**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. Oktober 2002; 13:25
**********************************************************

Weise Maenner(1)/Religion:

Derzeit findet in Graz bekanntermassen eine tibetisch-buddhistische
Grossveranstaltung unter dem Titel "Kalachakra" statt, die leider auch im
Alternativbereich so manchen Mitmenschen in Verzueckung geraten laesst.
Deswegen bringen wir an dieser Stelle einen Text von COLIN GOLDNER zum
Thema, den uns das "Forum Kritische Psychologie", Muenchen, zugeschickt hat:

> Buddhistischer Djihad?

Das Kalachakra Tantra

Das groesste Kultspektakel des tibetischen Buddhismus, das sogenannte
"Grosse Kalachakra-Tantra", wird in unregelmaessigen Abstaenden und an
unterschiedlichen Orten in aller Welt in Szene gesetzt, geleitet jeweils von
"Seiner Heiligkeit" dem Dalai Lama hoechstpersoenlich, der sich als oberster
Repraesentant des "spirituellen Tibet" versteht.

Worum es bei dem in der Regel zwoelftaegigen Brimborium geht, ist schwer
nachzuvollziehen. Es stelle, wie in einschlaegigen Verlautbarungen
nachzulesen ist, einen "Buddhaaspekt" dar, eine "Manifestation des
erleuchteten Bewusstseins, die zum Wohle aller Wesen taetig ist" (Klell).
Was immer das heissen soll.

Naeheren Aufschluss geben die dem Ritual zugrunde liegenden Originaltexte,
sowie die Interpretationen und Handlungsanweisungen, die der Dalai Lama
selbst und von ihm bevollmaechtigte Autoren (z.B. A.Berzin) dazu vorgelegt
haben.

Angeblich geht das Kalachakra-Tantra - ein Tantra ist ein Text mit Methoden
zur Erlangung der Buddhaschaft - auf Buddha selbst zurueck. Am Tag nach
seiner Erleuchtung, laut Legende am Vollmondtag im Mai des Jahres 509
v.u.Z., habe er es in 100.000 Strophen vorgetragen. Von einem seiner
Nachfolger sei das Ganze auf gut 1000 Strophen verkuerzt und von einem
weiteren mit einem Kommentar versehen worden. Text und Kommentar seien dann
jahrhundertelang verschwunden gewesen, bis letzterer Ende des 10. Jhdts.
u.Z. in Indien wieder aufgetaucht sei, um als Grundlage zu dienen fuer die
Entwicklung des heute noch bestehenden Initiationsrituals. Anfang des 11.
Jhdts. u.Z. sei das Kalachakra nach Tibet gelangt, wo es zahllose
Umformungen und Erweiterungen erfahren habe. Besonders die
Gelugpa(=Gelbmuetzen-)Sekte, als deren Anfuehrer der jeweilige Dalai Lama
firmiert, befasste sich seit je mit Exegesen des Kalachakra. Die heute
gueltige Fassung stammt im wesentlichen aus dem fruehen 18. Jhdt. Der
aktuelle 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, hat das Ritual seit 1970 an mehr als
zwanzig Orten auf der ganzen Welt aufgefuehrt und dabei Hunderttausende
"eingeweiht".

Die mehrtaegige Veranstaltung, der der Dalai Lama vorsitzt und die von ihm
in tibetischer Sprache angeleitet wird, wird fuer Teilnehmer, die des
Tibetischen nicht maechtig sind, simultan uebersetzt. Das Ganze beginnt mit
rituellen Verbeugungen, Niederwerfungen und Opferungen, gefolgt von endlosen
Mantren-Rezitationen in Sanskrit (z.B. "Om a a am ha ha ham hah hoh phrem
dasha-paramita paripurani svaha") sowie einer Unzahl an Geluebden und
Selbstverpflichtungen (z.B. den Anweisungen eines Lama nicht zuwider zu
handeln); dazu gibt es Belehrungen ueber allgemeine buddhistische
Weltanschauung, ueber Wiedergeburt, Karma, Alchemie, Astrologie etc., sowie
auch und insbesondere ueber korrektes Sexualverhalten (z.B. ueber die
Vermeidung des "orgastischen Abflusses", sprich: der Ejakulation).

