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Aussendungszeitpunkt:  Dienstag,   12.02.2002
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Demo/Tourismus:

>Ein verbotenes Wochenende in Muenchen
Subjektive Beobachtungen von *Herbert Sburny*

1. Der Anlass

Die Nato lud zu einer "Sicherheitskonferenz" am 1.und 2.Feber
nach Muenchen in den "Bayrischen Hof" ein. Sehr ernst nahm sie
ihre Einladung selbst nicht, fand doch gleichzeitig in New York
der Weltwirtschaftsgipfel statt; und dort waren alle "wichtigen"
Leute. Fuer Muenchen blieben viele Ex- und stellvertretende
Minister, die sich auch einmal in einem der schoensten
Luxushotels der Welt wichtig machen wollten. Beraten wurde wenig
und beschlossen gar nix, aber immerhin teilte man sich
gegenseitig einiges mit. Die Amis meinten, dass Europa viel zu
wenig geruestet sei, um den Krieg gegen den Terror erfolgreich
fuehren zu koennen. Entsprechende Prospekte von
US-Ruestungsfirmen lagen sicher auf. Und die Europaeer beklagten
sich, dass die Amis alles alleine machen und sie erst hinterher
informieren. Aber wie gesagt - es war ja nur die 2.Garnitur am
Wort.

Doch einen Zweck erfuellte die Konferenz schon - sie war Anlass
fuer einen Test einmaliger Art. Erstmals seit dem 2.WK wurde in
Muenchen ein absolutes Demo- und Kundgebungsverbot erlassen und
die Besetzung einer Stadt geuebt.

2. Das Verbot

Seit Wochen waren verschiedene Demos und Kundgebungen gegen die
NATO-Konferenz angemeldet. Am letzten Jaenner, dem Tag vor
Konferenzbeginn, wurde ein Verbot aller Aktivitaeten "unter
freiem Himmel" ausgesprochen und noch am gleichen Tag der
Instanzenweg bis zu Ende gegangen. Die Polizeidirektion
(untersteht dem CSU-Innenminister Bayerns) beantragte beim
SPD-Oberbuergermeister Ude das Verbot, weil sie "sichere
Erkenntnisse ueber die Anreise von 3000 gewaltbereiten Chaoten
aus dem Ausland - darunter 500 aus Oesterreich, die schon
unterwegs sind - hat", und ohne Verbot die Sicherheit der Stadt
und ihrer Buerger nicht gewaehrleisten koenne. Der
Oberbuergermeister gab die entsprechende Weisung an das
zustaendige Kreisverwaltungsreferat und dieses verhaengte sofort
das Verbot. Die gruene Fraktion im Rathaus, die seit Jahren mit
der SPD koaliert und Buergermeister Ude erst ermoeglicht hatte,
schaeumte. Ihr Fraktionschef Benker erklaerte, dass das Verbot
zur Eskalation beitruege und er mit hoffentlich vielen anderen
"morgen in der Innenstadt spazieren gehen werde." Dass in genau
vier Wochen in Muenchen Gemeinderatswahlen sind, spielt sicher in
allen Parteien eine Rolle. Die Anwaeltin des "Buendnisses gegen
Rassismus" (hat mit angemeldet) erhebt sofort Einspruch beim
Verwaltungsgericht. Dieses hebt das Verbot teilweise auf, es
erlaubt Kundgebungen ausserhalb des Mittleren Rings in Muenchen
(entspricht etwa dem Wiener Guertel). Dagegen erhebt die Stadt
Einspruch beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (letzte
Instanz, der sich schon bereitgehalten hat) und der bestaetigt um
23.30 Uhr das absolute Versammlungsverbot. Alles andere waere ach
sehr unerwartet und fuer die Behoerden peinlich gewesen. Denn
schon seit der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ist Muenchen
praktisch besetzt: von Polizeitruppen aus allen moeglichen
deutschen Landen, hauptsaechjlich aus der Ex-DDR, insgesamt 4500
Mann und Frau.

3. Die Demonstration

Aufgerufen wurde fuer Freitag 17 Uhr Marienplatz (vor dem Rathaus
und knappe 5 Gehminuten vom Konferenzort) und fuer Samstag 12 Uhr
ebenfalls Marienplatz. Nach Muenchen Reisende (Autobahnen und
Bahnhoefe) werden scharf kontrolliert und viele abgewiesen bzw.
eingeschuechtert. Das machen vor allem die bayrischen Bullen. Ich
krieg davon nix mit, weil ich schon seit Mittwoch in der Stadt
bin. In Muenchens Innenstadt selbst sind alle Plaetze,
Kreuzungen, U-Bahn-Stationen und andere strategische Punkte
besetzt. Alle Menschen, die die Bullen fuer moegliche
Demonstranten halten (jung, dunkle Freizeitkleidung, Rucksaetze,
Kapuzen und/oder Punkaehnlichkeit sowieso) werden angehalten,
Personalien aufgenommen, Leibes- und Gepaecksvisitationen, und
sehr oft ein Platzverweis (Innenstadt) ausgesprochen, mit der
gleichzeitigen Androhung einer "Ingewahrsnahme" bei einer zweiten
Anhaltung in der Innenstadt. Gewahrsnahme heisst, wie rund 900
erleben sollten, bis Sonntag mittag bzw. Montag frueh eingesperrt
zu sein, in schnell eingerichteten "Gefangenensammelstellen" in
aufgelassenen Kasernen. Insgesamt drei solcher Sammelstellen
wurden in den Medien schon Donnerstag genannt. Auch das dient der
Einschuechterung. Diese duerfte aber nicht wirklich gut
funktioniert haben.

