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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. September 2003; 15:54
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Glosse/Pflege/Prinzipielles:

> Lainz bleibt Lainz

Von Gewalt und Macht in der Altenpflege

Am 4.9. beschaeftigte sich eine APA-Meldung mit den Zustaenden in Lainz.
Bettlaegrige PatientInnen wuerden Monate lang nicht gebadet, sie muessten ab
dem fruehen Nachmittag die Nachtruhe einhalten, um das Personal zu
entlasten - und deshalb Windeln tragen. Der ebenfalls erwaehnte Pruefbericht
des Magistrats vom Juli 2003 ueber Lainz - das nunmehrige Geriatriezentrum
"Am Wienerwald", ging im darauffolgenden Medienspektakel fast unter. Die
unangekuendigte Kontrolle haette Patienten beobachtet, die seit 3 Monaten
nicht gebadet worden waren. Um 15:00 habe tatsaechlich bereits Nachtruhe
geherrscht. Zu Protokoll kamen ungekuerzte Hand- und Fussnaegel der
PatientInnen, eine ungepflegte Haut, unsaubere Bekleidung und vermutlich
seit laengerem ungewaschene Haare. Alle drei Oppositionsfraktionen im Wiener
Rathaus reagierten daraufhin mit vehementer Kritik an Gesundheitsstadtraetin
Elisabeth Pittermann. Die Gewerkschaft wies darauf hin, dass das Personal
fuer die Pflegemaengel nicht verantwortlich sei. Es sei von der Politik im
Stich gelassen worden, diese habe sich taub gestellt.

Neben den gewohnten oeden bis hasserfuellten Mails auf alles und jedes
tauchte im Umkreis der Affaere in "Vorarlberg-Online" am 5.9. auch eines von
einem gewissen Klaus auf: Man solle nicht vorschnell urteilen. Die
PatientInnen wurden vielleicht doch gepflegt, aber aufgrund der vielen
Arbeit sei nur die Pflegedokumentation nicht gemacht. Es waere ja ein
leichtes gewesen, die Pflegeberichte zu faelschen, wenn man in der Station
nicht ganz meschugge sei. Volle Breitseite wurde am 8.9. jedoch von der
Krone gegen Lainz abgefeuert: Die Patienten litten taeglich Hoellenqualen.
Und wieder die Geschichte mit dem Baden und der Nachtruhe ab 15 Uhr. Laut
Krone habe Pittermann von einem Einzelfall gesprochen. Aber der Vater eines
Wachkoma-Patienten in Lainz habe dies verneint. Sein Sohn waere durch einen
verschmutzten Beatmungsschlauch fast gestorben. Stundenlang habe ihm niemand
geholfen. Grund seien die Personalzustaende, so die Krone die Gewerkschaft
zitierend. Dies sei der SP-Gesundheitsstadtraetin schon Monate lang bekannt
gewesen, 70 Dienstposten seien in der Lainzer-Altenpflege unbesetzt.

So weit, so schlecht. Aber Wien Aktuell berichtete kurze Zeit spaeter, ein
Wiener Sachwalter habe sich zwei Jahre ueber die Missstaende im
Geriatriezentrum am Wienerwald beschwert. So habe seine Klientin in dem
inkriminierten Lainzer-Pavillon 1 oft ab 15:00 im Bett liegen muessen. Auf
seine Beschwerden habe es geheissen, dies sei durch den Personalmangel
begruendet, damit nach der Uebergabe an den Nachtdienst um 19:00
schliesslich alle im Bett liegen koennten. Aber am 3.9. beobachtete der
Sachwalter neuerlich, dass seine Klientin, diesmal allerdings schon um 14:00
(!) ins Bett gelegt wurde. Er bekam auch eine Begruendung: Sie haette
bereits Druckstellen vom Sitzen. Dazu passend liess die
PID-Rathauskorrespondenz Pittermann bereits 2002 beim Besuch im Krankenhaus
Lainz vortreten, die hierorts die Betreuung von Wachkoma-Patienten
vorangetrieben haette. Weiters habe sie sich zum Ausbau der Versorgung der
Apalliker (ebendie mit dem Wachkoma) und der Optimierung der medizinischen
und pflegerischen Betreuung bekannt.

