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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Oktober 2002; 14:19
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Neuquahlen:

> Was zu erwarten war

Das Grüne Wahlprogramm verwechselt Pragmatik mit Opportunismus und Utopie
mit Naivität - eine Rezension

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"Oesterreich braucht jetzt die Gruenen." Mit diesem aussagekraeftigen Titel
wollen die Gruenen uns von ihrer Brauchbarkeit ueberzeugen -- und auch
gleich von ihrer Regierungsfaehigkeit. "Oesterreich" als allererstes Wort
eines Parteiprogramms sagt schon viel aus.

Dann kommt natuerlich ein Vorwort vom Herrn Professor Van der Bellen und als
naechstes das Stammthema der Gruenen: Oekologie. Davon verstehen sie etwas
und ich glaube ihnen da ihren guten Willen.

Wenn es aber vom reinen Oeko-Thema weg und damit hin zu seiner
gesellschaftlichen Verankerung geht, wird es fuer mich bereits
problematisch. Denn dann kommen sie mit ihrer "Oekosozialen Steuerreform",
also der Verschiebung der Besteuerung weg vom Faktor Arbeit auf Umwelt- und
Ressourcenverbrauch. So aehnlich, lange vor Umweltintentionen, hatte es
schon Dallinger mit seiner Maschinensteuer vor. Das heisst aber: Mehr
menschliche Arbeit, etwas das mit Arbeitszeitverkuerzung nicht verknuepfbar
ist. Bei aller Liebe zu Umweltinteressen, irgendwie werde ich den Verdacht
nicht los, dass hier der Arbeitsfetisch immer noch heilig gehalten wird --
die Idealkonstellation von Rousseau und orthodoxen Arbeitsethos.

Und dann soll das Ganze auch noch aufkommensneutral sein -- brauch ma des:
aufkommensneutral? Wenn ich mir den Rest des Gruenen Programms ansehe,
kommen mir Zweifel, ob da jemand nachgerechnet hat. Gefordert werden da:
Bildungskarenz, Sabbatical, Verzicht auf Studiengebuehren, leistbare
Kinderbetreuungsplaetze, sichere und gute Pensionen auch fuer Menschen ohne
bisherigen Anspruch, und, und, und. Super! Aber: Tatsaechlich sind diese
Forderungen in toto nur machbar, wenn hoehere Einkommen und
Unternehmensgewinne auch hoeher besteuert werden. Der Verzicht auf
Abfangjaeger allein wird da wohl kaum ausreichen. Ansonsten muesste man bei
diesen Sozialmassnahmen ein groesseres Budgetdefizit hinnehmen -- was unter
den Bedingungen der EU und des Euro aber nicht moeglich ist.

Was leider auch schon in den ersten Saetzen unangenehm auffaellt, ist die
stilistische Qualitaet des Textes, denn die Partei bedient sich eines
ziemlich penetranten Allmachtsstils im Praesens. Da fallen immer wieder
Saetze wie: "Die Gruenen beenden die unglaubwuerdige, rueckschrittliche
Politik frueherer Regierungen." Man koennte glauben, dass die Gruenen nicht
nur bereits ein paar Minister haetten, sondern das Land alleine regieren
wuerden. Wer so an den Realitaeten vorbeiformuliert, macht sich schon ein
bisserl verdaechtig, sich nicht wirklich damit auseinandergesetzt zu haben,
was es bedeutet, mit einer Partei wie der SPOe eine Regierung zu bilden.

Weiter im Text. "Gruene Verkehrspolitik schafft Wahlmoeglichkeiten und
entlastet Strassen und Umwelt vom Stau: Hoehere LKW-Maut, LKW-Fahrverbote,
Anpassung der Dieselbesteuerung, Zurueckfahren von Transitstrassenneubau und
Verhinderung von Sozial- und Sicherheitsdumping entlasten vom LKW-Verkehr."
Schoen! Aber wie das in einer EU zu realisieren ist, die sich darum einen
Scheissdreck schert und in der der oesterreichische Staat bekanntlich nicht
viel zu reden hat -- davon steht da nichts.

"Die Schaffung neuer Maerkte und Arbeitsplaetze ist ein zentraler
Schwerpunkt zukuenftiger oesterreichischer Wirtschafts- und Umweltpolitik.
In den Bereichen Umwelttechnologien und Oeko-Dienstleistungen gibt es
riesige Wachstumschancen, die beweisen, dass das breitgetretene Vorurteil
Umweltschutz schadet Arbeitsplaetzen falsch ist." Soll heissen: Wachstum,
Wachstum, Wachstum! Da hat wohl Christoph Chorherr das Handerl gefuehrt.
Getretner Quark wird breit, nicht stark!

