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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. Mai 2003; 14:51
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Pensionszerform:

> Pension durch Produktivitaet

Anmerkungen zur aktuellen Debatte

Die Pensionen seien zu hoch, die Alten wuerden aelter, immer weniger Leute
wuerden arbeiten ... kurz gesagt, wir steuern auf eine Katastrophe zu.
Tiefgreifende Reformen gehoeren her - und damit klar ist, was damit gemeint
ist, eine Klarstellung: Reform heisst nicht etwas, das im Sinne einer
sozialen Weiterentwicklung unternommen wird, im Neudeutschen heisst Reform
immer nur eines: Sozialabbau.
Dennoch bleibt einem nicht erspart, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen:
Da wir ja nicht gerade vor einer Bevoelkerungsexplosion stehen, sondern in
Oesterreich ja alle bejammern, dass zu wenig Kinder auf die Welt kommen,
muesste es langfristig ja mehr als reichen, wenn wir zur Erhaltung des
Wohlstandes in Summe gleich viel produzieren wie bisher.

Diese Menge an "gesellschaftlichem Reichtum" muss natuerlich Jahr fuer Jahr
produziert werden. Wieviel menschliche Arbeit dazu notwendig ist, haengt
ganz entscheidend von der Produktivitaet, also dem, was pro Stunde erzeugt
wird, ab.

Schaut man sich die voraussichtliche Entwicklung von Produktivitaet und der
Verschiebung der Zusammensetzung im erwerbsfaehigen Alter und den "Alten"
an, so ergibt sich folgendes Bild: Grundlegende Katastrophen einmal ausser
Acht lassend (Atomkrieg ...) ist bei einem jaehrlichen Wachstum der
Produktivitaet von 2% zu rechnen. Somit stellt jedeR Werktaetige in 50
Jahren pro Stunde um knapp 170% MEHR her als heute. Im Gegensatz dazu ist
der Anstieg der Alten vergleichsweise gemaechlich! Schlussfolgerung: Wir
KOeNNTEN uns das derzeitige Niveau an Pensionen und (Frueh-)PensionistInnen
auch weiterhin locker leisten und haetten zusaetzlich noch einen ziemlichen
Verteilungsspielraum im Sinne etwa einer DRASTISCHEN Arbeitszeitverkuerzung.

Natuerlich bedeutet obiges, dass der gesellschaftliche Reichtum auch
entsprechend abgeschoepft werden muss. Bislang war dies bei uns neben
Zahlungen unmittelbar aus dem Budget (dieser Anteil kann bis zu 1/3 der
Pensionssumme ausmachen, ein Anteil, von dem wir aber aktuell weit entfernt
sind) zum groessten Teil eine Mischung aus ArbeitgeberInnen- und
ArbeitnehmerInnenanteilen. Diese berechneten sich aber nach der Hoehe des
Lohnes. Loehne, die nicht mit der Produktivitaet wachsen, haben auch ein
Zurueckbleiben der "Lohnnebenkosten" Pensionsgelder zur Folge. Entsprechend
wuerde eine an den Produktivitaetsfortschritten orientierte Lohnpolitik die
Spielraeume auch fuer die nicht mehr in Erwerbsarbeit stehenden erhoehen.

Diese "Umverteilungsaufgabe" (die ja eigentlich keine ist, denn es geht
lediglich um den entsprechenden Anteil der Lohnabhaengigen am
Produktivitaetswachstum) ist die Aufgabe, wie sie im Detail organisiert
wird, ist zwar wichtig, aber nicht prioritaer - etwa ueber eine Erhoehung
der Zuwendungen an die Pensionskassen aus Arbeitgeber- und
ArbeitnehmerInnenanteilen oder ueber eine Wertschoepfungsabgabe, fuer die
vieles spricht.

Knackpunkt ist, ob es gelingt, einen entsprechenden Verteilungskampf
erfolgreich zu fuehren. Erst seit die Lohnabhaengigen und deren Vertretungen
in der Defensive sind, sinkt die Lohnquote und damit ist auch die davon
abhaengige Finanzierung des Sozialstaates nicht mehr gegeben.

Dies ist der Punkt, wo sich der Kampf gegen die Globalisierung, der Kampf
gegen "Liberalisierung" ueber WTO und das rabiate Freihandelskonzept der EU
mit der innenpolitischen Auseinandersetzung trifft. Auch wenn vieles von
dem, was UnternehmerInnenvertreter in Bezug auf die Globalisierungszwaenge
behaupten, uebertrieben ist, so kann doch nicht uebersehen werden, dass in
Zeiten freier Waren- und Investitionsstroeme der Konkurrenzdruck enorm
zugenommen hat. Hier gilt es parallel anzusetzen: Dem TINA-Syndrom (there is
no alternative) einer Margret Thatcher ist der Kampf anzusagen. Der "stille
Putsch der Neoliberalen" muss niedergeworfen werden, es muessen neue Regeln
erkaempft werden - Mindeststandards bei Loehnen, neue Prioritaeten im
Warenverkehr ...

Wirtschaft? Wachstum?

Wenn von Wohlstand die Rede ist und ob er ausreiche, um die Versorgung der
Alten auch in Zukunft zu garantieren, so kommt man nicht umhin, das Starren
auf das Geld bzw. auf abstrakte Werte - und von nichts anderem war ja oben
weiter die Rede - zu ueberwinden. Im Sinne einer zukunftsfaehigen
Entwicklung ist es nicht egal, was konkret hinter dem Geld steckt. Mit
anderen Worten: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts reicht es nicht mehr, dass
eine Gesellschaft nach folgenden Prinzipien funktioniert: Moeglichst viel
wird moeglichst betriebswirtschaftlich effizient produziert - egal ob
Waffen, Autos, gesunde Lebensmittel, Hauptsache, es wirft Profit ab. Dies
wird dann in Geld gemessen, zusammenaddiert und als gesellschaftlicher
Wohlstand definiert. Und ein Teil von dem wird dann zu Sozialleistungen -
unter der Voraussetzung, dass diese Art eines Verteilungskampfs, der von der
konkreten Seite der Waren absieht, ueberhaupt erfolgreich ist. Mittelfristig
ist nur ein "Wohlstand" leistbar (und verteilbar), der die oekologischen und
sozialen Voraussetzungen von Leben nicht untergraebt. Um diese abstrakte
Forderung an einem Beispiel zu konkretisieren: Ein Verkehrssystem, das auf
individualisiertem Autoverkehr beruht, ist nicht leistbar, weder oekologisch
noch sozial. Da bedarf es zuerst einer langfristigen Folgenabschaetzung, und
dann muss eine entsprechende Infrastruktur erarbeitet werden - gemeinsam und
solidarisch. Damit sind wir aber bei den grundlegendsten Heiligen Kuehen
unserer Gesellschaft. Sozialpolitik ist nur dann nachhaltig leistbar, wenn
alle Bereiche der Gesellschaft mit Demokratie durchflutet werden. Billiger
ist sie nicht zu haben. *Walther Schuetz / gek.*



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