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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Februar 2004; 19:03
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Aethiopien:

> Wir Kinder der Autos

Briefe aus Afrika. Teil 2

Lisa Langbein berichtet von einem Hilfseinsatz fuer "Aerzte ohne Grenzen"
(MSF)

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Boditi, am 16. Dezember 2003

Oder: am 6.4.1996. Also jetzt weiss ichs schon ein bisserl besser mit dem
hiesigen Kalender. 13 Monate gibts, 12 lange und einen kurzen. Und jetzt ist
obiges Datum.

Hier ist Alyosha ueber uns hereingebrochen. Ein australischer Arzt mit einer
Vorliebe (und der Aufgabe) fuer Statistik. Ausserdem ist er aeusserst
energiereich, schnell und oft recht unklar... aber es ist so eine Sache mit
unseren Daten aller Art, sie sind oft ein bisserl wackelig und in ihrer
Herkunft nicht immer ganz zweifelsfrei. Das stoert Alyosha weniger, er will
nur viel mehr davon.

Ich bin auf der Suche nach allen Gesundheitstuetzpunkten durch den ganzen
Bezirk gefahren. Ueber Stock und Stein, durch gruene Landschaft, die mich an
Irland erinnert hat, durch Doerfer mit riesigen Dorfplaetzen, vorbei an
runden Haeusern mit Strohdaechern, durch Baeche und ueber Holzbruecken.

Die Gesundheitszentren sind recht unterschiedlich, die
Behandlungsmoeglichkeiten sind aber ueberall sehr begrenzt. Die Malaria
scheint ein bisserl zurueckzugehen, immer noch recht schlimm, aber nicht
mehr so dramatisch wie es schon war. Trotzdem hab ich aus einigen Bezirken
gehoert heute, dass es wieder viele Kranke gibt. Also keine Entwarnung.

Mittwoch, 17.Dezember

Daten, Daten, Daten... es ist echt witzig, staendig will er was anderes und
ich geh auf die Suche, was ich dafuer haette in dem Computer, den ich noch
nicht kenne und auf dem auch noch drei andere arbeiten... Jetzt ist Alyosha
zu einem Meeting gefahren und ich brauch eine Pause. Zwei von unserem Team
sind krank. Bauchweh und Fieber, keine Parasiten im Mikroskop auffindbar.
Aber der Vorteil ist, ich kann jetzt auf Mariannes Computer schreiben, sie
ist im Bett. Wir stehen hier zeitig auf, ich meistens schon bald nach 6 Uhr,
da ist die Morgendaemmerung. Jetzt ists nicht gar so kalt in der Frueh, so
13, 14 Grad und es erwaermt sich dann bald. Strahlende Tage.

Ich gewoehn mich auch an die Zeitrechnung, wundere mich nicht mehr, wenn
zwischen 6 und 8 alle beim Mittagessen sind, weils eben nach unserer
Rechnung 12 bis 14 ist. In dieser Zeit steht wirklich ziemlich alles, Lunch
ist wichtig. Wir haben drei Koechinnen, und sie kochen gar nicht schlecht
(nur meistens dasselbe). Es gibt Nudel und Sauce, manchmal auch Reis und
Sauce. Natuerlich gibts auch ein bisserl Ingjera, das hiesige Fladenbrot,
aber freiwillig essen das einstweilen nur zwei von uns (nicht die beiden
Kranken). Ingjera wird aus Tefft gemacht, das ist eine Getreidesorte die es
fast nur in Ethiopia gibt. Kleiner als Hirse. Vor dem Backen wirds vergoren,
sodass es recht saeuerlich schmeckt. Es kommt in Rollen wie Palatschinken,
nur groesser, auf den Tisch, wird auf dem Teller ausgerollt, dann kommt die
Sauce, oder was auch immer drauf und mit dem Rest von Ingjera ist das Ganze
dann leicht mit der Hand zu essen. Ich hab mich trotzdem damit noch nicht
anfreunden koennen.

