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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Juni 2002; 05:30
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Maenner-Frauen/Kapitalismus:

> Sex als Arbeit

Zum Internationalen Hurentag

Anlaesslich des "Internationalen Hurentages" am 2.Juni
veranstalteten die Wiener Gruenen Frauen, der Verein LEFOe und
die Plattform fuer mehr Rechte von Frauen und Maennern in der
Sexarbeit eine gemeinsame Informations-Aktion. In diesem
Zusammenhang ist es vielleicht nicht uninteressant, einmal zu
beleuchten, wie mit Prostitution in unserer Gesellschaft
umgegangen wird und wie die Frauenbewegungen dazu stehen.

Die Entscheidung einer Person, in der Sexarbeit eine
Zukunftschance zu sehen, ist untrennbar mit der Frage ihrer
Chancen am Arbeitsmarkt verbunden. Ist das Bildungsniveau
insbesondere von Frauen niedrig, sind halbwegs gut entlohnte
Frauenarbeitsplaetze rar oder vielfach nicht vorhanden, steigt
die Wahrscheinlichkeit, dass sich Frauen fuer die Sexarbeit
entscheiden. Wie mit der Frage Frauen und Arbeit in den
verschiedenen Laendern umgegangen wird, laesst sich daher auch an
der Zahl und Nationalitaet jener Migrantinnen ablesen, die
versuchen, in Mitteleuropa ihre Lebenschancen zu verbessern. Die
Sexarbeit ist immer noch ein Ausdruck des Machtverhaeltnisses
zwischen den Geschlechtern. Wird den Maennern konsequent die
Rolle des Ernaehrers zugewiesen und werden die Frauen in ihrer
Lebensperspektive auf Kinder und Kueche reduziert, ohne eine
Moeglichkeit, am Arbeitsmarkt Unabhaengigkeit zu erlangen,
bleibt die Sexindustrie oft der einzige Zweig, der Arbeitsplaetze
fuer Frauen und somit ein gewisses Mass an oekonomischer Freiheit
bietet.

Stigmatisierung und Entsolidarisierung

Gleichzeitig gibt es keinen Erwerbszweig, durch den Menschen als
Personen mehr stigmatisiert und diskriminiert werden als die
Sexarbeit. Gibt eine Frau als Beruf Prostituierte an, so muss sie
damit rechnen, dass ueber ihren Beruf auf ihren Charakter
geschlossen wird. Sie arbeitet nicht als Prostituierte, sie ist
Prostituierte. Auch das ist Ausdruck des Machtungleichgewichtes
zwischen den Geschlechtern und der Doppelmoral. Waehrend Maenner
ohne jegliche Diskriminierung die Dienste der Sexarbeiterinnen in
Anspruch nehmen koennen, gilt immer noch, dass sich eine Frau
durch das Bekenntnis "Ich war oder bin Prostituierte" jeglicher
gesellschaftlicher Zukunftsperspektiven beraubt. Die Einteilung
der Frauen in die sogenannten "Anstaendigen", deren
Wirkungsbereich die Privatheit ist und deren Leistungen umsonst
sind, und die sogenannten "Unanstaendigen", deren Wirken in der
Oeffentlichkeit stattfindet und die einen "Preis" haben, ist
Ausdruck dessen, wer die Definitionsmacht ausuebt. Dieses Thema
ist ein so heisses Eisen, dass sich die Frauen diese
Definitionsmacht noch immer nicht zurueckerobert haben. Vielmehr
ist es so, dass sich die verschiedenen frauenbewegten Richtungen
ueber das Thema vollkommen entsolidarisieren. Auch dies ist eine
der vielen Fallen, die die Beschaeftigung mit dieser Thematik in
sich birgt. Die Graeben sind bisweilen unueberbrueckbar und die
Auseinandersetzungen innerhalb der Frauenbewegung vor allem von
Ausgrenzung gepraegt. Teile der Frauenbewegung vertreten die
Ansicht, dass Prostitution Gewalt gegen Frauen ist, das
Patriarchat stuetzt und letztlich abgeschafft werden muss.
Prominenteste Vertreterin ist Alice Schwarzer, die dem Gedanken,
dass Prostitution als Arbeit anerkannt sein koennte, nichts
Positives abgewinnen kann. In der europaeischen Frauenbewegung
ist diese Richtung sehr stark.

