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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. September 2003; 15:31
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WTO/Glosse:

> Rettet die WTO

Es braucht die Welthandelsorganisation WTO. Aber sie muesste reformiert
werden. Und zwar massiv. Meint zumindest Andreas Zumach in der WoZ - ein
Diskussionsansatz


«Alle werden profitieren, es gibt nur Gewinner, keine Verlierer.» Mit
Inbrunst verkuendete Peter Sutherland, erster Generalsekretaer der
Welthandelsorganisation, solche Prognosen, als die WTO im April 1994 in
Marrakesch aus der Taufe gehoben wurde. Damals stiess derartiger
Zweckoptimismus noch kaum auf oeffentlich wirksamen Widerspruch - zumal
zeitgleich die «Uruguay-Runde» des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens
(Gatt) nach fast achtjaehrigen Verhandlungen mit einem Abkommen
abgeschlossen werden konnte.

Lediglich die britische Hilfsorganisation Christian Aid belegte bereits in
Marrakesch mit einer Studie unter dem Titel «Die Armen werden immer aermer»,
dass der Anteil der 48 nach Uno-Definition «am wenigsten entwickelten
Laender» (LDC) am wachsenden Welthandel stetig zurueckging. Ungehoert
verhallten Forderungen des World Wildlife Fund und von Greenpeace, wonach
nicht nur Regierungsvertreter, sondern die Parlamente oder gar die
Bevoelkerungen der damals 122 Gatt-Staaten ueber den WTO-Gruendungsvertrag
und seine Auswirkungen auf internationale Umweltschutzabkommen abstimmen
muessten.

Eine breite WTO-kritische Bewegung existierte vor neun Jahren noch nicht,
«Globalisierung» war ein fast durchweg positiv besetzter Begriff. Als
aergster Gegner der neuen multilateralen Organisation profilierte sich der
rechtskonservative US-Senator Jesse Helms. Er versuchte den Beitritt seines
Landes zur WTO zu verhindern mit dem Argument, dass die USA dort - anders
als in der Uno - kein Vetorecht haetten und daher Gefahr liefen, «von
kleinen, sehr viel unwichtigeren Laendern ueberstimmt zu werden». Doch
schliesslich setzte sich in Washington die Lobby der international
konkurrenzfaehigen Wirtschaftszweige durch, die sich von der WTO eine
Erleichterung bei der Expansion auf die globalen Maerkte erhofften. Aber
auch die Regierungen fast saemtlicher Gatt-Staaten aus dem Sueden
versprachen sich Vorteile von einer globalen Institution und dem Umstand,
dass saemtliche Vereinbarungen fuer alle Mitglieder die gleiche Gueltigkeit
hatten und dass ein geregeltes Verfahren fuer die Streitschlichtung
existierte.

Vertrauen weg

Bereits zwei Jahre spaeter war die Anfangseuphorie verflogen. Die
WTO-Ministerkonferenz 1996 in Singapur wurde beherrscht vom Streit ueber die
Einfuehrung von Sozialstandards bei kuenftigen Handelsliberalisierungen.
Insbesondere die USA verlangten, die Loehne und Arbeitsbedingungen in den
Laendern des Suedens zum Kriterium dafuer zu machen, ob Handelspraeferenzen
zu gewaehren seien. Die Laender des Suedens lehnten derartige Massnahmen als
Protektionismus ab. Eine grosse Mehrheit der WTO-Mitglieder war zudem
erheblich veraergert, dass die vier WTO-Elefanten USA, EU, Japan und
Kanada - im WTO-Slang auch «Quad-Gruppe» genannt - in Singapur aehnlich wie
zuvor in Marrakesch zunaechst untereinander ihre gemeinsamen Positionen
aushandelten, um diese anschliessend allen uebrigen Staaten aufzuzwingen.

Zum grossen Konflikt kam es dann 1999 in Seattle. Viele Laender des Suedens
hatten inzwischen realisiert, wie sehr sich Teile des Gatt-Abkommens zu
ihren Ungunsten auswirkten: zum Beispiel der von ihnen zugesagte Abbau von
Importhuerden fuer Industrieprodukte aus den Laendern des Nordens sowie die
Oeffnung ihres heimischen Finanzdienstleistungs-Sektors (Banken,
Versicherungen, Kreditkartenunternehmen et cetera) fuer multinationale
Grosskonzerne. Vergeblich forderten sie in Seattle Nachbesserungen des
Abkommens. Verschaerft wurde der Nord-Sued-Konflikt durch die anhaltende
Weigerung namentlich der EU, der USA und Japans, ihre weltmarktverzerrenden
Agrarsubventionen spuerbar zu reduzieren (siehe WOZ Nr. 35/03). Die dank
einer Indiskretion kurz vor Seattle aufgeflogenen geheimen Vorbereitungen
fuehrender Industriestaaten fuer ein Investitionsschutzabkommen (MAI), das
erheblich zulasten der Entwicklungslaender gegangen waere, schufen
zusaetzliches Misstrauen zwischen den WTO-Mitgliedern aus Sued und Nord.

