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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. September 2003; 17:13
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Venezuela:

> Chavez alleine ist zu wenig

Jetzt auch Land- und Fabriksbesetzungen

Uebersetzung eines Artikels von ARGIRIS MALAPANIS aus "The Militant"


Der Kampagne der pro-imperialistischen Opposition fuer den Sturz des
venezuelanischen Praesidenten Hugo Chávez ist ein weiterer Schlag versetzt
worden. Am 12. September wies der Nationale Wahlrat des Landes eine Petition
mit mehr als 3 Millionen Unterschriften zurueck, die von der Opposition in
der ersten Jahreshaelfte gesammelt wurden. Darin wird ein Referendum ueber
den Ruecktritt des Praesidenten gefordert.

Gleichzeitig haben die Landbesetzungen und Landverteilungen an Bauern und
Baeuerinnen, die keines besitzen, in diesem Jahr zugenommen. "Tausende von
Familien haben jetzt Titel fuer 1.2 Millionen Hektar Land", sagte Angel
Sarmiento, ein Bauer, andere Interviewte sagten, dass Dutzende von Fabriken,
die von den EigentuemerInnen geschlossen wurden, jetzt von den ArbeiterInnen
besetzt und betrieben werden - eine neue Entwicklung seit Anfang dieses
Jahres.

Die Ruecktritts-Petition ist der dritte Versuch, Chávez zu stuerzen.
Federfuehrend ist dabei die oppositionelle Koalition Coordinadora
Democrática. Der groesste UnternehmerInnenverband Fedecámaras stand im
Mittelpunkt dieser Kampagne. Es sind dieselben Kraefte, die den
gescheiterten Putsch gegen Chávez im April 2002 durchfuehrten. Im Dezember
und Januar organisierten sie einen zweimonatigen "Streik" der Bosse, der die
Oekonomie, insbesondere die Erdoelindustrie, voruebergehend stilllegte.
Beide Male draengten massive Mobilisierungen der arbeitenden Bevoelkerung
die Putschisten zurueck, die eine stillschweigende oder ausdrueckliche
Unterstuetzung aus Washington genossen haben.

Fuehrende Oppositionelle wollten am 5. Oktober eine neue Petitionskampagne
zu starten. "Wir werden nochmals Unterschriften fuer die Millionen
VenezuelanerInnen sammeln, ... die in Unsicherheit leben", sagte Enrique
Mendoza, Gouverneur von Miranda, der auch die Coordinadora Democrática (CD)
anfuehrt. Mendoza ist ausserdem ein ehemaliger Anfuehrer von COPEI, eine
christlich-soziale Partei, die sich jahrzehntelang mit der
sozialdemokratischen Demokratischen Aktion, der zweiten grossen
kapitalistischen Partei, in der Regierung abwechselte, bis zur Wahl von
Chávez 1998.

Chávez wurde zum Praesidenten und zwei Jahre danach wiedergewaehlt. Unter
seiner Regierung ist das Privateigentum an Produktionsmitteln weitgehend
unangetastet geblieben, die oekonomische Macht liegt weiterhin fest in den
Haenden der reichsten Familien des Landes. Dennoch ist Chávez verstaerkt in
einen Konflikt mit dem Grossteil der kapitalistischen Klasse Venezuelas
geraten. Dieser Konflikt fuehrte im Fruehjahr 2001 zum Aufprall. Zu dieser
Zeit brachte die Regierung Gesetze durch, die die Vorrechte des
Finanzkapitals beschneiden wuerden, sofern sie angewendet werden. Zu diesen
Massnahmen gehoeren ein Agrarreformgesetz, der Schutz von FischerInnen vor
Ueberfischung durch die grossen Konzerne und die Bereitstellung von
staatlichen Geldern fuer billige Wohnungen sowie andere soziale Programme.
Die neue Regierung zog den Zorn Washingtons und der oertlichen Bourgeosie
auch deshalb auf sich, weil sie engere politische und oekonomische
Beziehungen zu Cuba aufnahm.

Tiefe Wirtschaftskrise

Als Folge der wirtschaftlichen Depression in Lateinamerika ist Venezuela in
einer tiefen oekonomischen Krise. Dieser Zustand verschaerft sich noch durch
den "Streik" der Bosse, der am 4. Februar beendet wurde. Offiziellen
Berichten zufolge liegt die Arbeitslosigkeit jetzt bei 18%. Das
Bruttosozialprodukt des Landes ist in der ersten Haelfte des Jahres 2003 um
18% gesunken. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben sich auch die
Importe nach Venezuela um die Haelfte verringert.

