**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22.01.2002
**********************************************************
Goeteborg/Widerstand/Prozesse:
>3-4 Jahre Haft fuer Infotelefon
Im Goeteborger
Oberlandesgericht wurde am 16.1. die Verhandlung
in 2.Instanz
gegen 8 Jugendliche zwischen 18 und 23 Jahren
beendet, die
waehrend des EU-Gipfels im Juni 2001 in Goeteborg in
einer
Informationszentrale gearbeitet haben oder sich befunden
haben
sollen. Ein Geschworenengericht sah davon ab, das
Handeln
der Angeklagten zu individualisieren und verurteilte alle
wegen
Anstiftung zur gewaltsamer Versammlung [vergleichbar mit
schweren
Landfriedensbruch]. Je nach dem Alter lag die
Strafe zwischen
drei und vier Jahren Gefaengnis.
Einer der
Angeklagten wohnt in Biskopsgården [Stadtteil von
Goeteborg],
zusammen mit seiner Freundin und zwei Katzen. Ein
nachdenklicher
Junge, der in der haeuslichen Pflege arbeitet. Ihm
wurde auf
Grund einer Zahnoperation Ruhe verordnet und er suchte
deshalb
eine Betaetigung waehrend des EU-Gipfeltreffens, die
nicht
Rumrennen in der Stadt beinhaltet. Er kriegte durch
einen
Bekannten den Tipp zum Einrichten einer
Informationszentrale.
Absicht war, durch Abhoeren des
Polizeifunks teils diesen zu
dokumentieren, teils Leute in der
Stadt zu informieren, so dass
diese Konfrontationen mit der
Polizei aus dem Weg gehen konnten.
Auf direkte Nachfrage
erhielt dieser Junge die Antwort, dass es
vollkommen legal sei,
Polizeifunk abzuhoeren, was es auch ist.
Genauso legal wie das
Betreiben einer Informationszentrale -
waehrend des EU-Gipfels
hatten mehrere Gruppen eigene Zentralen.
Ganz
gewoehnlich.
Aber bereits in der Nacht zwischen dem ersten
und zweiten
Gipfeltreffentag wurde genau diese Zentrale von
maskierten
Polizisten mit automatischen Waffen gestuermt. Unser
Junge wurde
als einer von zwoelf verhaftet und wurde unter
schweren Schock in
das Gefaengnis in Alingsås gebracht. Er
erzaehlt jetzt, dass der
erste Verhoerende sagte, dass er zehn
Jahre Gefaengnis fuer
Sabotage und Anstiftung riskiere. "Was,"
antwortete der Junge,
"glaubst du, dass ich ein Terrorist bin?"
Der Verhoerende
erwiderte: "Ich glaube, dass du ein feiges,
ekliges Schwein bist,
das andere auf der Strasse die grobe Arbeit
machen laesst." Die
meisten der acht Angeklagten sassen
danach ueber drei Monate im
Knast - in Isolationshaft, obwohl das
Gesetz so kurze Haftzeiten
wie moeglich vorschreibt, besonders
bei jungen Menschen. Einer
von ihnen berichtet, dass in den
Zellen grelles Licht mehrere
Stunden lang waehrend der Nacht
angemacht wurde. Er war bald
gezwungen starke Schlafmittel
einzunehmen. Viele der anderen
nahmen dreimal taeglich
Psychopharmaka ein. Dies machte sie
waehrend den Verhoeren
"umgaenglicher".
Auf den Polizeifotos sieht die Infozentrale
nicht besonders
ungewoehnlich aus: eine Wohnung voller
Schlafsaecke, Taschen und
Kleidung in gemuetlicher Unordnung. In
diesem "War Room" gab es
nicht einmal einen richtigen
Arbeitstisch; der einzige Rechner
stand auf einem
Couchtisch.
Der von der Anklage vorgeladene Computerexperte
der Polizei
erklaerte dem Gericht, dass es ein spezielles
Programm zum
Versenden von SMS-Nachrichten und ein weiteres
Programm, das den
Inhalt der Festplatte verschluesseln kann, gibt
- Programme, die
auf dem beschlagnahmten Rechner gefunden
wurden.
Was er nicht auffuehrt, aber auf direkter Nachfrage
der
Verteidigung gezwungenerweise zugeben muss, ist, dass das
erste
Programm kostenlos zu haben ist und mehrere Millionen
Benutzer
weltweit hat und dass das zweite Programm von der Art
ist, die
die EU ihren Buergern zum routinemaessigen Einsatz
empfiehlt. So
verging ein halber Tag im Gericht.