Politische Konsequenzen bietet News-Networld mit dem Titel "Pflege-Skandal
in Lainz". Die Krankenpfleger und FP-Gesundheitsstaatssekretaer Reinhard
Waneck wuerden ein einheitliches Pflege-Gesetz fordern. Da kann Ursula
Haubners Kommentar dabei natuerlich nicht fehlen: Die Sozialen Dienste und
die Hauskrankenpflege seien ohne die Pflegeleistungen der Familie
ueberfordert. Eine Abhilfe sei nur durch den Pflegescheck in Sicht, mit dem
das "Pflegenetzwerk in den Familien" gestaerkt wuerde. Laut Waneck seien
neun verschiedene Gesundheitssysteme schlicht zu teuer - und die Wiener
Gruenen werfen Pittermann politisches Versagen und politisches Wegschauen
vor. Siegrid Pilz beschuldigt diesbezueglich Pittermann, sie habe mehrfach
die Unwahrheit gesagt. Im Kurier.at vom 8.9. wird ueber den
oesterreichweiten eklatanten Mangel an Pflegepersonal berichtet. Die
Gemeinden haetten einfach nicht genug Geld. Etwas mystisch heisst es weiter,
das normale Verhaeltnis von Jung und Alt in den Heimen muesse gesichert
werden. Die Jungen seien die um die 60, die Alten die ueber 80. Weiters
wuerde das Pflegepersonal unter enormer Belastung leiden, viele am
Burn-Out-Syndrom.

Die Vorgeschichte der dunklen Vergangenheit von Lainz liegt 14 Jahre
zurueck, als Lainz zum Synonym fuer Morde im Pflegeheim wurde. Im April 1989
kam es zu Toetungen betagter PatientInnen durch vier Stationsgehilfinnen
Zur Anklage kamen schliesslich 40 vollendete und zwei versuchte Morde.
Offenbar wurden sechs Jahre lang alte, bettlaegrige Patientinnen mit den
Pharmaka Rohypnol, Valium und Dominal forte "behandelt", wozu ausserdem die
beruechtigte "Mundpflege" gekommen war: Den Patienten wurde mit einem Spatel
die Zunge niedergedrueckt und dann Wasser eingefloesst, bis sie ersticken.
Auch damals wurde als Motiv die Ueberbelegung, der berufliche Stress und
Personalnot angefuehrt. Aufgrund des negativen Images wurde das Pflegeheim
Lainz dann spaeter in "Geriatriezentrum am Wienerwald" umgewandelt. 1996
hatte die Gesundheitssprecherin der Wiener Gruenen, Alessandra Kunz, auf die
hohe Belegzahl pro Zimmer und auf zuwenig Personal hingewiesen, um die
Rehabilitationsaufgaben erfuellen zu koennen - oder um den PatientInnen
einfach beim Essen zu helfen.

Macht, Gewalt und Systemlogik

Die Lainz-Geschichten zeigen in ihrer Tragik nur das typische Bild einer
Systemlogik auf, die Alten lediglich den Pensionistenstatus, "das
Ausgedinge" zubilligt. Wo sich aber scheinbar diese Alten auch zum groessten
Teil dieser Logik zu fuegen scheinen. Die Grossfamilien existieren in
unseren Breitengraden nicht mehr - die "Senioren" landen irgendwann in den
Heimen, wo sie von der Willkuer des Pflegepersonals, der der Aerzte, aber
vor allem von den von der Politik zugestandenen finanziellen Mitteln
abhaengen. Paradoxerweise wird die hilflose Situation dann erleichtert, wenn
durch besondere Skandale - z.B. eben im Pflegebereich - grasse Missstaende
an den Tag treten. Das duestere Szenario wird dann scheinwerferhaft grell
beleuchtet, um nach ein paar Tagen wieder in der nichtbeachteten Dunkelheit
des medialen Interesses zu verschwinden.