Dafuer gibts sehr viele verschiedene Voegel, die auch teilweise richtig
Musik machen. Einer ist besonders in der Frueh zu hoeren und klingt wie sehr
rhythmische Trommeltanzmusik. Einige aber machen einfache Geraeusche. Wie
unsere Kraehen, nur sind sie noch groesser. Heute zeitig in der Frueh ist
Robin abgereist, unser Logistiker, der einzige, der schon laenger hier war.
Jetzt sind wir alle neu hier.

Ich genier mich richtig, aber ich kenn noch immer die meisten Menschen hier
nicht beim Namen. Es sind so schrecklich viele, insgesamt etwa 250, aber
taeglich hab ich vielleicht mit 60 zu tun. Bei meinem Namensgedaechtnis und
ohne laengere Erfahrung in Afrika ist das recht hart, kann ich euch sagen.
Da brauch ich einfach noch Zeit, daweil mach ich freundliche Nasenloecher
und vermeide direkte Anreden.

Es ist nett zu sehen, wie die Menschen sich hier begruessen. Begruessen ist
sehr wichtig und wird ziemlich ausfuehrlich betrieben. Aber wenn sie
befreundet sind, dann gibts keine Kuesschen, sondern sie legen die Schultern
aneinander. So die rechte Schulter an die rechte Schulter. Im Augenblick
(jetzt ists Donnerstag nachmittag) sind wir hier ziemlich voll. Von Addis
sind zwei Besucherinnen hier und die neue Aerztin ist auch angekommen.
Zusaetzlich erwarten wir noch zwei Menschen heute abend, die werden aber
schon im Zelt schlafen muessen, weil unsere zwoelf Zimmer sind voll.

Ansonsten ist unsere Situation im Augenblick ein bisserl vage, es gab heute
Verhandlungen mit den hiesigen Gesundheitsbehoerden, die sind aber nicht gar
so gut gelaufen. Also wird es weiterer meetings und Verhandlungen beduerfen
und alle Klarheit noch ein Weilchen auf sich warten lassen.

Freitag, 19. Dezember

Die lokalen Gesundheitsbehoerden sind ganz anderer Meinung als wir. Fuer sie
ist die Malaria jetzt unter Kontrolle. Sie haben, aus ihrer Sicht, alles
getan, was getan werden kann. und damit ist, ebenso nach ihrer Meinung,
unser Auftrag hier ziemlich am Ende. Sie sind uebrigens sehr dankbar fuer
unser Engagement bisher. Aber jetzt seis nimmer noetig. So eilen Marianne
und Alyosha von einem meeting ins naechste, bisher ohne Erfolg. Mein
persoenlicher, zugegeben nicht komplett fundierter, Eindruck ist, dass der
lokale Gesunheitsverantwortliche -- aus welchem Grund auch immer -- ziemlich
sauer auf uns ist, und uns bald draussen haben will. Offenbar waren seine
Kreise gestoert.

Unseren Daten entspricht die Einschaetzung nicht. Die Malaria flaut derzeit
etwas ab, ist aber weit (drei- bis fuenffach) hoeher als letztes Jahr um
diese Zeit.

Ich hab also zeitig in der Frueh wieder einmal unser Outreach-Team, das sind
die, die die Statistiken erfragen, in Ferien geschickt. Diesmal bis
naechsten Mittwoch.

