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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Maerz 2002; 19:43
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Schweiz:

> Toedliches Gift gegen Demonstranten?

Der 22jaehrige Genueser Edoardo 'Edo' Parodi kam nach Zuerich, um
an der Anti-WEF-Demonstration teilzunehmen. Sein bester Freund,
Carlo Giuliani, wurde  in Genua am 20. Juli 2001 von einem
Polizisten bei der Demonstration anlaesslich des G8-Gipfels
getoetet. Edo stand damals ganz in der Naehe, musste zusehen, wie
Carlo von einer Polizeikugel getroffen zu Boden ging, wie das
Polizeiauto dann zuruecksetzte und ihn ueberfuhr. Edo wurde
anschliessend mehrmals einvernommen, bedroht, beschimpft. In
Italien zu demonstrieren, heisse mittlerweile, sich der
Polizeigewalt auszusetzen, sagen Edos Freunde in Genua. Edo habe
sich Sorgen gemacht, dass er bei einem Krawall in Italien sofort
festgehalten und wahrscheinlich verpruegelt werden wuerde. Die
Schweiz schien sicherer.

Edo faehrt am 1.Feburar 2002 zur Anti-WEF-Demonstration mit
mehreren Freunden nach Zuerich. Dort bekommt er zwar keine
Schlaege ab, wird aber mehrmals von Polizisten aus einem
Behaelter, den diese auf dem Ruecken tragen, besprueht.
Unmittelbar nach der Demo hat Edo ploetzlich Atem- und
Augenprobleme - wie alle anderen, die mit ihm unterwegs sind. Sie
beschliessen deshalb, nicht wie geplant bis nach Como zu trampen,
sondern bei einem Freund am Luganersee zu uebernachten. Es wird
sehr spaet. Edo hat keinen Hunger, ihm tut alles weh, und er will
nur noch schlafen. Um zwoelf Uhr wird festgestellt, dass Edo noch
immer schlaeft. Doch um halb fuenf soll er dann schliesslich
aufgeweckt werden. Edo liegt in einer Blutlache, aus Mund und
Nase ist das Blut geflossen. Man alarmiert den Notarzt, der
wenige Minuten spaeter eintrifft. Edo sei seit ein paar Stunden
tot, sagt er. Man kontaktiert die Tessiner Polizei. Eine Stunde
spaeter gibt es aus Zuerich bereits eine Erklaerung: Die Polizei
laesst verkuenden, dass der Tod von Edoardo Parodi nicht in
Verbindung mit der Demo zu bringen sei.

Doch nicht genug damit - der junge Italiener sei vermutlich an
einer Ueberdosis illegaler Drogen gestorben. Diese Version wird
binnen Stunden sowohl aus Italien als auch von der Tessiner
Polizei dementiert. Edo war nicht als Drogenkonsument bekannt.
Die Todesumstaende deuten vielmehr darauf hin, dass er infolge
eines Lungenoedems erstickt ist. Gewissheit soll nunmehr der
Autopsiebericht bringen. Fuer die Tessiner und die italienische
Justiz ist die Haltung der Zuercher Polizei verdaechtig. In
Italien eroeffnen die Staatsanwaelte Francesco Pinto und Enrico
Zucca, die auch fuer die Ermittlung im Fall Carlo Giuliani
zustaendig sind, ein neues Dossier. Noch kein Strafverfahren, nur
eine Aktensammlung, um spaeter den Fall aufnehmen zu koennen.
Auch Staatsanwaeltin Fiorenza Bergomi in Lugano wartet auf den
Autopsiebefund. Ist er endlich da, wird sie, falls noetig, nach
Zuerich fahren und sich erkundigen, mit welchen chemischen
Stoffen die DemonstrantInnen eingenebelt worden waren. Und vor
allem, weshalb ueberhaupt gesprueht wurde, wo die Demo doch nicht
in gefaehrliche Gewalt eskalierte und 'Wasserwerfer bei weitem
ausgereicht haetten'.

Mit dieser These bereiten sich Anwaeltinnen darauf vor, die
Schweiz beziehungsweise die verantwortlichen Zuercher Behoerden
straf- und zivilrechtlich zu belangen. Maria Parodi, Edos Mutter,
will davon im Moment nichts wissen. Waehrend Carlo Giulianis
Mutter bereits vom 'zweiten Staatsmord' spricht, hofft Edos
Familie noch, dass 'die Demokratie in der Schweiz anders als in
Italien' funktioniere. Carlos und Edos Freunde im AJZ sind
weniger optimistisch: "Wir waren auch mal in Davos und wissen,
dass die Zuercher Polizei die schlimmste ist." - "Und im
Fernsehen sind wir die Boesen", sagt einer. Was nun? Aufhoeren?
Die Antwort ist: "Wir sind traurig und frustriert. Trotzdem
muessen wir etwas tun. Weitermarschieren. So weit und so lange,
bis wir ihre Gewalt und ihren Faschismus zerschlagen haben."

Der Tod der beiden Jungen hat die Eltern naeher zusammenruecken
lassen - und sie mobilisiert: 'Die Polizeigewalt will die
Jugendlichen davon abbringen, sich aktiv mit der Politik zu
beschaeftigen. Wir muessen zeigen, dass sie das Gegenteil
erreicht», sagt Heidi Giuliani, Carlos Mutter. Am 1. Maerz nahmen
die beiden Muetter an einem Umzug von Genua nach La Spezia teil.
In La Spezia sind neue Marineeinheiten verschiedener Laender
stationiert, die im 'Krieg gegen den internationalen Terrorismus'
eingesetzt werden koennen. Ueber 150 Kilometer sind die beiden
Frauen gemeinsam mit dem Auto gefahren, haben in jeder Gemeinde
auf dem Weg angehalten, Flyer verteilt und den Menschen erklaert,
wofuer ihre Soehne Carlo Giuliani und Edo Parodi sterben mussten.
Was die Schweizer Justiz zu Edos Tod befinden wird, hatte in
diesem Moment keine Bedeutung mehr.
*Paolo Fusi, WoZ, 7.3.2002/gek.*
 
 

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