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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Februar 2004; 17:09
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SOZIALFOREN/DEBATTE: Das 4.Weltsozialforum in Mumbai/Bombay vom
16.-21.1.2004. Zwei Heimgekehrte ziehen ihre Bilanzen -- und die fallen
recht unterschiedlich aus:

> Ein echter Ruettler

Mumbai war schlicht umwerfend. Noch breiter und farbiger als die bisherigen
Weltsozialforen in Porto Alegre. Auf dem riesigen Ausstellungsgelaende, auf
dem das WSF stattfand, wurde ununterbrochen demonstriert, getanzt und
musiziert. De facto gab es zwei Foren gleichzeitig: "action" unter freiem
Himmel und Diskussionen in den zahllosen Hallen.

Inhaltlich wurde Neuland betreten: neben den klassischen Themen wie
Neoliberalismus, Krieg, Sozialabbau gab es eine Fuelle von Veranstaltungen
und Debatten zu ethnischen Minderheiten, religioesem Fanatismus,
Fundamentalismus, dem Stellenwert der Kultur. Beeindruckend die starke
Beteligung von Frauen. Mit wenig Ressourcen gelang den indischen
OrganisatoreInnen eine Meisterleistung.

Politisch war dies durch die Schaffung einer breiten "Regenbogenkoalition"
aus Gewerkschaften, "neuen "sozialen Bewegungen,
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)und Linksparteien moeglich. Die
OrganisatoreInnen sind bemueht, dass es nicht bei einer einmaligen
Kooperation bleibt, sondern dass auch in Zukunft zusammengearbeitet wird.

Besonders in Indien werden die positiven Konsequenzen des WSF zu spueren
sein. So hatten etwa die Spitzenvertreter der beiden kommunistischen
Parteien CPI und CPI(M) inhaltlich wenig anzubieten. Aber das wichtigste
war, DASS sie anwesend waren,mitarbeiteten und Beruehrungsaengste abgebaut
wurden.

Die Bewegung der Dalit - derjenigen, die ausserhalb des in Wirklichkeit
weiterexistierenden Kastensystems stehen, also wie der letzte Dreck
behandelt werden - hat dem WSF den Stempel aufgepraegt. Ihr "Forum der
Wuerde", das sie auf dem WSF organisierten, war ihr erster landesweiter
Kongress ueberhaupt. Dalit aus anderen Laendern waren gekommen - der Prozess
der internationalen Vernetzung nimmt auch hier konkrete Formen an.

Auf dem gesamten asiatischen Kontinent wird es zu intensivierter Kooperation
fortschrittlicher Kraefte kommen. Extrem wichtig in der aktuellen Situation:
der Meinungsaustausch und die gemeinsame Aktivitaet indischer und
pakistanischer progressiver Organisationen.

Trotz des enormen Erfolgs von Mumbai ist man sich seitens der WSF-Bewegung
klar, dass ein Kreuzungspunkt erreicht wurde. Weitere WSFs koennen nicht
einfach "wie gehabt" abgespult werden. Die inhaltliche Vorbereitung muss
verbessert werden - also mehr problemorientierte Debatten statt blosser
Praesentation von Faktenmaterial. So wurde etwa Brasilien in etlichen
Veranstaltungen vom Podium aus so behandelt,als waere Lula nicht bereits ein
Jahr Praesident und wuerden sich nicht heute ein Reihe neuer Fragestellungen
ergeben.

Einige wenige weltweite Kampagnen sind festzulegen. Es bedarf einer
sinnvollen Kombination von "offenem Raum " - einer wichtigen Errungenschaft,
die nicht verloren gehen darf - und Handlungsorientiertheit. Mit den
weltweiten Demonstrationen gegen den Irak-Krieg im Vorjahr ist das WSF
ansatzweise politisches Subjekt geworden. Diesen Umstand gilt es zu
konsolidieren und weiterzuentwickeln. Die Frage transparenter und
entscheidungsfaehiger Strukturen kann nicht weiter auf die lange Bank
geschoben werden.

Nach dem 5.WSF in Porto Alegre 2005 ist ein groesserer zeitlicher Abstand
zum naechsten WSF ins Auge zu fassen. Super waere es,wenn das 6.WSF in
Afrika stattfaende!

Aus Oesterreich waren gut dreissig TeilnehmerInnen -- ein Drittel
GewerkschafterInnen. Fuer sie war es eine ausgemachte Sache die Erfahrungen
von Mumbai in die Vorbereitung des 2.Austrian Social Forum (ASF) Anfang Juni
in Linz einzubringen.
*Hermann Dworczak*

*

> WSF = We sell forum?

Ueber 100.000 Menschen von allen Kontinenten, aber vor allem aus Indien
waren gekommen. Es gab Veranstaltungen, Demonstrationen und Kultur. Ein
erfolgreiches Treffen? Diese Frage zu beantworten, haengt stark von den
Erwartungen ab. Ich hab es eher als "We sell forum" empfunden.

Das WSF ist bunt, laut und lebendig. Staendig ziehen Demonstrationszuege
durchs WSF-Gelaende, an allen Ecken finden Taenze und Gesaenge statt und
eine Flut von Material bricht ueber die TeilnehmerInnen herein. Allles wirkt
aktiv, kritisch und belebt. Bei naeherem Hinsehen kommen allerdings Zweifel
auf. In einem derart armen Land wie Indien werden Hochglanzfalter und dicke
Broschuerren in 4-Farben-Druck zu hundertausenden kostenlos verteilt. Die
Rolle der NGOs ist keineswegs nur positiv einzustufen. Es finden sich solche
gegen Kinderarbeit, fuer Fairen Handel und die Rechte der "Unberuehrbaren".
Indiesen Organisationen sind viele Menschen, die ernsthaft bemueht sind, die
oft katastrophal schlechte Situation zu veraendern. Gerade in Laendern wie
Indien werden NGOs aber von Staaten und Organisationen aus den
imperialistischen Staaten finanziert mit dem Ziel, von politischer
Betaetigung, Klassenkaempfen und Organisierung in sozialistischen
Organisationen abzulenken. Dies bedeutet in der Praxis, im Rahmen des
Kapitalismus kleine Verbesserungen fuer wenige zu erhoffen, an den zugrunde
liegenden Problemen aber nichts zu aendern. Eine ganze Schicht von Menschen
wird auf individuelle Loesungen vertroestet und so vom Kaempfen abgehalten.
Wie wenig "anders" das WSF ist, wird deutlich in der staendigen Praesenz
einer Security-Polizeitruppe auf dem Gelaende.

Das WSF ist keineswegs ein gleichberechtigter Austausch zwischen Menschen
aus verschiedenen Kulturen. Manche NGOs fuehren "ihre Schaefchen" regelrecht
vor. Es werden folkloristische Maersche abgehalten, die stark an
touristische Vorfuehrungen erinnern. Rund die Haelfte aller Staende sind
NGOs, die andere Haelfte NGO-Verkaufsstaende, um die WSF-TeilnehmerInnen aus
den imperialistischen Staaten mit Souvenirs auszustatten. Eine Handvoll sind
politische und gewerkschaftliche Organisationen. Auch die Moeglichkeiten der
TeilnehmerInnen. sich an der Veranstaltung zu beteiligen sind mager. Die
Rolle normaler Delegierter beschraenkt sich auf das Einsammeln von
Informationsmaterial und vielen "Experten" zuzuhoeren.

Das WSF proklamiert eine "andere Welt" ohne zu erklaeren, wie diese aussehen
soll und wie sie erreicht werden kann. Doch ausserhalb der offiziellen
Strukturen findet insbesondere zwischen GewerkschafterInnen
Informationsaustausch statt.
*Sonja Grusch*
(gek. aus Vorwaerts - Zeitung der Sozialistischen LinksPartei Nr.
135/Februar 2004)



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