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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. September 2003; 06:04
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Italien:

> Polizisten endlich angeklagt

Genua: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Polizei und Carabinieri

Zwei Jahre nach den polizeilichen Ausschreitungen beim G8-Gipfel in Genua
hat jetzt doch noch die Judikative die Exekutive am Schlafittel gepackt: Am
Freitag, den 12. September hat die Staatsanwaltschaft in Genua ihre
Ermittlungen gegen Polizei und Carabinieri beendet und Anklage gegen 73
leitende Funktionaere, Beamte und Angestellte, darunter auch medizinisches
Personal, erhoben. 43 von ihnen sind wegen der Ereignisse in Bolzaneto
angeklagt, 27 wegen der Diaz-Schule und 3 wegen der Pascoli-Schule, in der
unter anderem das Medienzentrum untergebracht war. Die Anklagen stuetzen
sich hauptsaechlich auf die ZeugInnenaussagen von Betroffenen aus der
Diaz-Schule. Viele von ihnen wurden letztes Jahr in Deutschland von
italienischen StaatsanwaeltInnen befragt.

Die Beklagten haben nun 20 Tage Zeit, um etwaige entlastende Beweise
einzureichen, dann entscheiden 2 RichterInnen, ob das Verfahren eingeleitet
wird. Mit dem Verfahren betraute AnwaeltInnen haben daran allerdings
keinerlei Zweifel. Das Medienecho war enorm: Die auflagenstaerksten
Zeitungen haben die Meldung auf den ersten 3 Seiten behandelt.

Unter den Angeklagten sind z.B. Francesco Gratteri, Ex-Chef der SCO
(Servizio Centrale Operativo), Gianni Luperi (Vize-Direktor der
"Anti-Terroreinheit" UCIGOS), Vincenzo Canterini (Kommandant des Primo
Reparto Celere in Rom) und Spartaco Mortola (Ex-Kommandant der DIGOS in
Genua).

Die Anschuldigungen im Einzelnen:

Tatort Bolzaneto: Angeklagt sind medizinisches Personal (2 Maenner und 2
Frauen) und 39 Maenner der Polizei, Carabinieri und Guardie Carcerarie. Die
Anschuldigung lautet, etwa 300 Verhaftete gedemuetigt, geschlagen,
misshandelt und verletzt zu haben, zum Teil in gemeinschaftlicher
Tatausuebung. Das medizinische Personal ist angeklagt wegen Amtsmissbrauch
und Beteiligung an den Uebergriffen.

Tatort Diaz-Schule: Die Anklage lautet, dass die Polizei grundlos 93
Personen verhaftet und geschlagen und ihnen Beweise untergeschoben hat (87
Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden). Es gibt 4 verschiedene
Ermittlungsstraenge (gegen 10 Mitglieder des Reparto Celere wegen
Uebergriffen, gegen 14 Funktionaere wegen Falschaussagen, gegen 2 Beamte
wegen Beweisfaelschung und gegen einen Beamten und einen Funktionaer wegen
des untergeschobenen Molotov-Cocktails).

Tatort Pascoli-Schule: Die Polizei hat ohne Grund das Medienzentrum
gestuermt und die Einrichtung zerstoert. Angeklagt sind 2 Funktionaere und
ein Inspektor.

293 Personen wurden damals in Genua offiziell im Rahmen des G8 festgenommen;
28 wurden sofort freigelassen, 76 Festnahmen auf richterlichen Beschluss
wieder aufgehoben. Von den uebrigen 149 wurden 100 gleich entlassen, da
keine Gruende fuer eine Untersuchungshaft vorlagen (z.B. Fluchtgefahr,
Vernichtung von Beweismaterial). Ueber 500 DemonstrantInnen wurden offiziell
in Krankenhaeusern medizinisch versorgt. Insgesamt ermittelte die
Staatsanwaltschaft gegen mindestens 117 PolizeibeamtInnen und gegen
mindestens 463 DemonstrantInnen; allerdings wird nicht in allen Faellen
Anklage erhoben werden. Mindestens eine Person befindet sich noch immer in
Haft, andere haben Meldeauflagen.

Inzwischen hat sich auch die Polizeigewerkschaft zu Wort gemeldet, die die
Vorwuerfe herunterspielt und eine Untersuchungskommission fordert. Aehnlich
kommentierte auch Innenminister Pisanu; die Polizeikraefte haetten sich
nichts vorzuwerfen, etwaige Uebergriffe seien Einzelfaelle und er wuerde den
Ausgang der Verfahren abwarten.

Die Disobbedienti (Militaerverweigerer) haben eine Erklaerung zu den
Anklagen veroeffentlicht. Sie kritisieren, dass lediglich
Polizeifunktionaere und Angestellte, aber keine PolitikerInnen unter Anklage
stehen. Francesco Caruso (No Global) macht darauf aufmerksam, dass
Vizepremier Gianfranco Fini in der Einsatzzentrale der Carabinieri war, als
Carlo Giuliani erschossen wurde und die Uebergriffe der Einsatzkraefte
keineswegs Einzelfaelle waren. (Gipfelsoli/bearb.)

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