Und dann heute wieder eine Runde gedreht um die aktuellen Daten der
Gesundheitsstuetzpunkte zu kriegen. Wurde ueberall freundlich empfangen und
hab Daten erhalten. Also gings wieder einige Stunden ueberland. Es gibt hier
in der Region eine Asphaltstrasse. Die heisst auch so. Alles andere sind
Feldwege (nach unseren Begriffen). Viel Fussgaengerverkehr, einige
zweiraedrige Waegelchen, meist von Eseln gezogen. Diese Wagen schauen sehr
nett aus, wenn dann noch wer mit einem aufgespannten Schirm draufsitzt, komm
ich mir vor wie in einem Jane Austen-Film. Gelegentlich gibts auch ein
Fahrrad oder Moped (so zwei in vier Stunden). Fein, dass es derzeit trocken
ist, wenn ich mir die Wege im Regen vorstelle, dann versinken die Autos
quasi in Gatsch. So gibts nur Loecher, Rinnen, Furten und so weiter. Alles
ist gruen hier. Merkwuerdig ist das Abbiegen von der Asphaltstrasse. Die ist
naemlich erhoeht gebaut, und bei jeder Abzweigung faehrt das Auto zunaechst
in den Abgrund. Da wirds ganz ordentlich schief.

Zur Ausstattung unseres Wohngelaendes, das ja ausschaut wie ein Club Med: Am
grossen Feuer wird taeglich ein Riesentopf Wasser heiss gemacht. Es gibt
zwei Duschen, so richtig, mit Tuer und Armaturen, nur gehen tun sie
natuerlich nicht, also ein Kuebel mit Wasser und ein Krueglein um sich damit
zu benetzen, aber das kann ich ja schon lang perfekt. Sechs Klos gibts hier,
zwei werden hauptsaechlich von den lokalen MitarbeiterInnen benuetzt, vier
eher von uns. Erfreulicherweise gibts keine strenge Trennung. Also vier sind
Aethiopischer Stil, die Loecher sind aber intelligent gebaut, vor allem fuer
Frauen, es gibt da eine Schraege vorn... quasi ein bisserl ein Trichter. Und
zwei sind Europaeischer Stil, da steht eine Klomuschel ganz einsam in der
Mitte und daneben ein grosser Kuebel mit Wasser und ein Krug. Fliesswasser
gibts aber schon auch, wir haben eine Waschmuschel und ein paar Wasserhaehne
in Gelaende. Die funktionieren auch manchmal. Also wirklich fein und
komfortabel.

Samstag, 20. Dezember

Samstag und Dienstag sind Markttage in Boditi. Die Menschen gehen von
weither zu den Maerkten, es sind laendliche Maerkte, vor allem Lebensmittel
von Kleinbauern, Haeufchen mit Getreide und Obst, Zwiebel, Knoblauch,
Avocados, Pfefferoni (getrocknet) und so. Einiges Plastik und Tuecher, viel
Second-Hand Gewand.

Frisch geduscht und zurueck vom Markt. Diana ist fuer drei Tage nach Addis
gefahren. Also, wir sind fuenf Krankenschwestern hier, Marianne, sie ist
Projekt-Verantwortliche. Leila aus Norwegen ist zustaendig fuer die
Buge-Klinik, Lucia aus Deutschland fuer die Klinik in Tomtome Menta, Diana
aus Italien fuer das TFC in Boditi und ich fuer die Gesundheitszentren, die
Outreach Teams und die Daten. Da jetzt Diana nicht da ist, besuche ich halt
auch das TFC. Derzeit sind da drei Malaria-Stationen, eine fuer TBC, eine
fuer Durchfallkinder, fuenf fuer mangelernaehrte Kinder, eine Art
Intensivstation und ein Infektionszelt. Ist nicht klein, das Ding.

Also gestern hatten wir lustige Gespraeche. Nicht sehr weit von hier gibt es
ein sehr entlegenes Gebiet, beim Omo-River. Dort leben die Menschen noch oft
nomadisch und sie haben lange Zeit keine weissen Menschen gesehen. Als dann
MSF kam, mit den weissen MSF-Autos, ging dort die Geschichte, dass die
Weissen von den Autos geboren werden... und ganz anderswo haben Missionare
einmal ein Moped gehabt und nach einer Weile hat der Oberste der Region den
Missionar beiseite genommen und ihn gebeten, wenn sein Tier einmal Junge
bekommt, dann haett er gern eines davon...

(Fortsetzung folgt)



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