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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Maerz 2003; 21:18
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GUS:

> Menschenrechte gibt es hier nicht

Ein exemplarisches Suendenregister der Sowjeterben

Nachdem die Sowjetunion untergegangen war, hat sich im Westen nach und nach
die Meinung eingeschlichen, dass dort "wieder alles gut" werde. Jelzin
dankte ab, und mit Putin kam in Russland ein Mann an die Spitze, der
tatsaechlich viele Reformen in Angriff nahm. Zunehmend - dank Putins
Wirtschafts- und Finanzpolitik - wird der ehemalige Ostblock als
Handelspartner und darueber hinaus als Verbuendeter "im Kampf gegen den
Terrorismus" geschaetzt - Kritik an der latenten Menschenverachtung der
Regime innerhalb der GUS-Staaten wird daher kaum geuebt, zu gerne sieht man
heute darueber hinweg. Der demokratischen Entwicklung in diesen Laendern tut
man damit aber ueberhaupt keinen Gefallen, und den Menschen, die sich
getrauen, unliebsame Wahrheiten offen auszusprechen, und damit ihre
Gesundheit oder gar ihr Leben aufs Spiel setzen, auch nicht. Es ist eben
noch ein langer Weg fuer die Menschen in der ehemaligen Sowjetunion, bis von
wirklicher Freiheit, von wirklicher Demokratie dort die Rede sein kann.

Beispiel Turkmenistan: die beiden Regimekritiker Muchametkuli Ajmuradow und
Choschali Garajew wurden 1995 in Turkmenistan wegen "staatsfeindlicher
Vergehen" zu 15 bzw. 12 Jahren Haft verurteilt. Es liegen keine Beweise
dafuer vor, wonach die beiden in irgendeiner Form Gewalt angewandt oder
befuerwortet haetten. Vielmehr deuten zwingende Indizien darauf, dass die
Anschuldigungen gegen sie konstruiert wurden, um sie wegen ihrer Kontakte
zur turkmenischen Opposition im Exil zu bestrafen.

Am 10. Dezember 1998 verurteilte man sie wegen eines angeblichen
Ausbruchsversuchs zu weiteren 18 Jahren Gefaengnis. Auch bei diesem
Tatbestand wurden Vorwuerfe laut, dass er von den Behoerden konstruiert
worden sei, um die anstehende Verlegung der beiden Haeftlinge aus dem
Hochsicherheitsgefaengnis in eine weniger restriktive Haftanstalt zu
verhindern und sie erneut wegen ihrer oppositionellen Haltung zu
Staatspraesident Nijasow zu bestrafen.

Choschali Garajew starb dann im September 1999 im Hochsicherheitsgefaengnis
von Turkmenbaschi (vormals Krasnowodsk). Nach Darstellung der
Gefaengnisbehoerden soll er sich erhaengt haben, nachdem er wegen einer
Pruegelei in eine Einzelzelle verlegt worden war. Gegen einen Selbstmord
spricht, dass er kurz vor seinem Tod in einem Brief die Hoffnung aeusserte,
von einer bevorstehenden Praesidialamnestie zu profitieren und im Jahr 2000
mit seiner Familie vereint zu sein. Es gab zudem keinerlei Anzeichen von
Depressionen oder Suizidgefahr bei dem Gefangenen.

Muchametkuli Ajmuradow sitzt weiterhin, inzwischen also seit sieben Jahren,
im Gefaengnis und wartet darauf, dass aufgrund vieler internationaler
Proteste sein Fall vor einem ordentlichen Gericht neuverhandelt wird.

Auch in der Ukraine, dem geografisch "westlichsten" der
Ex-Sowjetunion-Staaten, wird auf Menschenrechte nicht immer Ruecksicht
genommen; erst kuerzlich kam es deswegen zu lautstarken Protesten gegen
Praesident Kutschma, der die Demonstration von der Polizei niederknueppeln
liess. Wir erinnern uns darueberhinaus vielleicht noch alle an den
"verschwundenen" ukrainisch-georgischen Journalisten Georgij Gongadse, der
als Herausgeber der Internet-Zeitung "Ukrainska Prawda" ueber Korruption in
der Regierung berichtet hatte.