Zwischen Verbot und Empowerment

Die Ziele innerhalb der nationalen Frauenbewegungen reichen vom
voelligen Verbot bis zu voelliger Anerkennung als Arbeit. Jene
Organisationen und Institutionen, die mit der Realitaet von
Sexarbeiterinnen und hier vor allem von Migrantinnen konfrontiert
sind, sind eher der Ansicht, dass Prostitution rechtlich als
Arbeit gewertet werden sollte, weil jedes weitere Verbot zu einer
Existenzerschwernis der Sexarbeiterinnen fuehrt, da ja die
Verantwortung fuer die ordentliche Abwicklung des Geschaefts
zwischen Freier und Sexarbeiterin allein bei der Sexarbeiterin
liegt. In diesem Sinne ist auch die schwedische Gesetzesnovelle
zum Thema Prostitution, die neuerdings die Bestrafung der Freier
bei Inanspruchnahme der Dienstleistung vorsieht, mit Vorsicht zu
betrachten. In der Praxis erhaelt der Freier eine im Verhaeltnis
geringe Geldstrafe, und die zumeist illegale Migrantin in der
Sexarbeit wird abgeschoben. Und auch wenn dies die konsequente
rechtliche Folge eines illegalen Aufenthalts ist, wird dies von
den Betroffenen als Strafe empfunden, die sie wieder zurueck in
den zumeist kriminellen Kreis von Schlepperei und Menschenhandel
bringt. In Schweden bedeutet dies, dass die Frauen mehr denn je
gezwungen sind, in gefaehrliche, weil abgelegene Gegenden
abzuwandern und noch mehr im Schattenbereich der Gesellschaft
taetig zu sein. Ein weiterer Effekt dieser Politik ist, dass die
Prostitution in die benachbarten Staaten verlagert wird.
Beispielsweise nach Holland, wo die Prostitution schon seit
laengerer Zeit als Arbeit mit allen
sozialversicherungsrechtlichen Absicherungen anerkannt ist.

Anerkennung als Arbeit

An dieser Stelle sei auch jenes Urteil des europaeischen
Gerichtshofes vom November 2001 erwaehnt, das befindet, dass,
sofern die Taetigkeit wirklich selbstaendig ausgeuebt wird,
aufgrund von Assoziationsabkommen beider Laender mit der EU fuer
polnische und tschechische Sexarbeiterinnen die
Niederlassungsfreiheit gilt. Geklagt hatten sechs Frauen, die als
"Fenster-Prostituierte" in Amsterdam arbeiten wollten, vor einem
niederlaendischen Gericht. Trotz des liberalen niederlaendischen
Zugangs zu diesem Thema wurde in den Urteilen vorher
argumentiert, dass Prostitution keine gesellschaftlich
akzeptierte Form der Arbeit sei. Der EuGH stellte fest, dass es
sich in den meisten EU-Staaten "keineswegs um eine verbotene
Taetigkeit" handelt, sondern diese geduldet und sogar
reglementiert sei. In Amsterdam sei Strassen- und
Fensterprostitution erlaubt. Wobei das uebliche juristische
Dilemma mit dem Thema auch an diesem Fall ablesbar ist. Jeder
Entscheidung, wenn es um Rechte der betroffenen Frauen geht, ist
die Frage vorangestellt, ob das, was sie tun, ueberhaupt sein
darf, weil es ja sittlich an sich verwerflich ist. Dies bedeutet,
dass jede juristische Entscheidung auch die Gefahr fuer die
Betroffenen in sich birgt, dass die Prostitution als
gesellschaftliche Realitaet wieder einmal geleugnet und
abgewertet wird. Deutschland verfolgt mit vielen Debatten den
Weg, die Prostitution als Arbeit anzuerkennen. Dort hat das
Verfassungsgericht Berlin vor kurzem entschieden, dass
Sittenwidrigkeit und damit eine Unzuverlaessigkeit von
Gewerbetreibenden nicht vorlaege, wenn Prostitution von
Erwachsenen freiwillig und ohne kriminelle Begleiterscheinungen
ausgeuebt wird. In Deutschland haben verschiedene
Hurengewerkschaften wie Madonna oder Hydra, deren oberstes Ziel
das Empowerment der Sexarbeiterinnen darstellt und deren Arbeit
nun zunehmend Erfolge zeigt, eine jahrzehntelange Tradition.

