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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 3. Juni 2003; 22:07
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Gipfelhuepfen:

G8: Diesmal keine Toten

Der Schweizer Armee-Generalstabschef Keckeis hatte auf die Frage, ob man vor
der Anti-G8-Grossdemo am 1.Juni Verletzte oder gar Todesopfer wie in Genua
befuerchten muesse, gemeint: "Ich rechne damit, leider!"

Ein Toter wie in Genua blieb uns gluecklicherweise erspart. Doch was laesst
sich sonst noch ueber die Geschehnisse rund um diesen Achtergipfel sagen? Es
ist schwer, all das auf einen Nenner zu bringen. Zu vielfaeltig waren die
Geschehnisse rund um den Genfer See in zwei Staaten mit internationaler
Beteiligung bei den Demonstrierenden wie bei den Polizeikraeften. Man kann
es sich dabei natuerlich auch leicht machen, wie das der ORF machte oder
auch der "Standard", der am Montag sinnig titelte: "Gewalt beim
Versoehnungsgipfel".

Wir versuchen es anders. Aus dem ganzen erhaltenen Wust an Texten
herausgefischt bringen wir hier exemplarisch einen kurzen Ueberblick ueber
das Geschehen, einen Kommentar von ATTAC Oesterreich, zwei boese Geschichten
mit Schwerverletzten und ein Beispiel, wie die Polizei sich verhaelt, wenn
man journalistische Arbeit anders machen moechte als gewuenscht.

*

Ueberblick

DONNERSTAG: Viele Laeden in Genf werden verbarrikadiert. Es gibt die ersten
groesseren Demos: aus den Camps in Annemasse ziehen ueber tausend Leute los.
In Lausanne sind es viertausend. In Annemasse beginnt der Gegengipfel.

FREITAG: Ueber 2000 Menschen demonstrieren in Genf fuer Bewegungsfreiheit.
Die Demo ist samba-lastig ausgelassen und verlaeuft weitgehend friedlich. Am
Rande gibt es einige eingeworfene Scheiben und kleinere Auseinandersetzungen
mit der Polizei. Einige hundert FahrradfahrerInnen blockieren einen Platz
vor dem Nestlé-Gebaeude in Vevey. Am fruehen Abend machen 400 Leute eine
ungehorsame Fahrradtour durch Genf. In Annemasse und auch in Genf tagen den
ganzen Tag Gegengipfel.

SAMSTAG: In Genf und Annemass finden den ganzen Tag Gegengipfel statt.
Nachmittags gab es eine Demo in Annemasse von etwa 1.500 Leuten. Ca. 200
Menschen zogen anschliessend weiter, um gegen einen Kongress der PS
(Sozialistische Partei Frankreichs) zu protestieren. Sie wurden mit
Traenengas angegriffen. In Lausanne gab es eine Sitzblockade.

SONNTAG: Bei einer brutalen Polizeidurchsuchung des Genfer Zentrums "Usine"
sind 11 Leute festgenommen worden, darunter auch Indymedia-AktivistInnen.
Offenbar sind mittlerweile alle wieder frei. Die ZivilpolizistInnen waren
teilweise vermummt und hatten Teleskop-Schlaeger. Es gab Verletze.

Ueber 100 000 auf der Strasse gegen den G8 Gipfel. Ein Demonstrant, der sich
von einer Bruecke abseilte wurde schwer verletzt, nachdem die Polizei die
Seile von ihm und einer weiteren Aktivistin durchschnitt. Zuvor gab es
unzaehlige Blockaden, vor allem Bruecken. (indymedia)

