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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Juni 2002; 17:42
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Wien kommunal/Verkehr/Kapitalismus:

> Fahrrad und Markt

Wenn die etablierte Politik mal eine gute Idee hat oder sie sich
von irgendwoher borgt, soll man das auch durchaus anerkennen und
unterstuetzen. Die Gratisfahrraeder der Gemeinde Wien sind eine
ausgezeichnete Idee. Auf den Drahtesel aufzusteigen, einfach
wohin zu fahren, und ihn dort wieder anzubinden, ohne sich weiter
um ihn kuemmern zu muessen, was will man mehr. 1500 Fahrraeder
wollte man urspruenglich fuer die inneren Bezirke zur Verfuegung
stellen. Die einzige Zumutung ist, dass man als Reklametraeger
der Kronen-Zeitung auftritt. Aber da koennte man sich ja durchaus
eine Umwidmung einfallen lassen. Wer hindert einen, diese
Werbeflaechen anderweitig zu nutzen?

Nun aber droht der Versuch an den marktwirtschaftlich
dimensionierten Menschen zu scheitern. Die wissen naemlich
ueberhaupt nicht, wie man damit umgehen soll, betrachten das
Fahrrad als privatisierungswuerdiges Eigentum oder als
Gegenstand, der dazu da ist, sich einfach abzureagieren. Dass man
etwas gratis erhaelt, was man benuetzen kann, will nicht so recht
in die buergerliche Birne, daher werden die Raeder entwendet,
entfuehrt oder ruiniert. Der Destruktivitaet sind keine Grenzen
gesetzt. Und es ist nicht bloss ordinaere Habgier, sondern wohl
auch eine gehoerige Portion reiner Zerstoerungs»lust«, die die
Fehlnutzer da auszeichnet. So eine Art
Scheiss-drauf-Gefuehl: »Mach kaputt, weil du kaputt bist«, so
etwa duerfte der Imperativ der kleinen Unwesen lauten.

Sie fuehren sich auf wie die Depperten. Sie verhalten sich
geradewegs so, als waere es objektive Aufgabe und subjektive
Pflicht, dieser Fahrradidee den Garaus zu machen. Und es sind
nicht bloss »unbelehrbare Vandalen« oder gar »Gfrasta«, es sind
ganz normale Subjekte der Warengesellschaft, die das
Konkurrenzsystem zwei Grundbedingungen der Existenz gelehrt hat:
abstauben und ausschalten, kurzum: rauben und vernichten.

Die Leute sind es einfach nicht gewohnt, ein zweckentsprechendes
Verhalten an den Tag zu legen, meinte die Meinungsforscherin
Helene Karmasin in der mitternaechtlichen Nachrichtensendung ZiB3
am 30. Mai. Es sei eher erstaunlich, wie viele Raeder ueberhaupt
zurueckgegeben wurden. So kann man es natuerlich auch sehen. Man
vernimmt fast ueberall den obligaten Sermon, dessen Stehsaetzchen
ungefaehr so lauten: Der Mensch ist nicht so. Zwangsbeglueckung
scheitert. An solchen Dingen ist auch der Sozialismus zugrunde
gegangen ...

Eilfertig treten die Propagandisten der Marktwirtschaft auf, etwa
der Standard-Autor Helmut Spudich, fuer den das Ganze nur »eine
flaechendeckende, lebensnahe Lehrveranstaltung ueber das Versagen
kollektiver Eigentumsmodelle versus die funktionierende
kapitalistischen Organisationsformen« darstellt. Dass die
Funktionaere der kapitalistischen Organisationsform da nichts
anderes sind als die Marodeure der Fahrraeder, will ihm absolut
nicht auffallen. Im Gegenteil: Die mutwillige Zerstoerung
oeffentlichen Guts und das Bekenntnis dazu ist Grundlage seiner
irren Argumentation. Dass gerade die individuellen
Eigentumsverhaeltnisse an PKWs das Leben erschweren (Laerm,
Gestank, verparkte Flaechen, Schadstoffe, Unfaelle etc.), an so
was denken die Spudichs nicht. Hauptsache, es rechnet sich fuer
Auto- und Oelfirmen. Wer behauptet, dass der Kapitalismus
funktioniert, funktioniert nicht mehr, hoechstens als besoldeter
Ideologiesekretaer der Marktwirtschaft, die er blind jeder
konkreten Entwicklung zu verteidigen hat.

