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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Juni 2002; 18:03
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Initiativen/Justiz:

> "Das Beste daraus machen"

Bericht von der Podiumsdiskussion zum Thema "Umsiedlung des
Jugendgerichtshofes - sinnvolle Kostenersparnis oder Zerschlagung
funktionierender Strukturen?" im Juridicum Wien

Bei der letzte Woche vom Basic Network gemeinsam mit der
"Plattform fuer den Wiener Jugendgerichtshof" zum Thema
"Umsiedlung des Jugendgerichtshofes - sinnvolle Kostenersparnis
oder Zerschlagung funktionierender Strukturen?" veranstaltete
Podiumsdiskussion sprachen sich alle der zahlreich erschienenen
TeilnehmerInnen gegen die geplante Umsiedlung aus.

Michael Kofler, Landesjugendreferentstellvertreter wies darauf
hin, dass die Zusammenarbeit zwischen Jugendarbeitern und JGH
sehr sinnvoll und hoechst zufriedenstellend ist. In Wien besteht
ein gut funktionierendes Netz an Hilfssystemen fuer Jugendliche,
das durch die Aufloesung des Jugendgerichtshofes einen
Qualitaetsverlust erleiden wuerde. Er vermutet hinter der
Entscheidung des Justizministers eindeutig politische Motive,
denn sie erfolgte ohne vorherige Anhoerung von ExpertInnen. Der
Jugendgerichtshof sei ein Symbol fuer die Betonung der sozialen
Hilfssysteme, die Kriminalitaetsbekaempfung stehe nicht im
Vordergrund. Kofler verwies auch darauf, dass die Bedeutung
dieser Umsiedlung fuer Jugendlichen selbst in der Diskussion
bisher viel zu kurz gekommen sei. Die Atmosphaere des
Jugendgerichtshofes in der Ruedengasse sei bei weitem anders als
die am Landesgericht fuer Strafsachen. Sowohl Verhandlungen als
auch Besuche wuerden dort in einer fuer alle Beteiligten
wesentlich unangenehmeren Situation stattfinden.

Herbert Leirer, Geschaeftsfuehrer des Vereins NEUSTART, meinte,
dass alle vom Justizminister genannten Reformziele, die durch die
Uebersiedlung erreicht werden sollten, auch am derzeitigen Ort
erreichbar waeren. Sollte die Uebersiedlung allerdings
tatsaechlich geschehen, duerfe man nicht "die Flinte ins Korn
werfen", sondern man muesse versuchen, das Beste daraus zu
machen. Insgesamt betrachtet waere eine gesamte Strafrechtsreform
dringend notwendig, speziell aber fuer die Jugendgerichtsbarkeit.
Ein Defizit sehe er derzeit bei bedingt vorzeitig Entlassenen,
die nur 17% ausmachen. Dass nur bei 7% Bewaehrungshilfe
angeordnet wird, bezeichnete er schlicht als Skandal. Er vermisst
weiters eine sachliche Diskussion auch ueber Jugendkriminalitaet,
die in den Jahren 1989 bis 1999 um 87% gestiegen ist. Dieser
Anstieg sollte aber nicht den Jugendlichen zugeschrieben werden,
sondern vielmehr den Erwachsenen, die als intolerante Reaktion
auf eine fuer sie immer schwieriger begreifbare Jugendkultur
verstaerkt auf das Mittel der Anzeige zurueckgreifen.

Andreas Binder-Hautz, Richter am Jugendgerichtshof, zeigte auf,
dass die bisher von Justizminister Boehmdorfer angefuehrten
Argumente nicht stichhaltig waeren. Die kritisierte
"rechtsstaatliche Anomalie" des Jugendgerichtshofes sei
absichtlich geschaffen worden, um durch die dort zentrierten
Pflegschafts- und Rechtsagenden eine moeglichst effiziente und
optimale Bertreuung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu
erreichen. Die ebenfalls beanstandeten schlechte Haftbedingung
und die mangelnde Platzkapazitaet in der Justizanstalt Erdberg
waeren einerseits auf die seit dem letzten Jahr ebenfalls im JGH
untergebrachten jungen Erwachsenen zurueckzufuehren, andererseits
aber hat das Justizministerium die Hoheit ueber die Haftraeume
und haette schon laengst selbst fuer Verbesserungen sorgen
muessen. Durch das Wegrationalisieren von Beamten konnten in
letzter Zeit die Moeglichkeiten des Jugendgerichtshofes nicht
ausgeschoepft werden, so blieben etwa die Lehrwerkstaetten
ungenuetzt.

Elisabeth Paschinger, Mitinitiatorin der "Plattform fuer den
Wiener Jugendgerichtshof" und in der Wiener Jugendwohlfahrt
taetig, sieht eine besondere Gefahr in der Aufteilung der Agenden
des Jugendgerichtshofes auf insgesamt 14 Gerichte. So zerfaellt
die "Buendelung des Wissens", die nicht nur ein Vorteil fuer die
Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist, sondern auch eine
Beschleunigung der Verfahren und damit eine Verkuerzung der
Untersuchungshaft mit sich bringt. Ein weiteres Problem sieht
Paschinger darin, dass in Zukunft Familienrichter/innen die
Jugendgerichtsbarkeit betreuen werden, fuer die sie - auch nach
deren eigenen Aussagen - keine Kompetenz besitzen. Durch diese
geplante Zerschlagung des Jugendgerichtshofes werden treffsichere
Entscheidungen erschwert, wenn nicht gar verunmoeglicht. Gerade
diese Treffsicherheit aber traegt wesentlich zur Praevention
weiterer Straftaten bei und hilft, die ohnehin nur geringen
Chancen straffaelliger Jugendlicher zu wahren.
*Koordinationsbuero "Sozialstaat Oesterreich"*

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