es wird von Emigranten genutzt, um unabhaengig vom normalen Bankverkehr
schnell, sicher und billig Geld zu ueberweisen. Fuer Arbeitsmigranten, die
haeufig Kleinbetraege ueberweisen, sind nicht nur die hohen Bankgebuehren
abschreckend. Illegalisierte koennen nicht die geforderten Papiere
vorweisen, Analphabeten muessen fuer das Ausfuellen haeufig mehrseitiger
Formulare zusaetzlich einen Schreiber bezahlen, und Banken sind in
Entwicklungslaendern oft nur in groesseren Staedten vorhanden.

Eine Hawala-Ueberweisung kostet in der Regel nur 0,5 bis 1,25 Prozent und
beruecksichtigt den guenstigeren Devisenwechselkurs des Schwarzmarkts. Sie
basiert auf Vertrauen und dem »Gewohnheitsrecht«. Der IMTS-Operator
(Hawaladar) schickt ein Fax, eine E-Mail oder telefoniert mit seinem
Kontaktmann und teilt ihm die Summe und das Codewort mit, das zum Empfang
des Geldes berechtigt. Es kann schon eine Stunde spaeter beim
Lebensmittelhaendler, im Goldgeschaeft oder einem Elektroladen in der
naechsten groesseren Ortschaft abgeholt werden.

Der Kontaktmann kann aus der eigenen Familie oder aus einer Familie stammen,
die seit Generationen im »Ueberweisungsgeschaeft« taetig ist. In den rund
200 Jahren, in denen die IMTS in Asien und im Mittleren Osten bereits
existiert, haben sich feste Strukturen entwickelt. Missbrauch, Korruption
und Veruntreuung sind sehr selten. Nur ein einziger Betrug oder kleiner
Fehltritt bedeuten fuer den Transfervermittler eine lebenslange
Berufssperre.

Etwa 300 Millionen Menschen nutzen dieses System, die jaehrlich
transferierte Summe wird von der Weltbank auf 90 Milliarden Dollar
geschaetzt, einem Bericht des Commonwealth zufolge sollen es zwischen 100
und 300 Milliarden Dollar sein.

Weniger Vertrauen als die Migranten hegen Ermittlungsbehoerden. Al-Qaida
soll diese Form der Geldueberweisung fuer ihre Zwecke nutzen. Diese Form
der »Schattenwirtschaft« ist aber auch aus ganz anderen Gruenden den Banken
und den Finanzbehoerden ein Dorn im Auge. Fuer die Banken sind die IMTS eine
nicht zu schlagende Konkurrenz, fuer die Finanzaemter ein Verlust an Steuern
und fuer die Zentralbanken mit fixen Wechselkursen eine Absage an ihre
Devisenpolitik.

In den letzten Jahren versuchte man, den IMTS immer wieder ein Ende zu
bereiten. Die Western Union senkte ihre Gebuehren um ueber 50 Prozent. Im
Libanon, Aegypten und Jordanien reduzierten die Banken ebenfalls die
allgemeinen Transferkosten und entwickelten einen Schluessel speziell
fuer »Gastarbeiter«. Doch alle Versuche, den riesigen Wirtschaftszweig zu
uebernehmen oder nur einen kleinen Teil des Kuchens zu bekommen, schlugen
fehl.

Da kommt nun der Vorwurf des Missbrauchs durch Terrororganisationen gerade
recht. Nach dem 11. September hiess es, das Hawala sei von den
Flugzeugentfuehrern benutzt worden. Doch auch der Commonwealth-Report
bestaetigt, dass die Attentaeter ihr Geld ueber Western Union und andere
ganz legale Bankwege verschickt und empfangen haben.

Eine Nutzung der IMTS durch Kriminelle ist im Einzelfall moeglich, doch die
Wahrscheinlichkeit, dass Hawaladars durch Terroristen oder Geldwaescher
korrumpiert werden, ist gering. Jeder IMTS-Operator, der sich auf Dauer mit
einer kriminellen Gruppe einlaesst, wird frueher oder spaeter von seinen
Kollegen mit einem faktischen Berufsverbot belegt. Man gibt ihm keine
Auftraege mehr und nimmt auch von ihm keine mehr an.

Ohnehin benutzen kriminelle Organisationen bevorzugt legale Bankwege, um
grosse Summen zu transferieren oder zu waschen. Regelmaessig ohne jegliche
offizielle Referenz Millionen Dollar ueber die IMTS zu verschicken, ist wohl
ein Ding der Unmoeglichkeit. Selbst die Taliban haben es in Afghanistan
nicht geschafft, das Hawala zu instrumentalisieren. Die IMTS operieren nicht
im Untergrund, sie sind fuer jedermann zugaenglich. Sie erfuellen eine
wichtige oekonomische Funktion. Deshalb duerfte es kaum moeglich sein, sie
zu unterdruecken.

Diese Erkenntnis setzte sich auch in Abu Dhabi durch, wo die
Erfahrungsberichte internationaler Institutionen diskutiert wurden. Auf der
Konferenz »wurde die Bedeutung der IMTS als integraler Bestandteil des
internationalen Finanzsystems hervorgehoben«, berichtete die Tageszeitung
Gulf News. Es beduerfe groesserer Transparenz und Kontrolle,
eine »Ueberregulierung« aber muesse vermieden werden, da die Hawaladars sich
dann jeglicher Ueberwachung entziehen wuerden.

Im Juni 2003 vergab die Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate
bereits ueber 60 Lizenzen fuer Hawala-Geschaefte, um einen moeglichen
illegalen Missbrauch zu verhindern. »Wir haben in nur 15 Monaten erfolgreich
mehr als 100 Hawaladars unter regulative Kontrolle gebracht«, lobte Sultan
bin Nasser al-Suweidi, Gouverneur der Zentralbank, auf der Konferenz seine
Bemuehungen.

Nicht ganz so optimistisch aeusserte sich der IWF-Vertreter Barry
Johnston: »Es ist zu frueh und auch schwierig, den Erfolg dieser Massnahmen
zu beurteilen.« Es gibt jedoch neben der staatlichen Kontrolle im
Hawala-System eine interne Selbstregulierung, die dem offiziellen
Finanzsystem nicht selten fehlt.

J. Orlin Grabbe, ein ehemaliger Professor der Wharton School of Business,
der heute in Dubai lebt, formulierte es so: »Im einem der Stockwerke der
Citibank in Manhattan scheint niemand zu arbeiten, bis das Telefon
ploetzlich laeutet. Dann werden Notizen gemacht, Instruktionen gefluestert,
die Tastaturen der Computer klappern. Die Maenner dort transferieren Geld zu
Exporteuren, zu Drogenhaendlern, Steuerfluechtlingen, an korrupte Politiker.
Und an Terroristen. Ganz klar: es ist Zeit, die Citibank zu schliessen.«
(alfred hackensberger, Jungle World, 28.4.04)

Quelle: http://www.jungle-world.com



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