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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Juni 2003; 12:39
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EU/Recht/Moderne Zeiten:

> Amerikanische Zustaende bei Softwarepatenten?

Oder: Was eigentlich dagegen spricht, Einkaufswagerln zu patentieren


Dass im Europaparlament das Chaos der Vorlagen und Abstimmungen in vielerlei
Sprachen dazu fuehrt, dass der jeweilige Anteil der Abgeordneten, die noch
wissen, worueber sie eigentlich abstimmen, noch geringer ist, als dies schon
bei den nationalen Parlamenten der Fall ist, ist eine oft bejammerte, aber
leider sehr realistische Annahme. Und so werden auch die wenigsten
Abgeordneten an einem "Vorschlag fuer eine Richtlinie des Europaeischen
Parlaments und des Rates ueber die Patentierbarkeit computerimplementierter
Erfindungen" etwas Boeses finden -- schliesslich handelt es sich hier doch
um den Schutz von geistigem Eigentum und damit doch einer Absicherung des
"Forschungsstandortes Europa".

Beim "Verein zur Foerderung Freier Software" (FFS) sieht man das ganz
anders. Denn es stellt sich die Frage, wozu man denn eigentlich ploetzlich
so ein Gesetz braucht -- sind Computerprogramme denn nicht sowieso
geschuetzt? Ja, sind sie, aber nur durch das Urheberrecht, das das gesamte
Programm als geistiges Werk schuetzt. Patentieren hingegen lassen sich
Programme "als solche" ueberhaupt nicht, die vorliegende EU-Richtlinie soll
dafuer sorgen, dass Ideen, Prinzipien, Erfindungen und dergleichen im
Zusammenhang mit Computertechnologien patentiert werden koennen. Als ein
Beispiel fuer ein solches Patent, dass vom Europaeischen Patentamt zwar
bereits erteilt worden ist, dem aber die tatsaechliche rechtliche
Absicherung noch fehlt, nannte Georg Jakob vom FFS letzte Woche bei einem
Vortrag bei den "Linuxwochen" im Wiener Museumsquartier: Die Patentierung
von "Einkaufswaegen" bei Online-Shops. Diese virtuellen Einkaufswaegen sind
in Webshops mittlerweile gang und gaebe und entsprechen in ihrer technischen
Originalitaet ihren realen Pendants in realen Supermaerkten. Jakob: "Jeder
wuerde sich an den Kopf greifen, wenn man reale Einkaufswaegen patentieren
wollte. Man stelle sich vor: Billa laesst die Wagerln patentieren und alle
anderen muessen Lizenzen zahlen". Das waere in der realen Welt eine absurde
Vorstellung, aber in der virtuellen soll das Realitaet werden. "Soll werden"
insofern, als dass dieses Patent zwar schon existiert, Klagen aber vor
Verabschiedung der EU-Richtlinie und der entsprechenden Einbindung ins
nationale Recht noch nicht sinnvoll waeren.

Derlei Patentklagen sind in den USA schon lange kein Problem mehr. Man sieht
aber auch, wohin das fuehrt. Mit ein Grund fuer die erdrueckende Macht
Microsofts auf dem PC-Sektor ist genau dieses Recht, waehrend in Europa die
Freie Software-Szene boomt: Linux, von einem Finnen erfunden und
hauptsaechlichen von europaeischen Freaks weiterentwickelt, ist nur ein
Beispiel dafuer, was ein wenig restriktives Recht in diesem Bereich
ermoeglichen kann. Nur hat das halt den "Nachteil", dass nicht ein paar
Softwarekonzerne ohne viel Aufwand abcashen koennen. Ein typisches Beispiel:
Die deutsche Tochter des amerikanischen Konzerns SCO versuchte, die Klagen
gegen Linux in den USA (s. akin 15/03) hierkontinents dazu zu verwenden,
potentielle Linux-Anwender einzuschuechtern, sie koennten die Rechte von SCO
verletzen, weil Bruchstuecke des SCO-Unix-Codes auch in Linux zu finden
waeren. SCO Deutschland erlitt nur fuerchterlich Schiffbruch: Die Muenchner
Stadtverwaltung ignorierte SCO und fuehrte fast demonstrativ Linux auf ihren
Amtscomputern ein, und dem Konzern wurde gerichtlich untersagt, weiterhin
mit solchen Falschmeldungen Linux-Dienstleistern das Leben schwer zu machen.

Genau hier liegt auch das Gegenargument fuer die Behauptung, dass die Freie
Softwareszene sowie kleine kommerzielle Unternehmen doch auch ihre Patente
einbringen koennten: Denn wer kann sich schon Heerscharen von
Winkeladvokaten, sauteure Zivilprozesse und enorme jaehrlich zu entrichtende
Patentgebuehren leisten, wenn nicht die Herren mit dem "Big Money"? Und
genau diese Macht fuehrt nicht nur zur weiteren Konzentration von
Konzernherrschaft in diesem Gebiet und einer Patentflut an
Selbstverstaendlichkeiten und geistigen Produkten weniger gut bestallter
Kreativer, sondern sie ist auch ein Hemmschuh fuer die Weiterentwicklung von
Software: Patente gelten beispielsweise hierzulande 18 Jahre und verfallen
nach dieser Frist, um dem technischen Fortschritt nicht mehr im Wege zu
stehen -- dies ist ein Zeitrahmen, der vielleicht fuer die Erfindung der
Dampfmaschine sinnvoll war, in der Computerbranche des 21.Jahrhunderts aber
als quasi-ewig anzusehen ist.

Genau diese Gefahr droht Europa mit der vorliegenden Richtlinie, die heute,
Dienstag, in einem Ausschuss des EU-Parlaments beraten und im Herbst im
Plenum beschlossen werden soll. Vielleicht sollte man den ueberarbeiteten
Damen und Herren dort ein bisschen Aufklaerung darueber zukommen lassen, was
sie da beschliessen sollen. Musterbriefe liegen auf der Homepage des FFS.
*Bernhard Redl*


Verein zur Foerderung Freier Software: http://www.ffs.or.at/news.html


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