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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. April 2003; 20:10
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Glosse/Sozial:

> Jung sein in Oesterreich

Vom Recht, wenigstens mit 20 ein Gammler sein zu duerfen

Als ich 20 war, war es mir wurscht, wie das einmal mit meiner Pension
aussehen wird. Ich wusste, irgendeine Pension werde ich schon bekommen und
angepasst und saturiert werde ich frueh genug. Und ich hatte genug andere
Probleme; ich wollte, gerade einmal dem Joch der Schule entronnen, zuerst
einmal meinen Platz im Leben finden. Ich brauchte nicht viel Geld und ich
konnte mit meinem Leben experimentieren. Es war eine Phase enormer Freiheit,
die ich auch benoetigte, um erstmal zu erkunden: Was bin ich und was will
ich ueberhaupt vom Leben? Wo sind die Menschen, die mich weiterbringen --
nicht beruflich, sondern geistig und menschlich.

Das war mir damals selbstverstaendlich, war aber tatsaechlich ein Recht, das
von anderen erstritten worden war -- in seinen sozialen Grundlagen von der
Arbeiterbewegung, in seiner geistigen Ausformung von den 68ern. Ich war ein
junger Erwachsener, dem von der Gesellschaft widerwillig, aber
letztendlich -- und auch trotz der Staberln dieses Landes -- doch das Recht
zugestanden worden war, ein "langhaariger Gammler" zu sein. Ich konnte
studieren was ich wollte, von Institut zu Institut streunen, mich daneben
politisch betaetigen und naechtelang Buecher lesen, die so gar nichts mit
der Frage zu tun hatten, womit ich einmal mein Geld verdienen koennte. Es
war die Phase in meinem bisherigen Leben, in der ich am meisten gelernt
habe. Und das Wichtigste, was ich so lernen konnte, war, dass Lernen auch
Spass machen kann.

Das war Ende der 80er. Waere ich Ende der 50er 20 gewesen, haette ich, nicht
aus betuchtem Hause kommend, kaum Matura machen koennen, geschweige denn
studieren. Aber ich haette mir wohl keine Sorgen um meine Pension gemacht,
denn auch in diesen noch nicht ganz so reichen Zeiten war der soziale
Frieden so wichtig, dass eine akzeptable Alterversorgung eigentlich
ungefaehrdet erscheinen musste.

Aber waere ich heute 20? Wollte ich studieren, muesste ich nicht nur
arbeiten, sondern trotzdem noch meine Eltern anschnorren und um jedes Jahr
betteln, dass ich weitermachen darf -- weil studieren eine teure
Angelegenheit geworden ist. Ich muesste darauf schauen, so schnell wie
moeglich im kapitalistischen Establishment meinen Platz zu finden, ohne nach
links und rechts zu schauen. Ich wuesste bei jedem Gehaltszettel: Auch
dieser Lohn wird bereits in meinen Pensionsberechnungsgrundlage
miteinberechnet, denn es soll ja zukuenftig die gesamte Lebensarbeitszeit
Beachtung finden. Bis ich dann fruehestens in 45 Jahren in Pension gehen
kann, muss ich jetzt zwar die bestehenden Pensionen mitbezahlen, aber
gleichzeitig auch noch "Eigenvorsorge" betreiben, damit ich im Ruhestand
nicht voellig verarme.

Das ist nicht nur ein soziales Problem. Es ist auch im ganz engen Sinn des
Wortes ein gesellschaftliches. Hier wird eine Jugend herangezogen fuer die
beinharte Ellbogengesellschaft; Fachidioten und Konsumtrotteln fuer den
Markt werden gezuechtet, weil man den jungen Erwachsenen ganz von Anfang an
klarmacht: Haerte ist gefragt; wer nachdenkt, wer sucht, wer experimentiert,
der wird zum Verlierer. Der neue Lehrmeister fuer junge Menschen heisst:
Angst!

Was diese Angst mit uns allen macht, die wir nicht der reichen Oberschicht
angehoeren, ist schlimm. Sie bringt uns alle immer haeufiger zu dem
Gedanken, ob wir uns diese oder jene Freiheit im Leben noch erlauben
koennen.

Ich bin heute 35 und ich finde es erschreckend, dass ich heute schon an die
Pension denken soll oder muss. Das ist eigentlich auch noch kein Alter, in
dem solches Denken angebracht waere. Dieser Staat bringt mich aber dazu,
mich heute schon alt zu fuehlen. Aber wenigstens hatte ich mit 20 noch ein
bisserl mehr Moeglichkeiten, mich auszutoben. Ich habe gelernt, dass es noch
etwas anderes gibt als das durchgeplante Einheitsleben von der Wiege bis zur
Bahre. Wer das heute als 20jaehriger kennenlernen will, braucht dazu um
einiges mehr Mut als wir damals.

Und das Ganze nennen sie Eigenverantwortlichkeit, Individualitaet,
Selbstaendigkeit. Ich nenne es: Den dummen Einheitsbrei des Kapitalismus!
*Bernhard Redl*




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