Zentraler und zeitaufwendigster Bestandteil des Kalachakra-Rituals ist indes
die Anleitung, vor dem geistigen Auge einen gigantischen Mandala-Palast zu
visualisieren. Dieser Palast - am ehesten vorstellbar wie ein riesiges
Lego-Gebaeude in Form einer vierstoeckigen Stufenpyramide - umfasse im
Erdgeschoss eine Grundflaeche von 350x350 Metern. Die hoeheren Stockwerke
seien jeweils halb so gross wie die darunterliegenden, so dass das
Obergeschoss immerhin noch eine Grundflaeche von rund fuenfzehntausend
Quadratmetern aufweise. Der Palast sei in jeder baulichen Einzelheit,
beschrieben en detail vom vorsitzenden Dalai Lama, zu visualisieren.
Desgleichen die 720 Wesenheiten, die sich als verschiedene Aspekte des
Buddhabewusstseins (Mitgefuehl, Weisheit Vollkommenheit etc.) darin
aufhielten. Diese Wesen, allesamt mit mehreren Koepfen und Armen sowie
verschiedensten Attributen, seien ebenso zu visualiseren, wie ein Hauptpaar
im Zentrum des obersten Geschosses: Kalachakra, der Gott der Zeit (und
niemand anderer als der Dalai Lama selbst), in sexueller Vereinigung mit
seiner Gefaehrtin Vishvamata. Kalachakra, schwarz von Gestalt, habe vier
Gesichter, ein weisses, rotes, schwarzes und gelbes. An der Stirn jedes
Gesichts zeige sich je ein weisses OM-Zeichen, ein rotes AH an der Kehle,
ein blaues HUM auf der Brust, und ein gelbes HOH am Nabel. Auf dem Kopf
trage er eine juwelenbesetzte Tiara, um den Hals eine Girlande aus
Totenkoepfen. Er habe insgesamt vierundzwanzig Arme, mit Haenden in rot,
blau, schwarz, gelb und gruen, in denen er todbringende Waffen (Schwert,
Dreizack, Keule, Lanze, Axt) halte, dazu die tantrischen Symbole fuer
Phallus (Diamantszepter) und Vulva (Glocke). An jedem Finger steckten Ringe,
denen verschiedenfarbiges Licht entstroeme. Mit seinen beiden Hauptarmen
umfasse er Vishvamata, die, von safrangelber Farbe, ebenfalls vier
Gesichter, aber nur nur acht Arme aufweise. In den Haenden halte sie u.a.
ein Hackmesser und eine mit Blut gefuellte Schaedelschale. Beide trampelten
auf ihren besiegten Feinden (bzw. deren Goettern) herum.

Nach endlosen Ehrerbietungs- und Hingabezeremonien seien nun "Lichtstrahlen
vom Herzen Kalachakras" zu visualisieren, die "uns in seinen Mund ziehen.
Wir schmelzen zu einem Tropfen (...), gehen durch sein Vajra- Organ (=Penis)
hindurch und gelangen in den Lotosschoss (=Vagina) Vishvamatas. Dort (...)
entstehen wir zunaechst als ein weisses OM, dann als ein weisser Lotos und
schliesslich als ein weisser Vajra-Koerper, mit ueberkreuzten Beinen
sitzend, drei Gesichtern und sechs Armen und eine rote Pandarvasin (=
Gefaehrtin) umarmend, die ebenfalls drei Gesichter und sechs Arme hat"
(Berzin). Undsoweiterundsofort ueber zwoelf Tage hinweg.

Und wozu das Ganze? Zwoelf Tage Psychiatrie? Nein, wer das gesamte Ritual
durchlaufe und saemtliche erforderlichen Geluebde ablege, erwerbe dadurch
die Berechtigung, als "Shambhala-Krieger" wiedergeboren zu werden, um in
einem apokalyptischen Endkampf gegen die Feinde des Buddhismus, prophezeit
fuer das Jahr 2424, diese vernichtend zu schlagen. Diese Feinde seien, in
Kurzform, jene, deren Fuehrer "Adam, Henoch, Abraham, Moses, Jesus (...)
Mohammed und Mathani" heissen, sprich: die Angehoerigen jeder Religion
semitischen Ursprungs. Als Hauptgegner werden die Anhaenger des Islam
herausgestellt. Feldherr dieses Endkampfes - einer Art buddhistischen
Djihads (= Heiliger Krieg) - werde ein gewisser Rudra Chakrin sein, wiederum
niemand anderer als der Dalai Lama selbst in kuenftiger Inkarnation
(Berzin).