*

ATTAC-Kommentar

Vom 29. Mai bis ersten Juni fand eine Reihe kleiner Gegenveranstaltungen zum
G8-Meeting in Evian am Genfer See unter dem Motto "G8 ist illegitim" statt.
Organisiert wurde dieses Wochenende vom "Forum Social Lémanique", dem
Sozialforum Genfersee an dem auch ATTAC-Schweiz teilgenommen hat. Den
Auftakt machte dabei ein prominent besetztes Europaeisches ATTAC-Kolloquium.
Vor mehreren hundert ZuhoererInnen diskutierten u.a. Jean Ziegler, Susan
George und Eric Toussaint ueber wirtschaftliche, soziale und militaerische
Kriege im Neoliberalismus. Der Samstag stand dann ganz im Zeichen der
Vernetzung der internationalen sozialen Bewegungen. Den Hoehepunkt bildete
schliesslich die grosse Demonstration am Sonntag an der rund 100.000
Menschen teilnahmen. In zwei Zuegen von Schweizer und Franzoesischer Seite
marschierte die bunte und kreative Demonstration auf die verbindende Grenze
zu. Parallel zu all diesen Aktivitaeten trafen sich Tausende AktivistInnen
in den diversen "barrios", wo gemeinsam diskutiert, gegessen und gefeiert
wurde. Leider wurde das bunte Treiben von einem anderen Treiben
hintertrieben. In der Nacht von Samstag auf Sonntag zogen rund 200 Personen
durch die Genfer Innenstadt, schmissen wahllos Fensterscheiben ein und
setzten eine Tankstelle in Brand. Offen ist noch der politische Hintergrund
der Ausschreitungen. Sicher ist jedoch, dass sich diese Aktionen - egal wie
sie gemeint waren - nicht gegen die G8 gerichtet hat, sondern vielmehr der
globalisierungskritischen Bewegung in der Schweiz und insbesondere dem
"Forum Social Lémanique" Schaden zugefuegt haben. Bleibt zu hoffen, dass die
angeregten Debatten und die friedliche Grossdemonstration als die
wesentlichen Ereignisse des Wochenendes in Erinnerung bleiben werden.

*

Photograph durch Schockgranate schwer verletzt.

Demonstranten marschierten auf der Hauptstrasse Genfs und befanden sich auf
dem Rueckzug einer friedlichen Demonstration gegen den G8-Gipfel, als
deutsche Polizisten -- Teil eines 1000-Mann starken Kontingents, das fuer
die Dauer des G8-Gipfels an die Schweiz 'ausgeliehen' worden war -- den Ort
erreichten und aggressiv in ihre Megafone schrien, waehrend sie alle
anliegenden Strassen blockierten und den sich auf dem Rueckzug befindlichen
Demonstranten, sowie ansaessigen Fussgaengern den Weg versperrten.

Die Polizei, welche in voller Strassenkampfmontur und zu diesem Zeitpunkt
sichtlich ausser Kontrolle gewesen zu sein schien, begann die Menschen zu
beleidigen, zu provozieren, anzuschreien und sie offensichtlich grundlos mit
Schock-, sowie Traenengasgranaten zu beschiessen.

Als die Situation eskalierte und eine Gruppe von zehn Aktivisten aus dem
Schwarzen Block und Anhaengern der Tuerkisch-Kommunistischen Partei anfingen
von weiter unterhalb der Strasse Steine in Richtung Polizei zu werfen
bemuehten sich drei Schweizer Repraesentanten der Veranstalter der
Anti-G8-Demonstration erfolglos mit der Polizei zu verhandeln.

Die Polizeibeamten begannen nun damit, aus Seitenstrassen heraus auf die
Steinwerfer loszugehen, was die Demonstranten, einige Fussgaenger und
Journalisten, dazu zwang, in Deckung zu rennen. Als sie versuchten aus der
Schusslinie der Polizei zu kommen feuerte diese eine Salve aus 20-30
Schockgranaten in ihre Richtung. Guy Smallman, Fotograf aus Brixton und
Mitarbeiter beim Independent Media Center in Grossbritannien, wurde am
Wadenbein von einer Granate getroffen, die aus naechster Naehe abgefeuert
wurde und einen Teil seines Beines unterhalb des Knies abriss.

Es dauerte eine gute Stunde bis der Notarzt eintraf. Waehrend dieser Zeit
hielten Polizisten damit an, Beleidigungen und noetigende Bemerkungen an den
am Boden liegenden IMC-Reporter zu richten, der von Demonstranten versorgt
wurde.

Aerzte im Genfer Hauptkrankenhaus bestaetigten, dass eine grosse Anzahl von
Leuten in den vergangenen Tagen ernsthaft von Schockgranaten verletzt worden
sind. Nach einer zwei-stuendigen Operation in Genf am Sonntag, in der Aerzte
versuchten, den Wadenmuskel seines linken Beines zu retten, befindet sich
Guy Smallman in einem stabilen Zustand, wird jedoch mit einer Serie von
Operationen zu rechnen haben, um Nerven, Muskel und Haut wieder angenaeht zu
bekommen. (Indymedia Deutschland/gek.)

