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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Juni 2002; 04:20
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Israel/Palaestina/Frieden/Initiativen:

> Soldaten fuer den Frieden

In den letzten Monaten berichteten buergerliche und alternative
Medien recht ausfuehrlich ueber Befehlsverweigerer innerhalb der
israelischen Armee, darunter viele hohe Offiziere, die an
Einsaetzen in den Palaestinenser-Territorien nicht mehr
teilnehmen wollen (s.a. akin 6/02, akin-pd 19.2.2002).
Tatsaechlich ist diese Bewegung sehr viel aelter. Die erste
Organisation, die diese Verweigerer gruendeten, war Yesh Gvul.

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Yesh Gvul ("Es gibt eine Grenze!") ist eine israelische
Friedensbewegung, welche die Aufgabe uebernommen hat, Soldaten zu
unterstuetzen, die Anweisungen repressiver oder aggressiver Natur
ablehnen. Das brutale Auftreten der Israel Defence Force (IDF,
israelische Armee!) Israelische Armee), welche die
palaestinensische Bevoelkerung unterdrueckt, bringt zahlreiche
Dienstpflichtige in ein schweres moralisches und politisches
Dilemma. Denn es wird von ihnen gefordert eine Politik zu
unterstuetzen, die sie fuer illegal und unmoralisch halten. Zwar
fordert die Militaerhierarchie Gehorsam, dennoch glauben viele
Soldaten, sowohl Wehrpflichtige als auch Reservisten, dass sie
nicht guten Gewissens den Befehlen ihrer Vorgesetzten Folge
leisten koennen.

Die augenblickliche palaestinensische Intifada ist nicht der
erste Fall einer solchen Zwangslage. Yesh Gvul wurde als Antwort
auf den israelischen Einmarsch in den Libanon im Jahre 1982
gegruendet, als einer wachsenden Zahl von Soldaten klar wurde,
dass dieser Feldzug, mit seinem ganzen Blutvergiessen und seiner
ganzen Zerstoerung, ein Akt nackter und nutzloser Gewalt war, an
welchem sie nicht teilhaben wollten. Da sie nach ihren
Ueberzeugungen handelten und sich weigerten, in diesem Feldzug zu
dienen, wurden 168 Dienstpflichtige inhaftiert, einige von ihnen
mehrere Male. Die tatsaechliche Zahl der Verweigerungen war weit
hoeher, aber ihre wachsende Anzahl schreckte die militaerische
Autoritaet davor ab, die meisten der "Refuseniks" (wie sich die
Verweigerer nennen) strafrechtlich zu verfolgen. Der Ausbruch der
palaestinensischen Intifada 1987 fuehrte zu weiteren
Verweigerungen: Die Zahl der Gefangenen betrug beinahe 200,
dennoch schreckte die Armee auch hier davor zurueck, viele der
aufbegehrenden Soldaten fest zu nehmen, aus Furcht, die
Verweigerungen koennten sich vervielfachen. Bezeichnenderweise
sind eine unverhaeltnismaessig grosse Anzahl der Refuseniks
Kampfoffiziere (vom Sergeant bis zum Major), d.h. Soldaten mit
einem hoeheren militaerischen Rang.

Seit seiner Gruendung bemueht sich Yesh Gvul darum, die
Verweigerungsbewegung zu staerken. Aller amtlichen
Einschuechterung - welche intensive Ueberwachung durch die
Polizei und den Sicherheitsdienst beinhaltet - trotzend, bietet
die Gruppe den Soldaten, welche mit der qualvollen Entscheidung
ringen, entweder einer Politik zu dienen, die ihnen zutiefst
zuwider ist, oder sich der militaerischen Order zu widersetzen,
(Rechts-)Beratung an. Denjenigen, welche sich zur Verweigerung
entschieden haben, laesst Yesh Gvul uneingeschraenkte moralische
und soweit moeglich materielle Hilfe zukommen, welche von
finanzieller Unterstuetzung fuer die Familien der gefangenen
Refuseniks bis zu Streikposten vor den Militaergefaengnissen, in
denen sie festgehalten werden, reicht. Sobald ein Verweigerer ins
Gefaengnis kam, ist Yesh Gvul in Aktion getreten, um seinen
Protest der Oeffentlichkeit bekannt zu machen, als ein Modell
fuer die breitere Friedensbewegung und fuer andere sich in einem
aehnlichen Dilemma befindende Soldaten.