Auffaellig wird die Regierungsbeteiligung in Griffnaehe, wenn es ums Soziale
geht -- also ums Knoedel und um das Selbstverstaendnis des Sozialstaates. Da
ist immer wieder von Grundsicherung die Rede: "Eine Grundsicherung fuer
Kinder, eine Grundsicherung im Arbeitsleben, eine Grundsicherung in Phasen
der Betreuung von Mitmenschen und eine Grundsicherung im Alter". Dazu
Mindestlohn, ordentliches Arbeitslosengeld und mehr Rechte gegenueber dem
AMS. Alles ehrenwerte sozialdemokratische Forderungen nach einem
Wohlfahrtsstaat. Aber der durchaus als revolutionaer anzusprechende, bei den
Gruenen in frueheren Konzepten angesprochene Ansatz eines Grundeinkommens,
also einer Zahlung vom Staat ohne Kontrolle der "Arbeitswilligkeit" und
aehnlichen demuetigenden und einer freien Individualitaet abtraeglichen
Massnahmen ist einfach verschwunden.

Thema Medien und Kultur: Foerderung der Pressevielfalt und eines
unabhaengigen ORF sind schoene Forderungen. Leider steht kein Wort ueber die
fortschreitende Kommerzialisierung der Medien im Programm. Saetze wie
"Freies Radio, Fernsehen und freie Online-Medien sind eine wichtige
Ergaenzung zum oeffentlichen und privaten Rundfunk und ein Medium der
politischen und gesellschaftlichen Partizipation." scheinen aber eher wenig
durchdacht -- denn wer kann ein "freies" - das heisst fuer mich in Analogie
zum freien Radio: nichtkommerzielles -- Fernsehen finanzieren? Dazu waeren
wiederum enorme Mittel noetig. Woher die kommen sollen, bleibt leider im
Unklaren.

Das Kapitel Neutralitaet laesst den Rezensenten ein bisserl skeptisch
zurueck. Da ist von "Staerkung internationaler UNO-Friedensmissionen" die
Rede. Im modernen Sprachgebrauch unterscheidet man aber wohl zwischen
"friedenserhaltenden" und "friedensschaffenden", sprich kriegfuehrenden
Einsaetzen. Diese Unterscheidung findet aber nicht statt. Bekannt duerfte
den Verfassern dieser Unterschied aber sehr wohl sein, denn die von den
Gruenen geplante "UN-Brigade" ist ausdruecklich nur fuer friedenserhaltende
Massnahmen vorgesehen. Das soll wohl heissen: Kriege moegen andere fuehren,
Du, neutrales Oesterreich, gebe nur Deinen Segen dazu.

Die Haltung der Gruenen zur EU? Ich erspare mir ein Lamento. Ein Zitat moege
reichen: "Gruene Europapolitik setzt um: Die Einigung Europas: Die
Erweiterung der Union ist ein grosser Schritt zur Ueberwindung der Spaltung
Europas. Sie staerkt Zusammenarbeit, schafft einen grossen, einheitlichen
Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsraum, etabliert demokratische Grundrechte
und ist eine Moeglichkeit, oesterreichische Umweltinteressen nachhaltig
durchzusetzen." Ja, klar...

So ist es nur folgerichtig, dass die Haltung der Gruenen zum Thema
globalisierter Kapitalismus unbekannt bleibt. Waehrend die Wiener Gruenen
dankenswerterweise wenigstens ueber das GATS reden, ist von der Bundespartei
nichts zu hoeren. Nachdem Wirtschaftsaussenpolitik aber eben leider
Bundessache ist, ist von einer gruenen Regierungsbeteiligung diesbezueglich
wahrscheinlich genau gar nichts zu erwarten. Interessanterweise
unterscheiden sich die Gruenen darin sogar von der SPOe. Denn von dieser hat
man zwar in rotschwarzen Zeit nicht gerade grossartige Opposition gegen
Weltbank, IWF, WTO oder MAI beobachten koennen, aber wenigstens schwingen
sie sich in ihrem eben beschlossenen Wahlprogramm zu folgenden
Lippenbekenntnis auf: "Wir wollen eine Reform der globalen Institutionen
(wie UNO, Weltbank, Waehrungsfonds, Welthandelsorganisation) unterstuetzen,
die diesem Ziel entspricht und auch die Einbindung der Zivilgesellschaft in
ihre weitreichenden Entscheidungen sicherstellt. Wir wollen einen
Verhandlungsstopp bei den GATS-Verhandlungen erreichen, um zunaechst die
bisherigen Liberalisierungen zu evaluieren." So stehts im SPOe-Programm zu
lesen. Fuer die Gruenen nicht einmal ein Thema.

Das Gruene Wahlprogramm ist grosso modo dennoch nett und lieb und trotz
einiger schmerzlicher Luecken eine Theorie, die durchaus wohltuend sich
abhebt von der Praxis bisheriger Regierungen. Wenn man also glaubt, dass
Wahlen etwas veraendern koennen und wenn man glaubt, dass die Gruenen in der
Regierung gegen SPOe, den Beamtenapparat, das Kapital, die EU und ihr
eigenes Realo-Denken zumindest ein bisserl was von dem durchsetzen koennen,
was in ihrem Programm steht, sind sie sicher waehlbar. Sie sind auch dann
waehlbar, wenn man glaubt, dass sie nicht alle ihre Vorstellungen fuer ein
paar Ministerposten hergeben und stattdessen freiwillig in der Opposition
bleiben wuerden. Ob man das aber glaubt, ist eine andere Frage. *Bernhard
Redl*


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