Die Zugaenge zum Marienplatz sind Freitag nachmittag von dichten
Polizeiketten abgeriegelt. Am und um den Platz zaehle ich 142
VW-Busse. Doch diese Ketten sind durchlaessig. Aeltere und
"ordentliche" BuergerInnen werden rein- und rausgelassen. Nur
eben "Verdaechtige" abgewiesen. Vieler ReporterInnen sind
anwesend und fragen die Bullen nach ihren Kriterien. Diese sagen
uebereinstimmend "das habe ich im Gefuehl, wer potentieller
Gewalttaeter ist" oder so aehnlich. Bei vielen Menschen ist nicht
ersichtlich, ob sie Demonstranten oder Neugierige sind, bzw. die
Grenzen sind fliessend. Viele MuenchnerInnen waren zuerst nur
neugierig und wurden von Stunde zu Stunde polizeifeindlicher. "i
los ma do in da eigenen Stodt net sogn wo i geh derf und wo net.
Nodazua von an aus Sachsn!" Das oder Aehnliches hoerte ich oft.
Und als dann die Polizei Festnahmen durchfuehrte, wrude auch viel
Empoerung von "Zaungaesten" laut. Von Demonstranten sowieso.

Auffallend war, dass die Einschuechterung schon auch
funktionierte, vor allem bei aelteren Menschen. Vielen war
anzusehen, dass es ihnen ging wie mir: Einerseits bin ich ja zum
Demonstrieren gekommen, lass mir das doch nicht verbieten muss
Flagge zeigen, was soll mir schon viel passieren, die jungen
riskieren viel merh, ich darf sie nicht im Stich lassen.
Andererseits: ich will ganz sicher nicht festgenommen werden und
laufen eigentlich auch nicht, wer weiss, ob ich das ueberhaupt
noch kann, und alleine die Aufregung tut mir schon nicht gut,
usw. Ergebnis: Man/frau gibt kleine Zeichen der Zugehoerigkeit,
nimmt ein Fluglatt, haelt es sichtbar in der Hand, laechelt
aufmunternd, stimmt zu, klebt sich schon mal ein Heftpflaster auf
den Mund als Protest gegen das Verbot, bleibt aber vorsichtig, am
Rande, die Bullen misstrauisch beobachtend, jederzeit bereit,
sich in Sicherheit zu bringen.

Der Marienplatz war an beiden Tagen gerammelt voll von Menschen:
Ein Drittel solche wie oben beschrieben, ein Drittel junge mutige
DemonstrantInnen, die es sogar geschafft haben, Fahnen und
Transparente in die Absperrungen zu bringen, und das letzte
Drittel Bullen in voller Kampfmontur. Vobei noch viel mehr Bullen
rundherum in Wartestellung sind.

Am Freitag gegen 18 Uhr 30 haben sich 2-3000 offene oder
verschaemte Demonstranten am Marienplatz eingefunden und die
Polizei beginnt zu raeumen, d.h.: Lautsprecherdurchsagen,
Abdraengen derer, die sich leicht lassen (solche wie ich) und
Einkesseln der anderen bei der Mariensaeule in der Platzmitte,
genau unter dem Rathausbalkon, auf dem die TV-Teams stehen.
Zufall oder Absicht - wer weiss? Sprechchoere, die Abgedraengten
kehren langsam und vorsichtig zurueck. Im Ruecken der Polizei
weitere Sprechchoere: "Lasst die Leute frei", "Keine Gewalt",
"Hoch die internationale Solidaritaet". Aus dem Kessel: "Deutsche
Waffen, deutsches Geld morden in aller Welt", "Wir sind
friedlich, was seid ihr?", Keiner Auslage, keinem Abfalleimer,
keinem Bullenauto passiert irgendetwas. Im Lauf der naechsten
Stunden werden insgesamt 150 Leute von der Polizei kassiert,
meist zu zweit aus dem Kessel gezerrt. Dann loest sich die
Kundgebung langsam auf. Die Nacht bleibt ruhig.