Yesh Gvul ist eine kleine Gruppierung mit begrenzten, sowohl
menschlichen als auch finanziellen Ressourcen. Dennoch hatte die
einzigartige Schubkraft ihrer Kampagne eine elektrisierende
Wirkung auf die breitere Friedensbewegung, welche Inspiration aus
dem moralischen Beispiel von Personen zog, die bereit waren, die
schmerzvollen Konsequenzen ihrer Ueberzeugung zu tragen. Andere
Friedensbewegungen beschraenkten sich auf  verbalen Protest und
machten vor der direkten Herausforderung der staatlichen
Autoritaet durch Verweigerung Halt. Yesh Gvul hingegen lehnt das
"Schiessen und Jammern"-Syndrom ab; ihr Slogan lautet: "Wir
schiessen nicht, wir jammern nicht, und wir dienen nicht in den
besetzten Gebieten!".

Mit Mitgliedern, welche eine ganze Bandbreite politischer
Meinungen abdecken, ist Yesh Gvul nicht an ein spezifisches
Friedensprogramm gebunden. Ihr unmittelbares Ziel ist es, den
Missbrauch der IDF fuer unwuerdige Zwecke zu stoppen und die
Besetzung zu beenden. Die Gruppe vertritt die
"Zwei-Staaten"-Loesung als Schluessel fuer eine friedliche
Loesung des israelisch-palaestinensischen Konfliktes.

Selektive Verweigerung

Die "selektive Verweigerung" ist ein ausschliesslich israelisches
Konzept, jedoch hat es sporadische Proteste aehnlicher Art auch
in anderen Armeen gegeben. Selektive Verweigerung wendet die
Prinzipien zivilen Ungehorsams, wie sie von Mahatma Ghandi und
Martin Luther King Jr. vorgelebt wurden, auf einen militaerischen
Kontext an. Waehrend die Legalitaet des allgemeinen
Militaerdienstes anerkannt wird, wird das Recht und die Pflicht
eines jeden Soldaten betont, die Befehle, die er erhaelt, genau
zu pruefen und Anweisungen, welche er als moralisch oder
politisch abstossend erachtet, zu verweigern. Im Gegensatz zum
Pazifismus oder der Verweigerung aus Gewissensgruenden erkennt
die selektive Verweigerung Umstaende an, in welchen ihr Gewalt
als gerechtfertigt erscheint, wie bei der Befreiung von fremder
Tyrannei oder der Verteidigung des Landes gegen eine aeussere
Aggression. Aber sie lehnt den Missbrauch militaerischer Gewalt
fuer unwuerdige Zwecke ab, wie Angriffskriege oder die gewaltsame
Unterwerfung einer Zivilbevoelkerung.

Die Refuseniks entziehen sich mit ihrer Ablehnung nicht der
gesetzlichen Autoritaet: die militaerische Hierarchie wird offen
und direkt herausgefordert und all die schmerzvollen
persoenlichen Konsequenzen werden akzeptiert.

Neben ihrer anregenden Wirkung auf die breitere Friedensbewegung
nimmt die Verweigerung direkten Einfluss auf die Politiker,
welche somit gezwungen sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass die
Armee keine gefuegige "Militaermaschinerie" ist und ihre Soldaten
nicht bloss Roboter sind, quasi "Raedchen im Getriebe". Wie der
damalige IDF-Kommandant zugeben musste, war die Flut der
Verweigerungen einer der Schluesselfaktoren, welche die
Armeefuehrung dazu veranlassten, den von 1982-84 dauernden
Libanonkrieg abzubrechen. Weitere Verweigerungen waehrend der
ersten Intifada zeigten israelischen Fuehrern auf, dass sie den
palaestinensischen Aufstand nicht mit militaerischen Mitteln
unterdruecken koennen. Das fuehrte zur Anerkennung der PLO und
Versuchen eine politischen Loesung zu finden.

