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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Maerz 2003; 19:26
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Irak:

> Der Teufel soll ihn holen

Ein aegyptischer Journalist erlebte Bagdad ohne Aufpasser. Bis er
ausgewiesen wurde.

An Tarek Hassan, Journalist der aegyptischen Tageszeitung «al-Ahram», ist
ein Schauspieler verloren gegangen. Zuhause in Kairo parodiert er gekonnt
Saddam Hussein bei der taeglichen Huldigungssendung des irakischen
Fernsehens. Devote Generaele gruessen den Herrscher, Saddam quittiert es mit
einem pathetischen «Salimmli aleehum!» (Sie seien auch von mir gegruesst!).
«Das sind die irakischen `breaking news' - jeden Tag dasselbe.»

Tarek Hassan machte waehrend seines Aufenthalts in Bagdad weder Notizen noch
Tonbandaufnahmen. Telefonnummern lernte er auswendig. Alles andere waere
viel zu gefaehrlich gewesen, meint er. Nach 45 Tagen und taeglicher,
ergebnisloser Durchsuchung seines Hotelzimmers wurde ihm dennoch beschieden,
er sei unerwuenscht und muesse ausreisen. Wer nichts hat, verbirgt etwas.
Vielleicht hatte der Geheimdienst auch mitbekommen, dass er oft alleine,
ohne Aufpasser, in Bagdads unterwegs war. Mit Nabil, einem irakischen Freund
aus alten Tagen, machte er sich nachts auf in die Armenviertel Bagdads. Sie
trafen sich jeweils in einem Mittelklasse-Restaurant, dessen Besitzer immer
wieder ohnmaechtig zuschauen muss, wie Leute aus der Oberschicht, meist
ostentativ ihre Pistolenhalfter zeigend, die Zeche prellen.

Die irakische Regierung zelebriert ihre Macht. Im Bagdader Hotel Mansur
veranstaltet sie jeweils montags und donnerstags eine Massenhochzeit von
sechzig bis achtzig Paaren. Dabei wollten viele Frauen einfach moeglichst
schnell heiraten, um als potenzielle Kriegswitwen spaeter eventuell eine
Rente beziehen zu koennen. Die Schiiten in Obeidi, einem Armenviertel
Bagdads, aber auch konservative Sunniten zwingen neuerdings die jungen
Frauen, ihr Gesicht zu verhuellen. Sie wollen sich fruehzeitig abgrenzen von
der Oberschicht, die sich im modernen Bagdad nach wie vor schamlos
amuesiere. Das Volk nennt sie die Takarta, die Mafia aus Saddams Geburtsort
Tikrit - neureiche, privilegierte Embargo-Parvenus aus dem Dunstkreis von
Armee, Partei und Regierung. Die Neureichen seien aber nicht nur ein Produkt
des Embargos, heisst es in Obeidi. Es habe sie unter Saddam schon immer
gegeben. Ihre schicken Wohnviertel wuerden von normalen Leuten New York
genannt, wegen der schoenen Laeden, der teuren Autos und der Jeunesse dorée,
die in Trendmode auf den Gehsteigen paradiere. Bei der konservativeren
Bevoelkerung Bagdads hiesse das Gebiet auch Chicago - ein Verweis auf Mafia,
Gangstertum und Waffen. Ueberhaupt Waffen: Nicht nur die Privilegierten und
Saddam-Getreuen truegen jetzt Waffen, auch in den unteren Schichten wappne
man sich. In Obeidi etwa gingen geschmuggelte, nagelneue Kalaschnikows fuer
siebzig US-Dollar heimlich ueber den Ladentisch. Die Schiiten fuerchten die
Republikanischen Garden, die Sunniten fuerchten die Rache der Schiiten,
beide fuerchten sie die Kurden, die mit Bagdad offene Rechnungen haben. Alle
hielten sich selber fuer die Verlierer der kommenden Auseinandersetzungen.
Also versuchten sie sich abzusichern. Tarek Hassan ist ueberzeugt, dass
gerade die Schiiten sehr vorsichtig sein werden. Sie wuerden bis zum letzten
Moment warten, um sich gegen die Armee zu stellen. Die US-Truppen muessten
in Bagdad Saddam schon umstellt haben, vorher wuerden die Schiiten sich
nicht ruehren. Geschaehe das aber, haette CNN die goldene Gelegenheit,
US-Faehnchen auf den Balkonen Bagdads triumphierend in alle Welt
auszustrahlen. So ist die amerikanische Invasion also berechtigt? Hassan
zuckt mit den Schultern. Die Frage sei schwierig zu beantworten. Das Gros
des irakischen Volkes wisse gar nicht, was vor sich gehe. Bagdad, der ganze
Irak seien wie ein abgelegenes Dorf. Bei seiner Ankunft in Bagdad nahm ihm
die Grenzpolizei saemtliche Magazine und Zeitungen ab. Internet gebe es nur
fuer ausgesuchte Leute, und die angewaehlten Websites wuerden kontrolliert,
ebenso die E-Mails. Satellitenfernsehen ist streng verboten und das Abhoeren
von «feindlichen» Radiosendern lebensgefaehrlich.

Manchmal wuenscht sich Tarek Hassan, dass die US-Amerikaner diesen
Zustaenden ein Ende bereiten wuerden. Aber das sei illusorisch. «Die
aermeren Iraker, die ich kennen gelernt habe - und es sind fast alle arm -,
sagen: `Moege Saddam und seine Clique der Teufel holen. Amerika ist des
Teufels. Sollen sie also kommen, die Amis! Aber wenn der Teufel weg ist, was
kommt dann? Wir wagen nicht daran zu denken.'» Hassan lehnt sich zurueck:
«Siehst du? Das ist unser Dilemma. Wir wollen die Amerikaner, und wir wollen
sie nicht. Sie koennen vielleicht reinhauen, aber befreien, wie es die Leute
heimlich wuenschen? Das koennen sie nicht. Ich hasse es, unser arabisches
Dilemma.»
(Daniel Ludwig, Kairo, WoZ)

http://www.woz.ch/wozhomepage/usa03/bagdad_11j03.htm


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