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Aussendungszeitpunkt:  Dienstag,   12.02.2002
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Schwarz-blau/Opernball/Glosse:

>Zwei Jahre Widerstand
Auch eine Bilanz

Die Zweiteilung der Opernball-/Donnerstagsdemo war nachtraeglich
betrachtet nicht schlecht, war es doch dadurch moeglich, dass
jenen, die sich vor Wickeln fuerchteten, eine Alternative geboten
wurde. Geplant war aber urspruenglich etwas ganz anderes: Eine
Gruppe wollte donnerstagsdemonstrieren und eine andere wollte
opernballdemonstrieren - und beide wollten eine einzige
geschlossene Demo. Schon zum dritten Mal trafen da naemlich zwei
Demonstrationstraditionen zusammen, die nur sehr ungefaehr den
gleichen Inhalt haben: Die eine mit einem rein
"antifaschistischen" Inhalt (da die FPOe-Beteiligung als
unertraegliche Bewegung hin zum Rechtsextremismus gesehen wird),
die andere mit einem "antikapitalistischen" Inhalt (gegen das
Fest der Reichen). Und dies dokumentiert einen riesigen Spalt in
Fragen der politischen Strategie.

Nach zwei Jahren wurde allerorten Bilanz ueber schwarzblau
gezogen. Es gilt daher aber wohl damit auch, Bilanz nach zwei
Jahren Widerstand gegen diese Regierung zu ziehen. In diesen zwei
Jahren ist viel entstanden und wurde auch viel in seinem
Entstehen gefoerdert - weithin sichtbar sind neue politischen
Kontinuitaeten wie die des elektronischen Nachrichtendienstes
MUND, der "Botschaft" am Ballhausplatz und eben der
Donnerstagsdemo in Erscheinung getreten. Da bekanntermassen
Buergerliche meistens recht schnell die normative Kraft des
Faktischen akzeptieren und sich mit neu entstandenen
Gegebenheiten zu arrangieren versuchen, sind da nur die Linken
und die beiden letztendlich doch bourgeoisen
Parlaments-Oppositionsparteien uebriggeblieben, die den Protest
einer vielbeschworenen, aber eben nicht vorhandenen buergerlichen
Zivilgesellschaft erledigen

Und eben hier ergibt sich eine bedenkliche Tendenz: Linke
demonstrieren fuer eine andere Regierung. Nun stellt sich die
Frage: Fuer welche? Fuer die Rekonstruktion von rot-schwarz, also
fuer den Quargel, der uns Sparpolitik, rigide Auslaendergesetze
und Aufstieg der FPOe eingebrockt hat. Oder fuer Neuwahlen und
damit eine eventuelle rot-gruene Mehrheit. Also wer ernsthaft
glaubt, dass Rot-Gruen wirklich eine deutlich andere Politik
vertreten wird, den beglueckwuensche ich zu seiner Naivitaet.
Denn man muss nicht mal nach Deutschland blicken, um zu wissen,
was die Folgen sind: Eine Regierung, eingebunden in die EU mit
ihrer gemeinsamen Aussen- und "Sicherheits"-politik sowie in die
Waehrungsunion mit ihren brutalen Konvergenzkriterien; das Ganze
getragen von schmuseweich gespuelten, vollkommen ideologiefreien
Politikern, die einer rechten Opposition und der Kronen Zeitung
beweisen muessen, dass sie ganz bestimmt nicht links sind.

Ob rot-schwarz oder rot-gruen, nach zwei oder vielleicht vier
Jahren Widerstand gegen schwarz-blau draeut der grosse Kater: Da
kommt dann vielleicht eine andere Regierung, auf die man mit
diesen Protesten zwar nicht explizit, aber wohl implizit gesetzt
hatte, - und die macht dann eine Politik, die lediglich in
kosmetischen Nuancen sich von der alten unterscheidet. Oder
glaubt jemand im Ernst, dass es unter rot-gruen zu erwarten ist,
dass beispielsweise die Studiengebuehren wieder aufgehoben
werden? - wo sich dann doch schon alle daran gewoehnt haben
werden.

Natuerlich ist es verfuehrerisch, mit dem Widerstand gegen
schwarz-blau ein Thema zu haben, mit dem man mehr Menschen
anspricht als sonst. Aber was ist nachher? Nachher hamma dann die
Regierung, die man wolln ham. Oder? Wahrscheinlich wohl doch
nicht. Nur irgendwie werden wir dann ein bisserl bloed dastehen,
wenn vielleicht die selben Leute, mit denen wir gerade eben noch
demonstriert haben, uns ploetzlich von der Regierungsbank
herunter verarschen.