Der Markt scheint allgegenwaertig - wenn man so will, bestimmen Angebot und
Nachfrage immer die Regeln. Die Alten werden aelter und dadurch mehr, die
Jungen weniger. Sowenig kann jemand gar nicht Zeitunglesen oder im Fernsehen
mitkriegen, um den einfachen Schluss zu ziehen, dass die Alten die Verlierer
sein muessen. Die gesundheitliche Revolution scheint unter dem Gesichtspunkt
fuer die Alten in der Gesamtheit ein Phyrrussieg zu sein - sie nuetzt zwar
in hohem Masse dem Einzelnen, sichert sein Ueber- und Fortleben, zeigt sich
aber fuer Wuerde unzustaendig. Da gilt es "generationsuebergreifend"
einzuhaken. Beispiele dafuer liefern viele meiner Bekannten und Freunde.
Hier ist es eine Freundin, die in mittlerweile leitender Funktion in einem
Wiener Gemeindespital arbeitet, wo sie trotz langwieriger Intrigen und der
gemeindeinternen Spitalsbuerokratie eine Station uebernehmen konnte:

Die Geschichte ist die einer schlicht unfaehigen maennlichen
Stationsleitung, die lediglich staendig die finanziellen und personellen
Vorgaben der Krankenhausverwaltung zu managen bereit war. Diese Umstaende
ermoeglichten ihm ein einigermassen gedeihliches und ungestoertes Arbeiten.
Um ihn herum hatte sich eine unkritische Stationsgruppe gebildet, die
Pflegestandards mit der Zeit selbst nicht so wichtig nahm. Wie leicht ein
noetiger "Schein" auf dieser Station zu erreichen war, hatte sich auch bei
Schwesternschuelerinnen bereits herumgesprochen. Die erwaehnte Freundin kam
neu auf diese Station und hatte es sich bereits in den ersten Tagen mit
allen angelegt - vor allem aber mit der Stationsleitung, der sie massive
Versaeumnisse in der Pflegeanwendung vorgeworfen hatte. Persoenlich
angesprochen, hatten ihr bereits mehrere vom Team in der Kritik
rechtgegeben, keine war allerdings bereit, dies auch vor der Stationsleitung
und gar vor der Kontrolle zu aeussern. Dies haette sich in der
Dienstbewertung negativ auswirken koennen - und man wusste ja keinesfalls,
wer kuenftig das Sagen hatte.

Die Freundin machte dies publik, wandte sich an die Krankenhausleitung und
uebergeordnete Stellen. Die Gemeindebuerokratie hatte dafuer nur die Form
eines Hearings zur Verfuegung, die bisherige Stationsleitung konnte trotz
Unfaehigkeit nicht so ohne weiteres versetzt werden. Endergebnis war
allerdings: sie erhielt die Station, die PatientInnen ab sofort eine
tadellose Pflege. Hannah Arendt hatte Macht und Gewalt getrennt. Macht
gruendet sich im Unterschied zur Gewalt auf das Einverstaendis anderer und
besteht nur so lang, wie dieses Einverstaendnis andauert. Der Mut, nein zu
sagen, sich zu wehren, die Dinge oeffentlich zu machen - sich nicht hinter
falschem Korpsgeist zu verstecken, bedeutet Macht. 1939 erfolgte im
September Hitlers "Euthanasieerlass", der willigst von den Wiener Spitaelern
vollzogen wurde und zu grauenhaftester Gewalt an den "geistigkranken"
PatientInnen gefuehrt hatte. Hannah Arendts Macht-Definition laesst auch die
"Maechtigen" der Politik und der Wirtschaft anders aussehen. Was sie haben,
ist bloss die Gewalt. *Fritz Pletzl*



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