Schock von Seattle

Bereits allein wegen der WTO-internen Streitpunkte waere die
Ministerkonferenz von Seattle gescheitert. Dazu bedurfte es gar nicht der
tagelangen Proteste, Demonstrationen und Blockaden von ueber 50 000
WTO-GegnerInnen, mit denen sich in Seattle erstmals eine breite, allerdings
auch sehr heterogene globalisierungskritische Bewegung der Oeffentlichkeit
praesentierte. Von dem «Schock von Seattle» (so der damals amtierende
Generaldirektor Michael Moore) hat sich die WTO bis heute nicht erholt.
Zumal keiner der damaligen Konflikte inzwischen geloest wurde, einige sich
in den letzten vier Jahren sogar noch verschaerft haben und neue
Streitthemen hinzugekommen sind. Inzwischen belegen selbst Studien von
Weltbank und Internationalem Waehrungsfonds sowie interne Untersuchungen der
WTO, dass sich die optimistische Prognose ihres ersten Generalsekretaers
(«Alle werden gewinnen») nicht erfuellt hat. Im Gegenteil: Trotz zunehmendem
Welthandel (in den letzten neun Jahren ist er mehr als dreimal so stark
gestiegen wie die weltweite Gueterproduktion) ist die Schere zwischen Reich
und Arm seit Gruendung der WTO deutlich groesser geworden - sowohl im
globalen Massstab wie innerhalb fast saemtlicher Staaten des Suedens und
auch der meisten Laender des Nordens. Ganz zu schweigen von den
Umweltbelastungen durch den Gueterverkehr, der ebenfalls erheblich
zugenommen hat.

Auch die Streitschlichtungsausschuesse der WTO haben viele Erwartungen nicht
erfuellt. Zwar raeumen auch Kritiker ein, dass die Existenz dieser
Institutionen mit ihren verbindlichen Verfahrensregeln ein Fortschritt ist
im Vergleich zur weitgehend rechtlosen Zeit vor der WTO-Gruendung. Und
anerkannt wird, dass auch der WTO-Riese USA trotz zum Teil massiven
Pressionen auf die Schlichter schon bei einigen Verfahren verurteilt wurde.
Doch die Statistik zeigt, dass es in den inzwischen fast hundert
Schlichtungsfaellen ueberwiegend um Klagen zwischen den vier WTO-Elefanten
ging und im Rest der Faelle fast ausschliesslich um Beschwerden eines
Industriestaats gegen ein Entwicklungsland. Das heisst, fuer die Laender des
Suedens sind die Schlichtungsausschuesse kein geeignetes Instrument, um
ihren zahlreichen Klagen ueber unfaire Handelspraktiken der Industriestaaten
Gehoer zu verschaffen und Verbesserungen durchzusetzen.

Auf die Strasse

Angesichts dieser Negativbilanz bleibt die Frage: Ist die WTO noch zu
retten? Sollten sich Kritikerinnen und Gegner der WTO ueberhaupt mit dieser
Frage befassen, ja sich moeglicherweise gar an der Rettung beteiligen? Das
koennte notwendig sein, um ein noch groesseres Uebel zu verhindern: den
Rueckfall in bilaterale und regionale Handelspolitiken und -bloecke. Dafuer
gibt es zunehmend Anzeichen. Gerade auch in der Politik der USA. In einem
solchen Szenario wuerden die schwachen Laender noch staerker von den
Wirtschaftsriesen dominiert als innerhalb der WTO.

Die Rettung der WTO ist allerdings nicht zu haben ohne eine Veraenderung
ihrer Verfahrensweisen und die Korrektur einiger besonders problematischer
Abkommen. Zum Beispiel sollten die Fristen fuer den Abbau von Zoellen im
Sueden verlaengert werden. Dies wird allerdings nur gelingen, wenn die
WTO-kritische Bewegung die Auseinandersetzung rechtzeitig und in erster
Linie an den Orten fuehrt, wo ueberhaupt noch Einfluss zu nehmen ist: nicht
an den grossen Ministerkonferenzen der WTO in Seattle, Doha oder Cancún, wo
sich zwar die Existenz der Bewegung gegenueber den Weltmedien dokumentieren
laesst, in der Sache aber meist nichts mehr bewegt werden kann. Sondern
viele Monate vor diesen Grossereignissen in den nationalen Oeffentlichkeiten
der WTO-Staaten und als wohlorganisierte Lobby gegenueber den Parlamenten.

Damit koennte Einfluss genommen werden auf die Positionen, mit denen die
Regierungen sich dann auf die Ministerkonferenzen oder an den
Verhandlungstisch in der Genfer WTO-Zentrale begeben. Eine derartige
Einflussnahme hat es abgesehen von der erfolgreichen Lobbykampagne der
Bauernverbaende in der EU und den USA gegen Subventionskuerzungen zumindest
in den Industriestaaten noch zu keinem der Themen gegeben, zu denen die WTO
bisher Vereinbarungen getroffen hat.

Beim Thema oeffentliche Dienstleistungen besteht nun erstmals die Chance,
dass Liberalisierungsmassnahmen, auf die sich zumindest Bruessel und
Washington bereits im Grundsatz verstaendigt hatten, nicht - oder zumindest
nicht im geplanten Ausmass - von der WTO beschlossen werden. (WoZ,
4.September 2003)



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