Die Frage ist nun, was es den Rest der Welt angeht, wenn ein paar tausend
Spinner dem Dalai Lama huldigen und unter seiner Anleitung und fuer viel
Geld irgendein durchgeknalltes Ritual inszenieren. Eigentlich nichts. Egal
ob da Richard Gere, Madonna oder Pierre Brosnan teilnehmen. Vordergruendig
stellt das Kalachakra-Tantra in der Tat nichts anderes dar, als just einen
weiteren Aufguss aus Religionsversatz, Folklore und offener Psychiatrie, wie
er auf Esoterikmessen landauf und landab zu finden ist. Bei genauerer
Hinsicht allerdings beunruhigt die versteckte antisemitische Propaganda. Und
natuerlich der Umstand, dass diese Massenkonditionierung auf komplett
irrationale Denkfiguren von hoechsten gesellschaftlichen und politischen
Kreisen ausdruecklich gefoerdert wird.

Im uebrigen stellte auch der japanische Giftgas-Guru Shoko Asahara, ein
langjaehriger Protegé des aktuellen 14. Dalai Lama, ausdruecklich auf den
Shambhala-Mythos ab. Seine Anschlaege auf die Tokyoter U-Bahn im Maerz 1995
waren ein Versuch, die anstehende Apokalypse nebst darauffolgender
Buddhokratie - mit ihm selbst als Weltenherrscher - zu beschleunigen. Auch
in rechten Esoterik- und Okkultgruppierungen, Stichwort: "Esoterischer
Hitlerismus" (Miguel Serrano), hat dieser Mythos hohe Wertigkeit. All die
Behauptungen, es seien die Doktrin und die Handlungsanweisungen des
Kalachakra-Tantra nur "symbolisch" zu verstehen, als Kampf gegen die "die
inneren barbarischen Kraefte der stoerenden Gefuehle" (Berzin) oder als
Methode, "sich von der Ich-Illusion zu loesen" (Riedl), finden hier ihre
fatale Widerlegung: Zwoelf Tote und mehr als 5000 teils Schwerstverletzte
als Folge buddhokratischen Weltenherrschaftswahns zeigen, was "Frieden fuer
die Welt" aus buddhistischem Munde heissen kann.

Religioes begruendete Wahnsysteme koennen jederzeit in
(staats-)terroristische und/oder expansionistische Gewalt umschlagen. Der
Buddhismus, insbesondere in seiner tibetischen Variante des Vajrayana (=Weg
des Szepters [=Phallus]), ist insofern keine Ausnahme. Die Blutspur, die die
Diktatur der Lamas in der Geschichte Tibets hinterlassen hat, belegt dies
nur zu deutlich. ###


Quellen u.a.:
Bernbaum, E.: Der Weg nach Shambhala. Hamburg, 1982.
Berzin, A.: Kalachakra: Das Rad der Zeit. Muenchen. 2002.
Dalai Lama: Kalachakra-Tantra. Berlin, 2002.
Dhargye, T.: Konfliktfaktoren entgegenwirken - Frieden foerdern (Interview).
In: Ursache&Wirkung, 3/ 2002, 18-19.
Henns, M.: Kalachakra: Ein tibetisches Einweihungsritual. Zuerich, 1985.
Klell, M.: Kalachakra Graz 2002. In:
http://www.kalachakra-graz.at.
Mullin, G.: The Practice of Kalachakra. Ithaka, NY, 1991.
Riedl, P.: Kalachakra fuer den Westen. In: Ursache&Wirkung, 3/2002, 40-41.
Trungpa, C.: Shambhala: The Secret Path of the Warrior. Boston, MA, 1984.
Zangl, H.: Die Welt, in der wir leben: Eine Einfuehrung in die Lehren des
Aeusseren Kalachakra. In: Ursache&Wirkung, 3/2002, 20-22.
Kritik am Kalachakra (und sonstigen Praktiken des tibetischen Buddhismus)
u.a.:
Goldner, C.: Dalai Lama: Fall eines Gottkoenigs. Aschaffenburg, 1999 (Kritik
aus gesellschaftspolitischer Sicht [mit einem umfaenglichen Kapitel zu den
Verbindungen des Dalai Lama zu Shoko Ashara]).
Sierksma, F: Tibet's Terrifying Deities: Sex and Aggression in Religious
Acculturation. The Hague, 1966 (Kritik aus kulturanthropologischer Sicht).
Trimondi V./Trimondi, V. (H.u.M.Roettgen): Hitler, Buddha, Krishna: Eine
unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. Wien, 2002 (Kritik aus
religionsphilosophischer Sicht).
Waldvogel-Frei, B.: Und der Dalai Lama laechelte: Die dunklen Seiten des
tibetischen Buddhismus. Berneck, 2002 (Kritik aus evangelischer Sicht).

Weiter Texte des Forums Kritische Psychologie zum Thema:
http://www.fkpsych.de/pub_tibetischerbudd.html


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
eMail redaktion und termine: akin.buero@gmx.at
eMail abo: akin.abo@gmx.at
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin