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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Oktober 2003; 04:44
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Kolumbien:

> Gewerkschaftsarbeit als Selbstmord-Kommando

Kolumbien ist mit Abstand jenes Land der Welt, in dem am meisten Menschen
wegen ihrer gewerkschaftlichen Aktivitaeten ermordet, entfuehrt, bedroht und
auch verhaftet werden. Eine "humanitaere Katastrophe" nennt die CUT, die
groesste Gewerkschaftszentrale des Landes, diese Situation, die in dem
suedamerikanischen Staat zum Normalzustand geworden ist. Wer sich in einer
Gewerkschaft engagiert, wer sich fuer soziale oder politische Menschenrechte
einsetzt, steht mit einem Bein im Grab.

Zum Beispiel der 15. August 2002. In der Gemeinde Tibú im
nordkolumbianischen Departement Santander wird in der Nacht Felipe Santiago
Mendoza Navarro aus seiner Wohnung gezerrt und 15 Minuten spaeter erschossen
aufgefunden. Er war Aktivist der Erdoelarbeitergewerkschaft USO. Als Taeter
werden Paramilitaers vermutet.

Am selben Tag wird im Departement Cauca, im Sueden Kolumbiens, Amparo
Figueroa ermordet. Sie war Aktivistin der Gewerkschaft des
Gesundheitsdienstes ANTHOC. Da sie von paramilitaerischen Gruppen
Todesdrohungen erhalten hatte, war sie 10 Monate vorher in das Spital der
Ortschaft Miranda versetzt worden, doch auch dort erreichte sie der Arm der
Moerder.

Ebenfalls an diesem Tag bestieg in der Gemeinde Chalán im Departement Sucre
der Lehrer Francisco Mendez Díaz sein Auto, um zur Arbeit zu fahren. Einige
Maenner, offensichtlich Angehoerige einer paramilitaerischen Gruppe, zerren
ihn aus dem Wagen und erschiessen ihn. Er war Aktivist der
Lehrergewerkschaft FECODE, die ebenso wie die USO und die ANTHOC der
unabhaengigen Arbeiterzentrale CUT (Central Unitaria de Trabajadores)
angehoeren.

Voellige Straflosigkeit

Seit der Gruendung dieses groessten Gewerkschaftsbundes hat die
kolumbianische Arbeiterbewegung an die 3000 AktivistInnen verloren. Die
Nationale Gewerkschaftsschule (ENS) in Medellín zaehlte seit 1991 1875
ermordete GewerkschafterInnen, wobei die Taeterschaft in den meisten Faellen
bei den Paramilitaers liegt. Die ENS stellte jedoch im vergangenen Jahr auch
eine deutliche Zunahme der Ermordungen durch die Guerillabewegung FARC fest,
die fuer etwa 10 Prozent der Ermordungen verantwortlich zeichnet. Die Taeter
bleiben so gut wie immer straffrei. Die Menschenrechts-Abteilung der
Generalstaatsanwaltschaft stellte Ende 2002 fest, dass es bei den 116
dokumentierten Faellen von Ermordungen von GewerkschafterInnen im Zeitraum
Jaenner bis September des Vorjahres keine einzige Festnahme, keine einzige
strafrechtliche Verfolgung gegeben habe.

Was nun die paramilitaerischen Gruppierungen betrifft, so spricht selbst das
US-Aussenministerium in seinem neuen Menschenrechts-Bericht von "anhaltenden
glaubwuerdigen Behauptungen einer Zusammenarbeit von paramilitaerischen
Gruppen und Angehoerigen oeffentlicher Sicherheitskraefte, im besonderen der
Armee, sowohl hinsichtlich passiver Unterstuetzung als auch direkter
Kollaboration."

Die Gewerkschaften und die Regierung Uribe Vélez

Seit August 2002 regiert in Kolumbien Praesident Alvaro Uribe Vélez mit
harter Hand. Er hatte die Wahlen mit dem Versprechen gewonnen, die Guerilla
mit allen Mitteln zu bekaempfen und so zu einem Friedensschluss zu zwingen.
Zur Erreichung dieses Ziels baute er im ganzen Land ein Spitzelnetz auf,
bewaffnete die Bauern, setzte immer mehr demokratische Errungenschaften der
Verfassung von 1991 ausser Kraft und richtete in Gegenden mit besonders
starker Guerilla-Praesenz "Sonderzonen" ein, in denen das Militaer fast
unbeschraenkte Machtbefugnisse besitzt.

