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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 3. Juni 2003; 22:11
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Prinzipielles/Recht:

> Bad Vibrations

Vom Besitz an Woertern


Wem gehoert die Sprache? Eigentlich eine dumme Frage. Fragen koennte man
allenfalls, wer denn die Sprache beherrsche -- in des Wortes doppelter
Bedeutung --, aber dass sie jemandem gehoert...? Und doch werden wir bald
aufpassen muessen, welcher Woerter wir uns bedienen. Zwar hatte der
oesterreichische Oberste Gerichtshof letztes Jahr dem Lebensmittel-Konzern
Ferrero mitgeteilt, dass die Marke "Kinder" nur sehr teilweise schutzwuerdig
sei, weil es sich dabei um ein aus der deutschen Alltagssprache entlehntes
Wort mit "weitlaeufig gehaltener Aussagekraft" handle und die
Internet-Domain "kinder.at" daher nicht einklagbar sei, doch widersprach der
OGH jetzt seiner eigenen Judikatur. Das Wort "Vibrationen" gehoert -- nach
einem kuerzlich ergangenen Entscheid -- einem Ausstellungsveranstalter und
zwar in allen moeglichen Zusammenstellungen und Uebersetzungen. Das betrifft
zwar nur den Bereich von Ausstellungen und aehnlichem, ist diesbezueglich
aber ziemlich weitreichend.

Der Karikaturist Manfred Deix hatte nun aber leider die schlechte Idee, nach
einem Song der "Beach Boys" seine letzte Ausstellung "Good Vibrations" zu
nennen. Aber nicht die Rechteinhaber des Beach Boys-Titels, sondern eben
jener Ausstellungsveranstalter klagte Deix' Veranstalter -- trotz
Uebertragung ins Englische und trotz der Kombination mit "Good". Zwar
bestaetigten weitgehend zwei ordentliche Instanzen die Rechtsansicht der
Beklagten, dass "Vibrationen" kein wirklich "starkes Zeichen" sei und damit
nur in geringem Ausmass zu schuetzen sowie, dass "Good Vibrations" einfach
"Gutes Gefuehl" bedeute und damit etwas ganz anderes als "Vibrationen".
Ausserdem sei "Vibrationen" als Ausstellungstitel so wenig bekannt, dass
eine Verwechslungsgefahr nicht bestuende.

Anders der OGH. Dieser verwarf all diese Einwaende: "Die Beklagte hat damit
die Marke des Klaegers zur Gaenze in ihr Zeichen aufgenommen, auch wenn
vibrations - richtig ausgesprochen - nicht voellig gleich klingt wie
Vibrationen. Dieser Unterschied reicht aber nicht aus, um die Gefahr von
Verwechslungen zu beseitigen, die regelmaessig schon dadurch begruendet
wird, dass ein Zeichen in ein anderes Zeichen vollstaendig aufgenommen wird.
(...) Massgebend ist allein, dass der Ausstellungstitel den Eindruck eines
Zusammenhangs mit den unter Vibrationen veranstalteten Ausstellungen erweckt
und damit die Gefahr von Verwechslungen begruendet."

Die beklagte Partei wurde verurteilt, einen Teil ihrer
Ausstellungs-Einnahmen an den Inhaber der Marke abzufuehren.

Ausser eingeschworenen Deix-Fans werden die meisten Menschen vielleicht
denken, der konkrete Fall koenne ihnen eigentlich wurscht sein. Aber was
heisst das allgemein? Allgemein ist zu befuerchten, dass wir bald nicht mehr
Woerterbuecher verwenden werden, sondern Markenregister, um etwas ueber ein
Wort zu erfahren. Denn der Sprache geht es nicht besser als dem weltweiten
Genpool oder der Naturheilkunde: Worauf bislang niemand Rechte erworben hat,
wird jetzt einfach patentiert. Dass "Coca Cola" und "IKEA" Marken sind, wird
niemand bestreiten, aber Woerter wie "Vibrationen" sind unserem ganz
normalen Sprachgebrauch entnommen, d.h. legal enteignet, wenn man sie
patentieren laesst. Wie weit kann man da mit gutem Gewissen gehen und vor
allem: Wie weit wird unser Recht da noch gehen?

Die Softwarebranche kennt den Begriff der "Publik Domain". Das sind
Computerprogramme, die frei zum Gebrauch und zur Vernutzung fuer jedermann
frei gegeben sind. Diese Programme haben eindeutig festmachbare Autoren, die
fuer jedermann verstaendlich Rechte darauf anmelden koennten, dennoch aber
eine freie Nutzung zulassen. Die Sprache hingegen hat keine Autoren, sie ist
eine Leistung aller, die sie sprechen, sie wird von uns allen taeglich
veraendert und neu geschaffen -- und dennoch kann jemand daherkommen und
sagen: "Dieses Wort da gehoert mir und wer es verwenden will, muss zahlen!"

Gerade jene Politiker, die so darauf aus sind, das "Kulturerbe" zu
schuetzen, haben kein Problem damit, die Interessen irgendwelcher
Patentinhaber fuer wichtiger zu halten als das Allgemeinwohl. Ihnen muss man
klipp und klar sagen: Sprache gehoert allen. Sprache ist Public Domain!
*Bernhard Redl*

Quelle: OGH-Entscheid 4 Ob 13/03w
Zum erwaehnten kinder.at-Urteil siehe auch akin-pd vom 17.9.2002 sowie OGH 4
Ob 156/02y



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