Venezuela ist der fuenftgroesste Erdoelproduzent weltweit. Die
Erdoelproduktion durch den staatseigenen Monopolbetrieb Petróleos de
Venezuela ist jetzt wieder gestiegen auf das Niveau von vor einem Jahr. Im
Anschluss an den Streik der Bosse entliess die Regierung 18.000 der 30.000
Angestellten bei PdVSA. Die Mehrheit der Gefeuerten, mehr als 10.000 Leute,
gehoerten zum Verwaltungs- und Managementbereich. Die Regierung ersetzte die
Unternehmensleitung fast vollstaendig.

ArbeiterInnen besetzen Dutzende von Fabriken

ArbeiterInnen im ganzen Land haben jetzt mehr Selbstvertrauen und fuehren
ihre Kaempfe um Jobs und fuer bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen trotz
der schwierigen oekonomischen Lage weiter. Es gibt im Moment etwa 45
Privatbetriebe, die von den ArbeiterInnen im ganzen Land besetzt sind. Die
Fabriksbesetzungen haben im Januar begonnen, als sich ArbeiterInnen gegen
die Aussperrung durch die Chefs zur Wehr setzten.

Zu den groessten Unternehmen, die von den ArbeiterInnen uebernommen wurden,
nachdem die EigentuemerInnen die Fabriken zugesperrt und eine Oeffnung
verweigert hatten, gehoeren Constructora Nacional de Válvulas (CNV), in der
Ventile fuer die Erdoelindustrie hergetellt werden, und Venepal, die
Venezuelanische Papierfabrik. Ungefaehr 10.000 Menschen arbeiten beim
Venepal-Komplex. Die CNV-Fabrik im Bundesstaat Miranda beschaeftigt 5.000
ArbeiterInnen. Der Besitzer, der waehrend der Herrschaft von COPEI und
Demokratischer Aktion der Praesident von PdVSA war, ist vor Gericht
gegangen, um die Raeumung der Fabrik zu bewirken. Mobilisierungen rund um
die Fabrik durch GewerkschafterInnen und ArbeiterInnen aus den umliegenden
Gemeinden haben bisher sichergestellt, dass die ArbeiterInnen von CNV
weiterhin ueber die Produktion bestimmen.

Kaempfe der Bauern, Baeuerinnen und FischerInnen

Bauern und Baeuerinnen und ergreifen ebenfalls die Initiative, um ihre
Forderungen durchzusetzen Anfang 2001 besetzten 400 Bauernfamilien die
Haelfte einer 12.000 Acker grossen Landwirtschaft, die von dem britischen
Unternehmen Compania Inglesa, einem der groessten Landeigentuemer in
Venezuela, vorwiegend zur Viehweide benutzt wurde. Die Bauern und
Baeuerinnen produzierten zwar, hatten jedoch Probleme, ueber die Runden zu
kommen. Sie erhielten keine Kredite von den Banken, weil sie keinen Titel
fuer das von ihnen bearbeitete Land vorweisen konnten. Im Januar dieses
Jahres wurden sie von der Nationalgarde vertrieben. Die Familien und ihre
UnterstuetzerInnen besetzten dann das oertliche Buero des Nationalen
Landinstitutes (INT) und organisierten eine Delegation, die Chávez in
Caracas besuchte, um zu fordern, dass sie auf das Land zurueckkehren
koennen. Das war erfolgreich. Diese Bauern und Baeuerinnen sind zurueck auf
dem Land. Sie verfuegen auch ueber Agrar-Urkunden und koennen Kredite
aufnehmen. Diese Urkunden werden vom INT in Streitfaellen an Stelle von
Landtiteln vergeben.

Kleine FischerInnen profitierten von einem Gesetz von 2001, das grosse
kommerzielle Unternehmen vom Fischfang nahe der Kuestengewaesser
ausschliesst. Die FischerInnen konzentrieren ihren Kampf nun darauf, die
Bestimmungen des Fischerei- und Aquakulturgesetzes durchzusetzen, die ihnen
das Recht garantieren, Kredite zu erhalten, um Kooperativen aufzubauen und
ihren Fang direkt zu verkaufen und so die Ausbeutung durch Mittelsleute zu
verhindern. (gek.)

Uebersetzung:
http://germany.indymedia.org/2003/09/62315.shtml

Originaltext: The Militant - A socialist newsweekly published in the
interests of working people, Vol. 67/No. 33, September 29, 2003
http://www.themilitant.com/2003/6733/673301.html



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