Wiederholt hatte er um Personenschutz gebeten, der ihm verwehrt worden war.
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft eine bei Kiew entdeckte kopflose
Leiche als die des Journalisten identifiziert. Am Koerper selbst konnte die
Todesursache jedoch nicht ermittelt werden. Der Fall loeste eine politische
Krise aus, als Praesident Leonid Kutschma aufgrund von Tonbandmitschnitten
im Praesidentenpalast sich in Verdacht brachte, die Entfuehrung des
31-Jaehrigen angeordnet zu haben. Das ist nun etwas mehr als eineinhalb
Jahre her, und Kutschma sitzt nach wie vor in seinem Praesidentensessel.

Dass das inzwischen verarmte Weissrussland (Durchschnittseinkommen: 50 Euro
pro Monat) sich ebensowenig um Menschenrechte kuemmert, ist selbst im
Westen bekannt und hat vielleicht mit den Ausschlag dafuer gegeben, dass der
weissrussische Praesident Lukaschenko nicht zum Nato-Gipfel nach Prag
eingeladen wurde, worauf er mit der Drohung reagierte, er werde Europa mit
Drogen und Fluechtlingen ueberschwemmen, wenn man ihn nicht ernst naehme.
Der ehemalige Huehnerfarmdirektor, der Parlament und Gerichte mit seinen
Anhaengern besetzte, hat nach zahlreichen Berichten die Menschen, die
offenbar dem im Weg standen, spurlos verschwinden lassen. Sein offen
ausgesprochener Respekt vor Hitler verwundert nicht, sondern passt zu seinem
eigenen Regierungsstil. In ganz Weissrussland gibt es heute nur zwei
unabhaengige Radiosender, aber nur ein kleiner Teil der Bevoelkerung hoert
sie. Ein dritter unabhaengiger Sender wurde 1997 von Lukaschenko verboten.
Weniger als ein Prozent der Bevoelkerung kann das Internet nutzen. Die
staatliche Zeitung hat eine ebenso hohe Auflage wie alle unabhaengigen
Zeitungen zusammen. Wer fuer regimekritische Zeitungen arbeitet, muss mit
Repressalien rechnen. Dass man hier nicht mehr mit dem beruehmten "spurlosen
Verschwinden" rechnen muss, ist der inzwischen gestaerkten Opposition zu
verdanken, denn die Machthaber wissen genau: Wenn noch ein Oppositioneller
getoetet wird, ist ein Buergerkrieg nicht mehr weit. Der
Generalstaatsanwalt, der Ermittlungen wegen der vielen "verschwundenen"
Politiker und Journalisten angeordnet hatte, war kurz darauf seines Amtes
enthoben worden und hatte Weissrussland verlassen muessen. Ein besonders
schlechtes Zeichen ist, dass sich eine OSZE-Delegation in Weissrussland
unter Leitung von Uta Zapf sich nicht mit Oppositionsgruppen treffen
wollte - aus Zeitmangel, wie man sagte.

Und in Russland? Da sieht es nicht viel anders aus, auch wenn Putin davon
redet, vieles aendern zu wollen. Ein Schwerpunkt der
Menschenrechtsmissachtungen ist natuerlich Tschetschenien: Waehrend des
andauernden Konflikts dort machen sich die russischen Streitkraefte genauso
wie auf der anderen Seite die tschetschenische Truppen schwerwiegender
Menschenrechtsverletzungen und Verstoesse gegen das humanitaere Voelkerrecht
schuldig. Schaetzungsweise 160 000 Binnenvertriebene, hauptsaechlich Frauen
und Kinder, leben in ueberfuellten Fluechtlingslagern in Tschetschenien und
im benachbarten Inguschetien, wo ihnen nur behelfsmaessige Unterkuenfte mit
unzureichenden sanitaeren Anlagen zur Verfuegung stehen. Eine Delegation des
Europarats gab waehrend eines Besuchs dieser Region an, dass die
Bedingungen fuer Fluechtlinge in Tschetschenien »schrecklich« seien und sich
immer weiter verschlechterten. Zu den gemeldeten Menschenrechtsverstoessen
gehoerten willkuerliche Festnahmen, Folter und Vergewaltigungen,
Misshandlungen, Faelle von »Verschwindenlassen«, extralegale Hinrichtungen
und die Inhaftierung von Menschen in inoffiziellen geheimen
Gefangenenlagern, die haeufig nichts weiter als ausgehobene Erdgruben waren.