Seit Beginn des aktuellen "al Aksa"-Aufstandes hat eine grosse
Menge von Reservisten den Befehl verweigert. Und das erste Mal
hat sich auch eine bedeutende Anzahl junger Einberufener
geweigert, an der offiziellen Repression teilzunehmen.

Die Forderungen des Gewissens

Leutnant der Reserve David Enoch (zu 25 Tagen Gefaengnis
verurteilt wegen Verweigerung, im Gebiet von Ramallah zu dienen):
"Ich wollte keine Befehle verweigern. Ich habe mich auf diesen
Moment nicht gefreut. Wenn es irgendeinen Weg gegeben haette, das
hier zu vermeiden, ich denke, ich haette ihn gewaehlt... Aber es
gibt Situationen, da hast du keine andere Wahl, als zu
verweigern. Diese eine eigene Entscheidung, das ist der
persoenliche Aspekt der Verweigerung. Meine rote Linie ist nicht
die eure und umgekehrt. Diese rote Linie aber zu ueberqueren, ist
eine Kapitulation vor deiner Persoenlichkeit, deiner
Einzigartigkeit, deinen Werten und vor allem vor deinem Gewissen.
Ich haette keine anderen Befehle in den Gebieten verweigert. Aber
ich wurde angewiesen drei Wochen lang Siedler zu begleiten und zu
beschuetzen. Ich haette palaestinensische Passanten durchsuchen
und Verhaftungen vornehmen muessen, wann immer noetig. Haette ich
das getan, waere das nicht ich gewesen."

Adoption eines Refuseniks

Yesh Gvuls Einsatz fuer die "Refuseniks" hat ihnen in Europa und
den USA grosse Sympathien und Unterstuetzung eingebracht. Gruppen
und Einzelpersonen, welche sich fuer eine friedliche Loesung des
arabisch-israelischen Konfliktes einsetzen, haben sich
zusammengeschlossen, um Israelis, die fuer ihre Ablehnung der
repressiven Politik ihrer Regierung im Gefaengnis sitzen, zu
unterstuetzen. Das Unterstuetzungsnetzwerk besteht unter anderem
aus Synagogen und Kirchen, Veteranen, sonstigen Organisationen
sowie progressiven juedischen Gruppen.

Sobald ein Refusenik ins Gefaengnis kommt, wird eine der
Hilfsgruppen aktiviert, die dann eine grosse Bandbreite an
Aktivitaeten ausloest. Telefonanrufe gehen an die Familie des
Refuseniks und an das Gefaengnis, in welchem er festgehalten
wird; die "Adoptionsgruppe" uebt mit Protesten bei der naechsten
israelischen diplomatischen Mission politischen Druck aus.
Gleichzeitig werden umfassende Aktionen innerhalb der eigenen
Gruppe durchgefuehrt, um aufzuzeigen, dass in Israel ein festes
Buendnis existiert, das sich fuer den Frieden einsetzt. Die
Adoptionsgruppe bietet auch materiellen Beistand an, indem sie
Fonds zur Unterstuetzung derjenigen, die von den Refuseniks
abhaengig sind, eingerichtet hat, und indem sie in der Yesh Gvul
Kampagne allgemein mithilft.
(Yesh Gvul-Selbstdarstellung / gek.)

Kontakt: Yesh Gvul, Adresse:
PO Box 6953, Jerusalem 91068, Israel;
Tel.:00972/2/6250271;
Fax: 00972/2/6434171;
peretz@yesh-gvul.org oder
cherryk@zahav.net.il ;
http://www.yesh-gvul.org
 
 

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