Originalartikel auf IMC UK:
http://www.uk.indymedia.org/front.php3?article_id=70454&group=webcast

*

Polizist laesst Aktivisten abstuerzen

Bei einer Protestaktion stuerzte ein Demonstrant am Sonntagmorgen von einer
Schweizer Autobahnbruecke in die Tiefe. Das Seil, an dem er hing, war von
einem Polizisten durchtrennt worden. Der 39-jaehrige Londoner Martin Shaw
zog sich mehrere Knochenbrueche zu. Der Beamte, der das Seil kappte, war
sich nach eigenen Angaben zufolge nicht bewusst, dass ein Mensch daran hing.

Etwa 15 Aktivisten, darunter Shaw, ein erfahrener Aktivist, waren am 1.Juni
gegen 11 Uhr zur Bruecke gegangen und hatten zwei Seile gespannt, das eine
mit einem Banner mit der Aufschrift "G8 illegal" und das andere mit dem
Seil, an dessen Enden jeweils zwei Personen hingen. Die Bruecke ist ca. 30
Meter hoch.

Als die Polizei kam, wusste sie nicht, mit der Situation des Staus fertig zu
werden. Sie kam mit nur zwei Autos und begann am Anfang die Aktivisten
wegzustossen und zu schreien. Die Aktivisten erklaerten, wie heikel die
Situation waere, weil die Personen an den Seilen ihr Leben riskierten.

Dann begann einer der Polizisten das Seil anzuheben, um Autos durchfahren zu
lassen. Nach einer Weile schnitt er das Seil einfach durch und liess Shaw zu
Boden stuerzen.

Es dauerte ueber eine Stunde bis die notwendigen Rettungsdienste, Feuerwehr,
Notarzt und Hubschrauber kamen. (Indymedia Deutschland, AP/akin)

*

Brutale Zivilpolizei

Es war am Montag um 3 Uhr frueh als sich fuer 2 Medienaktivisten auf dem
Nachhauseweg in der Innenstadt Genfs eine seltsame Szene abspielte. Ein
Augenzeugenbericht:

"Wir gingen entlang der Rhòne in Richtung des alternativen Zentrums L`usine,
um uns dort von einem anstrengenden Tag zu erholen. Ploetzlich hoerten wie
lautes Geschrei. Wir sahen, wie sich mehrere dunkel gekleidete Maenner ueber
einen Jugendlichen hermachten, und ihn regelrecht verpruegelten. Wir konnten
auch erkennen, wie einer der Maenner den Kopf des Jugendlichen mehrmals auf
den Boden schlug, waehrend die anderen seine Beine und Arme auf den Boden
fixierten. Wir rannten hin, um zu sehen, was sich dort abspielte, und um zu
filmen, falls noetig. Als uns die Personen dann bemerkten rannte uns ein
Teil von ihnen schreiend entgegen, und fragten uns, was wir hier wollen, und
wir sollen unseren Pass zeigen. Alle waren schwarz maskiert und aggresiv.
Wir versuchten ihnen zu erklaeren, dass wir als Journalisten das Recht
haben, die Arbeit der Polizei zu dokumentieren.

Sie drohten uns, sie wuerden uns die Kameras wegnehmen, und uns verhaften,
wenn wir ihnen unserer Tape nicht gaeben. Wir mussten ihnen letztendlich
versprechen, diese Szene und vor allem ihre (vermummte) Gesichter nicht zu
filmen.

Beim Weiterlaufen sah ich dann das Opfer der ganzen szenerie. Es lag voellig
benommen am Boden, und blutete im gesicht. Ich startete die Kamera heimlich
nocheinmal, um sein Gesicht auf Band zu bekommen. Einer der Polizisten
bemerkte das, und wurde sofort wieder total aggresiv. Er schrie mich an, ich
solle ihm sofort meine Kamera geben, ansonsten wuerde er mich schlagen oder
mich mindestens mit aufs Revier nehmen. Nachdem ich nocheinmal betonte, dass
dies mein Presserecht sei, und ich ausserdem sowieso nicht ihre Gesichter
gefilmt habe, sondern nur den Verletzten, wurde ich aufgefordert sofort die
Stelle vom Tape zu ueberspielen. Dies wollte er mit eigenen Augen sehen. Ich
musste die kamera auf den boden richten, um die Szene zu ueberspielen.
Dann packten sie den Verletzten in eines ihrer (zivilen) Fahrzeuge und
fuhren schnell weg." (Gipfelsoli/gek.)



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