Am Samstag mittag bietet der Marienplatz das gleiche Bild wie
Freitag, nur viel mehr Leute. Und sie sind auch besser
vorbereitet. Die Festnahme vom Vortag (u.a. auch der Sprecher des
Buendnisses, ein 64-jaehriger Muenchner Friedensaktivist der
ersten Stunde) hatten nicht abschreckend gewirkt, eher
motivierend und phantasieanregend. Das Wetter ist angenehm warm,
also ziehen sich etliche DemonstrantInnen aus, und siehe da, auf
der Haut bzw. der Unterwaesche befinden sich Anti-Nato-Losungen.
Neben diesen optischen Highlights haben es vor allem die Leute
der "Linkswende" und tuerkische Gruppen verstanden, ihre Symbole
und Fahnen auf den Marienplatz zu schmuggeln. Wieder wurden die
Nichtaengstlichen eingekesselt. Also neuer Slogan: "Bullen macht
den Kessel auf, wir wolln zum Winterschlussverkauf". Die
Kaufleute Muenchens hatten sich naemlich bitter ueber das
Riesenpolizeiaufgebot und Umsatzverluste beschwert. Als diesmal
die Polizei die Schaulustigen und SympathisantInnen abdraengen
will, um die Eingekesselten festnehmen zu koennen, kommen ihr
diese zuvor. Der junge Kern bricht aus dem Kessel in Richtung Im
Tal (eine breite Strasse vom Marienplatz zum ehem. Stadttor an
der Isar) und vereinigt sich dort mit den Abgedraengten.
Innerhalb weniger Minuten bildet sich dort, was die Polizei
verhindern hatte wollen: ein gewaltiger Demozug von 5-6000
Menschen setzt sich in Bewegung. Sehr weit kommt er nicht, zu
viele und zu mobile Bullen, aber immerhin wurde das Demoverbot
durchbrochen. Zwischen Isartor und Viktualienmarkt wiederholt
sich das Spiel vom Marienplatz.

Und es wiederhol sich noch oefter an diesem Nachmittag und Abend.
Immerwieder Kessel, Festnahmen, Neuformierung und Demoversuche.
Nr wurden es naturgemaess immer weniger DemonstrantInnen. Auch
ich ziehe mich erschoepft zurueck. Dann so gegen Mitternacht, als
ich wieder in der City bin, erlebe ich die Festnahme von gut 100
Jugendlichen. Insgesamt waren es dann lt. Polizeimitteilung rund
900. Gegen 58 davon soll Anzeige erstattet werden hauptsaechlich
wegen Widerstand und Koerperverletzung.

4. Die Medien

Die echte Ueberraschung war fuer mich die Berichterstattung in
den Muenchener Printmedien. Verglichen mit Oesterreich
unglaublich ausfuehrlich und ueberraschend ausgeglichen bis
heftig polizeikritisch. Da gab es ausfuehrliche Pro-und
Contra-Meinungen zum Verbot, Journalisten waren in den
Gefangenensammelstellen und haben ueber die mangelhafte
Versorgung mit Essen berichtet, da kamen jede Menge
NATO-kritische Stimmen zu Wort und da wurden die sogenannten
Erkenntnisse der Polizei ueber Gewalttaeter im Anmarsch in Frage
gestellt. Fast jedes Transparent und jede Fahne, die es schaffte,
entrollt zu werden, kam auch als Bild in die Zeitung. Alle Medien
betonten, dass es zu keinerlei Gewalttaten der Dentonstranten
kam - "nicht eine Scheibe ging zu Bruch" - und brachten Aussagen
von Stoiber, SPD-Buergermeister und Polizeichefs, die auch
nachher noch behaupteten, dass nur das entschlossene Vorgehen der
Ordnungskraefte Gewalttaten verhindert hatte, mit versteckter bis
offener Haeme.

5. Der Sonntag in Muenchen

Um die Mittagszeit ist die Sonne schon ziemlich warm. Die meisten
DemonstrantInnen sind schon abgereist, die MuenchnerInnen
geniessen das schoene Wetter. Die Polizeitruppen sind noch da und
besetzen immer noch alle Kreuzingen der Innenstadt, doch haben
sie Bekleidungserleichterung. An der Ludwigsbruecke steht ein
Polizeiwagen aus Leipzig. Die Besatzung hat die Oberteile der
Overalls herabhaengen und lehnt im Leiber auf der Bruecke. Sie
starren verwundert auf die darunger liegende Schotterbank, dort
liegt ein Paar jenseits der Siebzig splitternackt, faltenreich
und solariumgebraeunt. Der grosse blonde Bulle sagt zu seinem
Kollegen mit schwerem saechsischem Dialekt: "Die Bayern spinnen
doch, sowas gibts bei uns nicht." Geht eine tuerkische Familie
vorbei, nach drei Meter Sicherheitsabstand dreht sich der etwa
zwoelfjaehrige Sohn um und sagt auf urbayrisch zu den Sachsen:
"Foarts ham, es Saupreissn!"

Ich denke mir: Gut, der Kapitalismus hat vorlaeufig gesiegt, der
Kampf ist haerter geworden, wir liefern nur mehr
Rueckzugsgefechte, meine Zukunft ist vielleicht nicht so
glorreich wie ich gern moechte, ABER DAS LEBEN IST SCHOEN UND DIE
REISE NACH MUENCHEN HAT SICH GELOHNT! ###

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