Ausserdem, so Spudich, »verdirbt die Injektion von Gratisraedern
das bisherige Marktverhalten: Wer will schon Raeder kaufen, wenn
es sie gratis gibt?« Merke: Nicht Raeder benutzen, ist das Ziel
der Marktwirtschaft, sondern Raeder kaufen! Nicht Autos verwenden
ist das Ziel der Marktwirtschaft, sondern Autos erwerben. Nicht
Essen zu haben ist das Ziel der Marktwirtschaft, sondern
Nahrungsmittel zu erstehen. Nicht in Wohnungen zu leben ist Ziel
der Marktwirtschaft, sondern Immobilien zu veraeussern. Man
koennte das fortsetzen. Der Propagandist legt es ja offen, aber
niemandem faellt es auf, wie unverschaemt dieser Unsinn, der zur
Rationalitaet des Lebens geworden ist, eigentlich ist.

Es darf einfach nicht gelingen, was den gaengigen Marktkriterien
nicht entspricht. Die Destrukteure (seien es gewoehnliche Diebe,
Journalisten oder OeVP-Politiker) verhalten sich so wie die
Koeter des Kapitals, um ja keinen Moment den Gedanken aufkommen
zu lassen, Menschen waeren zu solidarischem Handeln faehig - noch
dazu abseits des Privateigentums! Das geht nicht. Das darf nicht
sein. Wo kaemen wir denn da hin? Da koennte zweifellos jemand auf
so hinterlistige Gedanken kommen, dass solcherlei auch in anderen
Bereichen, ja moeglicherweise in allen funktionieren koennte. Um
Gottes Willen, das riecht verdaechtig nach Kommunismus. Da gilt
es aufzupassen. Nur niemanden auf den Geschmack kommen lassen!
Bloss nicht! Halt!

Man koennte das System etwa auf Autos ausweiten. Man stelle sich
nur vor, wie schoen Wien waere, wuerde es nur die tatsaechlich
benoetigten Fahrzeuge geben, was meint, dass ein Grossteil der
Stehzeuge wegfallen wuerde. Unvorstellbar? Natuerlich, im
Kapitalismus ist vieles unvorstellbar, was leicht anstellbar
waere, gaebe es ihn nicht. Mit einer Gesellschaft, wo jedem
foermlich der Privat-PKW (soweit leistbar) aufgezwungen wird, ist
das allerdings unvereinbar. Da halten wir gar keine
Gegenrede. »Was in der Marktwirtschaft nicht laeuft, laeuft
nicht« ist aber ein voellig falscher Satz, korrekt lautet
er: »Was im Kapitalismus nicht geht, geht nur im Kapitalismus
nicht!«

Nachdem jedes dritte Fahrrad entwendet und jedes vierte
beschaedigt worden ist, haben die City-bike-Betreiber vorerst
kapituliert. Das System soll nachjustiert und Anfang Juli neu
gestartet werden. Kontrolle und Handy-Zwang (sic!) werden das
lockere Pfandsystem (zwei Euro) ersetzen. »Schluss mit lustig«,
so der Organisator Michael Kuehn, heisst freilich nichts anderes,
als dass jetzt der kapitalistische Ernst begonnen hat. Die
Ausleihbedingungen werden auf jeden Fall verschaerft und
verkompliziert. Sie machen wohl das ganze urspruengliche Vorhaben
kaputt, sind nur Zwischen stufen auf dem Weg zur Abschaffung oder
zur Monetarisierung einer Dienstleistung. Eines jedenfalls
sollten wir uns nicht einreden lassen: Nicht das Gratisrad ist an
der Marktwirtschaft gescheitert. Gescheitert ist die
Marktwirtschaft am Gratisrad! *Franz Schandl*

Dieser Artikel ist aus den gerade neuerscheinenden Streifzuege
Nummer 2/02 gefladert. Der Text findet sich auch in der "Jungen
Welt" unter: http://www.jungewelt.de/2002/06-05/008.php

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