Ein neuer Bericht der Gewerkschaftsschule ENS dokumentiert fuer den Zeitraum
von Jaenner bis Mitte Mai dieses Jahres einen starken Rueckgang der
Ermordungen von GewerkschafterInnen, gleichzeitig aber auch eine Zunahme von
Todesdrohungen, Verhaftungen und anderen Einschuechterungsmassnahmen.
Demnach wurden in diesem Zeitraum 29 AktivistInnen ermordet, 99 erhielten
Todesdrohungen, 3 Personen wurden entfuehrt und 26 verhaftet.

Die ENS beklagt in ihrem Bericht, dass die staatliche Politik die legale
Arbeit der Gewerkschaften kriminalisiert und durch gesetzliche Massnahmen,
etwa im Rahmen des Ausnahmezustandes, ihre Rechte und
Handlungsmoeglichkeiten einschraenkt. Streiks werden als illegal erklaert,
die Gewerkschaften als Hindernisse fuer den wirtschaftlichen Fortschritt und
als Bedrohung fuer die oeffentliche Ordnung dargestellt.

Mitte September 2003 gab die CUT in einem Kommuniqué die Ermordung des 51.
CUT-Aktivisten in diesem Jahr und die Festnahme von 130 GewerkschafterInnen
binnen weniger Monate im oestlichen Departement Arauca bekannt

Krise der Gewerkschaftsbewegung

Die gewerkschaftliche Organisierung ist in Kolumbien nicht nur wegen der
staatlichen und paramilitaerischen Repression schwierig. Nur 12 Prozent der
wirtschaftlich aktiven Bevoelkerung (22 Millionen) stehen in einem formellen
Arbeitsverhaeltnis, und von ihnen sind - die Angaben differieren - etwa eine
Million gewerkschaftlich organisiert. Neben der CUT gibt es noch die der
Liberalen Partei nahestehende CTC (Central de Trabajdores Colombianos) und
die christdemokratische CGTD (Central General de Trabajadores Democráticos).
Die Zentralen sind in etwa 3000 Basisgewerkschaften aufgesplittert.Erschwert
wird die gewerkschaftliche Organisierung auch durch ein neues Gesetz, das
den Abschluss von dreimonatigen Arbeitsvertraegen mit Akkordarbeit foerdert.

Von der Unternehmerseite werden die Gewerkschaften schon seit langem
bekaempft und AktivistInnen als Kommunisten und Guerilla-Sympathisanten
stigmatisiert, was nicht selten das Todesurteil bedeutet.

Insider und der Gewerkschaftsbewegung nahestehende Personen kritisieren aber
auch eine starke Buerokratisierung und einen Immobilismus sowie die fehlende
Einbindung in die soziale und demokratische Alternativbewegung des Landes.
Neue Strukturen seien notwendig, so die kritischen Stimmen, um auf die
Veraenderungen in der Wirtschaft und auf die restriktiven Arbeitsreformen
der letzten Regierungen zu reagieren.

Auch wenn die Taeter der Verfolgung von GewerkschaftsaktivistInnen aus den
Kreisen der paramilitaerischen Gruppen kommen, so sind die Drahtzieher der
toedlichen Repression an anderer Stelle zu suchen. Allgemein kann man sagen,
dass es sich dabei um den Versuch staatlicher und wirtschaftlicher Kreise
handelt, die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, um dadurch jeglichen
Widerstand gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik und gegen die
Unternehmensinteressen zu verhindern. Unter der letzten Regierung von Andrés
Pastrana und unter der jetztigen wurden eine Reihe gesetzlicher Reformen
durchgesetzt, die die Rechte der ArbeitnehmerInnen und die gewerkschaftliche
Taetigkeit stark beschneiden.

Ein Blick auf die einzelnen Repressionsfaelle zeigt ausserdem, dass die
Unterdrueckung haeufig in einem direkten Zusammenhang mit betrieblichen
Arbeitskaempfen steht. So ist etwa die traditionsreiche, ueber 80 Jahre alte
Erdoelarbeitergewerkschaft USO eine Zielscheibe der Verfolgungen, weil sie
der Politik des staatlichen Erdoelunternehmens Ecopetrol im Wege steht und
die "Investitionsbereitschaft auslaendischer Oelkonzerne gefaehrdet". So
wurde bekannt, dass die britische BP die kolumbianische Armee bezahlte,
damit diese aufmuepfige USO-Aktivisten beseitigte. Und in Abfuellbetrieben
von Coca Cola in Kolumbien wurden bei Arbeitskonflikten bereits mehrere
Gewerkschafter ermordet.
*Werner Hoertner*

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