Die strafrechtlichen Ermittlungen, die von den Behoerden der Russischen
Foederation im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen durch Angehoerige
des Militaers und der Polizei eingeleitet worden waren, erwiesen sich als
unangemessen und unwirksam. Nur gegen wenige der fuer schwerwiegende
Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen wurde bislang ein
Gerichtsverfahren eroeffnet. Aus anderen Gebieten der Russischen Foederation
treffen weiterhin Berichte ueber Folter und Misshandlungen im
Polizeigewahrsam und ueber grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Haftbedingungen ein.

Russische Truppen nahmen eine Journalistin, Anna Politkowskaja, fest, die
Berichten ueber Folterungen und Vergewaltigungen von Gefangenen in
russischen Hafteinrichtungen in Tschetschenien nachgegangen war. Die
Festnahme erfolgte mit der Begruendung, dass sie keine offizielle
Arbeitsgenehmigung fuer die Region besaesse. Die Journalistin gab an, in der
Haft ueber ihre Arbeit vernommen und mit dem Tod bedroht worden zu sein.
Danach wurde sie ohne Anklageerhebung wieder freigelassen.

Aber auch auf anderen Gebieten kann von freier Meinungsaeusserung noch lange
nicht die Rede sein. Grigorij Pasko, ein ehemaliger Marineoffizier, wurde zu
einer vierjaehrigen, in einem Arbeitslager zu verbuessenden Freiheitsstrafe
verurteilt, weil er versucht haben soll, Informationen zu verbreiten,
die »der Kampfbereitschaft der Pazifik-Flotte schaden wuerden«. Der
Angeklagte war 1997 festgenommen worden, nachdem er die illegale Deponierung
von Atommuell durch die russische Marine aufgedeckt hatte. Er war angeklagt
worden, Dokumente, die im Interesse der oeffentlichen Sicherheit geheim zu
halten seien, an japanische Medien weitergegeben zu haben.Ein
Wiederaufnahmeverfahren gegen Grigorij Pasko wegen Hochverrats begann in
nicht-oeffentlichen Sitzungen vor dem Militaergericht der Pazifik-Flotte.

Mit dem noch immer fast allmaechtigen Militaer ist es ohnehin so eine Sache:
zwar besteht verfassungsmaessig das Recht auf Kriegs- und
Wehrdienstverweigerung (!), wer dieses aber in Anspruch nehmen will, setzt
sich erheblicher Repressalien aus: Gerichte verurteilen in der Praxis
Kriegsdienstverweigerer weiterhin zu Haftstrafen. Ilja Barischnikow, ein
junger Metallarbeiter aus der Region Nischnij Nowgorod, hatte versucht, sich
fuer einen alternativen Zivildienst zu bewerben. Sein Antrag wurde abgelehnt
und anschliessend wurde ein Strafverfahren wegen Wehrdienstverweigerung
gegen ihn eingeleitet. Ein oertliches Gericht verurteilte den
Neunzehnjaehrigen zu sechs Monaten in einer Arbeitskolonie.

Bei den Haftbedingungen in den Strafvollzugsanstalten und
Untersuchungs-gefaengnissen des Landes sind noch immer keine Verbesserungen
zu verzeichnen. Bis zu eine Million Menschen befinden sich unter extrem
beengten Bedingungen in Haft, was oftmals grausamer, unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung gleichkommt. Jedes Jahr werden landesweit in den
Gefaengnissen fuenf Millionen Aufnahmen und Entlassungen registriert. Die
medizinische Versorgung ist generell ungenuegend; Berichten zufolge sterben
jaehrlich 10 000 Haeftlinge. Ueber 100 000 Gefaengnisinsassen sollen an
Tuberkulose erkrankt sein, und die Infektion mit dem HI-Virus ist heute
ebenfalls weit verbreitet.

Auch die "russische Tradition" der Verhaengung langer Freiheitsstrafen fuer
relativ geringfuegige Delikte besteht noch heute: eine Kommission fuer
Strafvollzug in Russland schilderte den Fall eines Mannes, der zu einer
vierjaehrigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, weil er zwei Haehnchen
gestohlen hatte; und das in einem Land, in dem Tausende, die einen oder
mehrere Morde begangen haben, frei herumlaufen. Die gleiche Kommission
teilte mit, dass es auch heute noch haeufig keinen separaten Strafvollzug
fuer Kinder gibt: etwa 17 000 Kinder verbuessen derzeit in 64 Strafkolonien
fuer Erwachsene ihre Haftstrafen.

*Marat Abrarov, Trier/St.Petersburg* (gek.)



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