Nicht verboten und doch sittenwidrig

Und Oesterreich? Strafrechtlich ist Prostitution in Oesterreich
nicht verboten; es handelt sich um eine erlaubte Taetigkeit.
Taetigkeiten, die erlaubt sind und stark nachgefragt werden,
werden im Allgemeinen als Arbeit bezeichnet. Von diesem Zugang
ist das legistische Bild jedoch nicht gepraegt. So ist die
Materie in den Landessittenpolizeigesetzen reglementiert, womit
suggeriert wird, dass es sich doch um eine verbotene Taetigkeit
handelt. Den Weg, Prostitution auf Landesebene per
Verwaltungsgesetz zu verbieten, ist jedoch nur Vorarlberg
gegangen. (In Wien stehen etwa 600 legale Prostituierte 6000 bis
8000 illegalen Prostituierten gegenueber. Die Zahl der legalen
sinkt, die der illegalen steigt. In Wien spricht man von 15.000
Freierkontakten pro Nacht).

In Wien liegen die Agenden bei der Bundespolizeidirektion Wien,
die damit zur "Gewerbebehoerde" fuer Prostituierte wurde, wodurch
z.B. Urlaube und Standortwechsel dort zu melden sind. Vor der
beabsichtigten Ausuebung der legalen Prostitution muessen dort
auch Fingerabdruecke und Fotos abgegeben werden. In engem
behoerdlichen Zusammenhang steht das "STD-Ambulatorium zur
Diagnose und Behandlung sexuell uebertragbarer Krankheiten", in
dem die woechtentlichen Kontrolluntersuchungen stattfinden. Da
das Ambulatorium Teil der MA 15 und somit selbst Behoerde ist,
nehmen nur wenige illegale Prostituierte die kostenlosen
Untersuchungen in Anspruch.

Nicht einmal der oberste Gerichtshof ist in der Thematik
"Prostitution" eindeutig. So hat er bei der Frage von
Schadensersatz in Form eines Verdienstentgangs einer
Sexarbeiterin entschieden, dass ihr dieser selbstverstaendlich
zustuende, da es sich bei dieser Taetigkeit ja um Arbeit handeln
wuerde. In der Frage der Gueltigkeit von Vertraegen zwischen
einer Sexarbeiterin und ihrem Freier hat er wiederum
festgestellt, dass diese sittenwidrig seien, weil "durch die
Prostitution ueblicherweise Leichtsinn, Unerfahrenheit,
Triebhaftigkeit und Trunkenheit anderer Personen (der Freier)
ausgenutzt werde". Der Schutz, das Selbstbestimmungsrecht und die
Wuerde der Frauen standen freilich noch nie im Zentrum
legistischer Betrachtungen. Aber auch im Frauenvolksbegehren fand
sich kein Punkt, der sich die Verbesserung der zumeist tristen
Lebenssituationen der oft illegalen Sexarbeiterinnen zum Ziel
gesetzt haette. Wenn es jedoch stimmt, dass sich die
Demokratiereife und der Bewusstseinsstand einer Gesellschaft am
Umgang mit Randgruppen ablesen laesst, dann befindet sich die
Politik hier auf einem Stand von vor 150 Jahren, als Prostitution
als notwendiges Uebel gesehen wurde. Eine Politik, die zu diesem
fuer Frauen (und Maenner) hochbrisanten Thema nicht klar Stellung
bezieht und sich das Empowerment der Betroffenen nicht zum Ziel
setzt, hat den Anspruch auf emanzipatorischen Fortschritt
verwirkt.
 

*Dieser Text (Original von IRIS KUGLER im "planet", Jaenner 2002)
wurde von uns um einige oesterreichbezogene Fakten (die wir von
den Gruenen Wien und LEFOe erhielten) erweitert und
ueberarbeitet.*

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