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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. Dezember 2003; 17:06
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Verkehr/EU/Kommentar:

> Das grosse Schwanz-Einziehen

Oesterreichs Performance im Transitverkehr

Die Vorgeschichte duerfte bekannt sein: Ungeheuer dynamisch gehen Hubert
Gorbach und Wolfgang Schuessel bei ihren Forderungen nach
Weiterverlaengerung des 2004 auslaufenden Transitvertrages in Bruessel
baden. Kaum ist dies medial verkuendet, setzt es auch schon Drohungen mit
Aufruhr und Widerstand. Fast jeder Buergermeister wird mit seiner Gemeinde
den betroffenen Strassenteil besetzen, die Kontrollen des Schwerverkehrs
werden schwerstens ausgeweitet, und die EU moege sich nur ja hueten.
Irgendwo gackert dann noch die Verknuepfung von Transit und Ost-Erweiterung
herum, dann ist Ruhe im Huehnerstall. Es gilt, die Schaeden zu
inventarisieren, die moeglichen Folgen abzuschaetzen und der p.t.
Waehlerschaft das Bild zu liefern, man habe das bestmoegliche versucht, aber
leider eben nicht mehr erreicht. Bruessel sei eben so, die EU auch. Waehrend
dieser duesteren Ueberlegungen laesst die OeVP nicht locker, die eigene OeBB
in moeglichst viele Telbereiche zu zerlegen, mildert aber zwischendurch
etwas den Ton. Man sei der Gewerkschaft und den Verhandlern der
Arbeitnehmerseite jetzt noch mehr entgegengekommen. Wuerde es der OeBB etwas
nuetzen, koennte man meinen, Schwanz-Einziehen bringts.

Aber das Ziel, bis 2010 rund 12.000 der ca. 47.000 Eisenbahner abzubauen,
bleibt natuerlich. Die neue Struktur der OeBB sieht die Teilung des
Personen- und Gueterverkehrs und die Aufspaltung des Infrastrukturbereiches
in eine Bau- und eine Betriebsgesellschaft vor. Es gibt zwar nunmehr die
etwas knieweiche Zusage, die OeBB nicht zu privatisieren, aber keine
verfassungsrechtliche Absicherung eines Privatisierungsverbotes.
Diesbezuegliche Aeusserungen fallen gewohnt serioes, wie dem Zitat eines
OeVP-Verhandlers zu entnehmen ist: "Per Gesetz wird eine Privatisierung der
Bahn auf absehbare Zeit ausgeschlossen". Das "absehbare Zeit" ist
unschlagbar oesterreichisch. Aber was solls, werfen wir wieder einen Blick
auf die Geschichte mit dem Transit. Ab 1.Jaenner 2004 soll laut den
Oesterreichischen Betreibern die puenktliche Einfuehrung einer
elektronischen Maut erfolgen und auch klappen. Die Deutschen schaffen ihres
zu diesem Termin nicht ganz, denn ihr kompliziertes System mit GPS-Technik
duerfte erst Anfang 2006 funktionieren. Was haben jetzt aber die OeBB und
der Transit fuer Gemeinsamkeiten, die es lohnen, hier erwaehnt zu werden?

Die Aufsplitterung der OeBB verhindert die klarste Loesung der
Transit-Problematik: Laenderuebergreifender Schwerverkehr natuerlich nur auf
der Schiene, inlaendischer Schwerverkehr ab einer gewissen km-Zahl ebenso.
Bis jetzt ermoeglichen es die billigen Strassen-Transporttarife z.B. die
Milch, zwischen Deutschland und Italien und wieder zurueck,
spazierenzufuehren. In den Folgebilanzen fuer den Schwerverkehr ist die
Summe der effektiven Umweltbelastungen kaum zu benennen, ebenso wenig die
gesundheitlichen Schaeden. Aber allein, dass ueberhaupt Schaeden produziert
werden, muesste jeden politischen Repraesentanten um den Schlaf und einiges
mehr bringen. Was passiert in Oesterreich: wir werden in Zukunft mehr
kontrollieren - ja, gleich viel viel mehr! Diese -- als Unmut gemeinte
"Geste" -- schreckt vielleicht die Besitzer und Chauffeure halbkaputter und
rostiger Lastwaegen aus Rumaenien oder aus der Ukraine, doch bei den im
Gespraech stehenden Transitmengen kann polizeiliche Kontrolle lediglich das
Aufgreifen der alleraergsten Missstaende sein. Was haette Oesterreich
eigentlich getan, wenn die Verlaengerung des Transitvertrages durchgegangen
waere? Vielleicht nicht mehr kontrolliert?

