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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 26. November 2002; 14:43
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Neuquahlen/Debatte:

> Aus Nix wird Nix

Wahlergebnisse sind immer auch Berichte ueber den ideologischen Zustand
eines Landes. Das Ergebnis dieser Wahlen ist auch in dieser Hinsicht fuer
Linke eine einzige Katastrophe. Der Schriftsteller Robert Schindel nannte im
montaeglichen Mittagsjournal diese Wahlen "einen Intelligenztest, den die
Oesterreicher nicht so wirklich gut bestanden haben". Auf der Homepage von
"Fuer eine Welt ohne Rassismus" ist es aehnlich zu lesen. Dort steht seit
vorgestern abend lapidar ein einzeiliger Kommentar: "24.11.2002:
DUMMES LAND". So denken wohl viele.

Eigentlich ist das Ergebnis noch viel schlimmer als es auf den ersten Blick
erscheint. Es braucht diesmal keine zweifelhaften Waehlerstromanalysen, um
zu sehen, dass nicht nur der OeVP-Triumph, sondern auch die SPOe-Gewinne
fast ausschliesslich aus rueckgekehrten, frustrierten FP-Proteststimmen
bestehen. Das geht aus den lokalen Ergebnissen beispielsweise von Linz oder
der industrialisierten Obersteiermark hervor, wo die SPOe um die 6
Prozentpunkte wiedergutmachte. Wenn man sich beispielsweise das mittlerweile
sprichwoertliche Knittelfeld ansieht, wird aber nicht nur das bestaetigt,
sondern auch die Frage geklaert, woher die Gruenen ihre Gewinne haben. Die
Konkursmasse der Liberalen war dort minimal, also gab es dort auch keine
Gewinne fuer die Gruenen. Die Umkehrprobe ist in Neubau zu machen: In der
Gruenen Hochburg rutschten die Liberalen von 12,72% auf 2,25% ab. Das sind
ziemlich genau jene rund 10 Prozentpunkte, die die Gruenen im Bezirk
zulegten.

Anders ausgedrueckt: Die explizit linken Stimmen in diesen Parteien
stagnieren. Wenn SPOe und Gruene also beim naechsten Mal zugewinnen wollen,
muessen sie nach rechts rutschen -- zumindest werden ihnen das ihre
Spindoktoren reindruecken. Denn in Zeiten, wo Wahlkampfberichterstattung so
aussieht, als haette man versehentlich "Sport am Sonntag" eingeschaltet, wo
darueber diskutiert wird, wer die beste Performance in einem Wahl-"Duell"
gehabt haette und wer wohl den "dritten Platz am Stockerl" erreichen wird,
geht es tatsaechlich nur mehr darum, wer die meisten Wahlstimmen auf sich
vereinen kann. Es ging nicht einmal um den Anspruch auf einen
Regierungsbildungsauftrag, es ging darum, wer Nationalratsmeister 2002 wird.
Und "dabeisein ist alles" gilt hier nicht, der Zweite ist schon der erste
Verlierer. Und wenn man da gut abschneiden will, muss man halt den Menschen
aufs Maul schauen und, statt zu sagen, was man selbst denkt, ihnen das
sagen, von dem man denkt, dass sie es gerne hoeren wollen.

Doch Opportunismus ist nicht nur schlimm fuer die Stimmung im Land, sondern
auch extrem kurzsichtig. Denn wer geht schon zum rotgruenen Schmiedl, wenn
er zum schwarzen Schmied gehen kann? Die Antwort auf die Misere muss eine
andere sein und die ist leider sehr unbequem: Man kann zwar mitunter ernten,
was andere gesaet haben, wie das Kreisky gemacht hat, dem es gelungen war,
Teile der aufstrebenden Sozialen Bewegungen dazu zu bringen, mit ihm "einen
Teil des Weges gemeinsam" zu gehen. In Zeiten des neoliberalen Biedermeiers,
in dem gesellschaftliche Stagnation mit "Stabilitaet" gleichgesetzt wird,
ist fuer eine Linke einstweilen einmal nichts zu ernten. Zuerst muss man
sich wieder darauf besinnen, politische Arbeit im Sinne von Agitation zu
betreiben. Man muss versuchen, den Menschen zu erklaeren, warum man einer
anderen Meinung ist und warum ein anderes Gesellschaftsmodell sinnvoll
waere -- und zwar nicht nur "fuer Oesterreich".

Es bedarf also einer Art politischer Alphabetisierungskampagne, in der es
darum gehen muss, Menschen zum Selberdenken anzuregen. Da weiss man zwar nie
so genau, was dabei rauskommt, und man weiss vor allem nicht, wie sich das
dann fuer Sozialdemokraten und Gruenen an der Wahlurne auswirkt -- im
Allgemeinen aber kann es nur besser werden. Es gilt die Buehne der
buergerlichen Demokratie zu nuetzen, um Botschaften und Ideen einer
postkapitalistischen sozialen Moderne zu transportieren. Es gilt in dieser
obrigkeitsorientierten, kanzlerwaehlenden, in Kategorien einer zweifelhaften
Stabilitaet denkenden Bevoelkerung jene Menschen anzusprechen, die genug
Phantasie haben, um sich Veraenderungen vorstellen zu koennen. Das ist
gewiss eine herkulische Arbeit. Und sie lohnt sich vielleicht fuer die
Karrie-risten in den Parteien auch nicht. Aber diese Arbeit ist notwendig.
Sonst sind wir in ein paar Jahrzehnten immer noch in diesem reaktionaeren
Mief, der nur die Wahl zwischen postmonarchistischem Obrigkeitsdenken und
offenem Faschismus laesst. *Bernhard Redl*


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