Und genau hier liegt der Hund begraben: Die Proteste gegen
schwarz-blau werden gleichgesetzt mit dem, was wir an neuen
Ungerechtigkeiten erfahren. Dass viele dieser Dinge aber nicht
nur von anderen Regierungen genauso gekommen waeren, sondern zum
Teil von rot-schwarz sogar selbst in die Wege geleitet worden
waren, wird geflissentlich verdraengt, weil die Proteste dann
nicht so viel Akzeptanz haetten.

Dass ein Teil der Donnerstagsdemo diese Veranstaltung in einer
Protest-Tradition gegen das buergerliche Establishment sieht, war
am Tag des Opernballs deutlich zu erkennen - der andere Teil (der
sich selbst als "die Donnerstagsdemo" bezeichnet hatte) ist der
Meinung, man muesse stattdessen darauf achten, dass es keine
Wickel gebe und damit die Kronen-Zeitung nichts Boeses schreibe.
Und genau hier hakt es schon wieder: Es kann einfach nicht sein,
sich von der Kronen-Zeitung und der Polizei sagen zu lassen,
wohin man demonstriert. Einmal davon abgesehen, dass die
Kronen-Zeitungs-Wahrheit mit oder ohne Pruegelei immer schon ein
ganz besonderer Blick auf die Dinge war, kann man doch nicht
immer darauf schielen, dass man in einer kleinbuergerlichen
Oeffentlichkeit gut dasteht.

Der Opernball: Das ist immer ein kleines Bonzen-Treffen, wo nicht
nur getanzt, sondern auch Geschaefte getaetigt werden. Die
Opernballdemo hingegen, das ist unser alljaehrliches kleines
"Seattle". Da wie dort ging und geht es um den Protest gegen den
Kapitalismus und da wie dort ist den Protestierenden es eher von
sekundaerer Bedeutung, ob dieser sozialdemokratisch,
klerikalbuergerlich oder von Rechtsextremen verwaltet wird.

Die Proteste gegen schwarz-blau haben drei Dinge bewiesen: Zum
einen, dass buergerlicher Widerstand gegen eine illegitime
Regierung nicht lange anhaelt, weil man speziell in Oesterreich
ja gewoehnt ist, sich zu arrangieren. Das war allerdings keine
Ueberraschung. Zum zweiten wurde bewiesen, dass die
oesterreichische Linke zur Zeit nicht einmal ansatzweise in der
Lage ist, die Bestellung einer ebensolchen Regierung zu
revidieren - was noch weniger Leute verwunderte. Zum dritten aber
wurde in zwei Jahren Widerstand gegen schwarz-blau recht
eindrucksvoll gezeigt, dass die oesterreichische Linke ernsthaft
organisations- und handlungsfaehig ist - und das war alles andere
als selbstverstaendlich. Und fuer mich stellt sich daher die
Frage: Warum bringen wir das nur zustande, wenn es um die Rettung
des fadenscheinigen buergerlichen Rechtsstaats geht? Und warum
koennen wir diese Kraefte nicht buendeln fuer den Protest gegen
Kapital, Neokolonialismus, Standortterror und ein politisches
System, das die Chuzpe besitzt, sich selbst als Demokratie zu
bezeichnen - also jene Dinge, die tatsaechlich das materielle
Geschehen in Oesterreich und auf der ganzen Welt bestimmen?

Ich habe einen Verdacht: Viele Menschen mit fortschrittlicher
Gesinnung haben es einfach satt, politischen Bewegungen
anzugehoeren, deren Ziele so hochgesteckt sind, dass sie zu
Lebzeiten ihrer Protagonisten sicher nicht mehr verwirklicht
werden koennen. Das ist sicher nur zu verstaendlich, wenn man
bedenkt, wieviel Hoffnungen gerade im letzten Jahrhundert in
soziale und sozialistische Bewegungen gesteckt worden sind und
was daraus wurde. Aber leider: Wenn man anfaengt, die Latte sich
so niedrig zu legen, wie das die Bewegung gegen schwarz-blau tut,
und dann einsehen muss, dass selbst die Ueberquerung dieser Latte
nicht von heute auf morgen gelingt, tut man sich auch nichts
Gutes.

*Bernhard Redl*

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