Man moege sich einmal ein Bild einer Bundesregierung ausmalen, wo der
Kanzler oder der Verkehrsminister auf irgendwelche Verbote oder
Vorschreibungen von Bruessel ungefaehr so reagieren: "Gibt's nicht, wir
machen das anders!" Muessen die gewaehlten Repraesentanten wirklich immer so
den Schwanz vor Bruessel einziehen, wenn es um derart existenzielle Werte
wie Gesundheit und Wohlergehen geht? Reicht es nicht, dass sie auf dem
besten Weg sind, den sozialen Sektor samt Sozialpartnerschaft und
Solidaritaet zu zerstoeren? Doch sehen wir uns ein praktisches Beispiel
eines Schwerverkehrs auf der Schiene, einmal gaenzlich ohne Umwelt- und
Gesundheitskosten an: Die ASFINAG schaetzt die Anzahl ihrer "Kunden" im
neuen Mautsystem auf 410.000 pro Jahr. Das heisst jener, von denen
Mautzahlungen zu erwarten sind. Klingt enorm und fuer den Transport auf
Schienen kaum praktikabel. Doch unter der Annahme, dass ein Zug 20 LKW
befoerdern koennte, waeren dies 20.500 Zuege. Ergibt durch 365: 56 Zuege am
Tag - und dies geteilt durch die 4 Haupttransitrouten: 14 Zuege pro Tag.

Ich weiss schon, dass alles viel komplizierter ist, aber selbst bei 1 Mill.
Kunden waeren dies nur 34 Zuege mehr am Tag, und selbst bei 5 Mill (!)
waeren es noch ueberschaubare 170 Zuege mehr. Meiner Meinung nach wuerden
die Vorteile fuer alle ueberwiegen: die OeBBler behielten nicht nur ihre
Jobs, es wuerde zu Neuanstellungen kommen, das Gefahrenpotential des
Schwerverkehrs waere beseitigt, die Chauffeure ausgeschlafen, die Nerven und
die Gesundheit der Anrainer auf den Transitstrecken nicht in Mitleidenschaft
gezogen und die Umwelt kaum belastet. Dies beduerfte allerdings eine
politische Repraesentanz, die zugunsten ihrer eigenen Bevoelkerung Bruessel
und der betreffenden Wirtschaftslobby die Stirn bietet. Die die eigene Bahn
nicht zerschlaegt und die einfachsten wirtschaftlichen Zusammenhaenge zu
begreifen imstande ist - zB., dass die billigen Preise der Transportkosten
mit den "Chancen auf Standortverlegung" des gesamten Unternehmens
zusammenhaengen. Die Diktate der EU sind spaetestens seit der Verankerung
der 4 Grundpfeiler in Maastricht nicht mehr zu akzeptieren. Trotzdem soll
hier aus europapolitischer Sicht aber nicht der Austritt, sondern ein
selbstbewusstes Agieren gleichberechtigter Staaten gefordert werden, wo
Regierungsmitglieder vielleicht auch einmal "nein" sagen.
*Fritz Pletzl*

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Anmerkung der Redaktion: Das Los einer Wochenzeitung ist es, immer ein
bisserl hintenach zu sein. Als Fritz obstehenden Kommentar schrieb, wußte er
noch nicht ob seiner Fähigkeit zur Instant-Prophetie: Noch bevor die akin im
Druck erschien, hatte die Bundesregierung ihre Zusage bezüglich einer
Nichtprivatisierung bereits wieder zurückgezogen. Die "absehbare Zeit" der
Bundesregierung war damit allerdings kürzer, als selbst Fritz sich träumen
ließ - für eine Korrektur des Kommentars in der Druckausgabe hatte diese
Regierung wieder einmal zu viel "Speed".


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