Was ist
der Kern? Wo liegt in den fuenf dicken Aktenordnern
mit
Ermittlungsergebnissen und nach fuenf Tagen Verhandlung
die
Substanz der Anklage? Von der Infozentrale wurden ueber
zehn
SMS-Nachrichten an Menschen draussen in der Stadt
verschickt. Die
meisten an 62 Empfaenger, laut
Polizeiangaben.
Vier von diesen Nachrichten hatten einen
Inhalt, der als
Aufforderung zum Handeln auf irgendeine Art
ausgelegt werden
kann. Vier SMS also, vier SMS, die dazu
verwendet werden
koennten, acht Jugendliche ihrer Jugend zu
berauben. So lautet
eine von diesen, die fast identisch mit einer
der anderen ist:
"Menschen bereiten sich auf Verteidigung der
Hvitfeldtska vor.
Polizei sind zu wenige. Alle dort hin zum
Helfen ihrer Genossen!
Weiterverbereiten!"
Die Situtation
war folgende: Die Gemeinde hatte unter anderem
das
Hvitfeldska-Gymnasium als Uebernachtungsstelle und
Treffpunkt
fuer Demonstranten ueberlassen. Die 500, die sich dort
befanden,
wurden ueberraschend am Donnerstagmorgen von Polizisten
umringt.
Die Polizei wollte die "weissen Overalls" unschaedlich
machen,
die sich in der Schule befanden und die bereits lange im
Vorfeld
der Demonstrtionen angekuendigt hatten, einen
symbolischen und
gewaltfreien Sturm auf das EU-Gipfeltreffen
machen zu wollen. Ein
stoerendes Element, das man wegen des
US-Praesidenten und seiner
europaeischen Kollegen um jeden Preis
verhindern wollte.
Der Preis war doch sehr hoch. Die
Eingekesselten wurden nicht
ausreichend ueber Moeglichkeiten zum
zeitweisen Verlassen der
Schule informiert. Die, die doch
rausgingen, durften keine
Materialien mitnehmen - keine
Broschueren, Plakate, Ausruestung.
Das durch das Grundgesetz
geschuetzte Demonstrationsrecht war
fuer die Eingeksselten
aufgehoben.
Die Unterstuetzergruppe, die nach den Krawallen
gebildet wurde,
Foeraeldrar 2001 (Eltern 2001), leitete eine neue
Initative ein:
Alle, die andere aufgefordert haben, zur
Hvitfeldska zu gehen und
den Belagerten zu helfen, sollen jetzt
am Dienstag, den 22.
Januar, in das Goeteborger Polizeipraesidium
marschieren und sich
selbst anzeigen. Bereits nach ein paar Tagem
haben ueber dreissig
Personen mitgeteilt, dass sie als
verantwortungsbewusste Buerger
sich an dieser Aktion beteiligen
wollen - die Strafttat, zu der
sie sich bekennen wollen, kann ja
zu mehrjaehriger
Freiheitsstrafe fuehren.
Da das
Oberlandesgericht sich geweigert hat, sich dieses
Falls
anzunehmen, ist das Urteil rechtskraeftig, aber der Fall
soll vor
das Europagericht gebracht werden, da der Verteidigung
der Zugang
zu den Filmmaterial der Anklage verweigert wurde. Der
20-Jaehrige
aus diesem Prozess hat keinen Stein geworfen, er
wurde dafuer
verurteilt, dass er einer Menschenmenge zugewunken
hat und damit
Menschen aufgefordert hat, sich zum zur
Hvitfeldtska zu begeben -
eine Handlung also, die von unzaehligen
besorgten Muettern und
hunderten anderer aufgebrachten Menschen
in der Stadt begangen
wurde.
Die Anklage behauptet, dass
die Infozentrale durch den
20-Jaehrigen den Auflauf gesteuert
habe. Laut den
staatsanwaltlichen Ermittlungen wurde die letzte
SMS-Nachricht an
den 20-Jaehrigen um 14:46 Uhr geschickt - also
vier Stunden bevor
der 20-Jaehrige seine Handlung um 18:40
beging. So sieht der
Zusammenhang fuer die einzige konkrete
Verbindung zwischen der
Infozentrale und einem Agierenden in der
Stadt aus.
Die Staatsanwaltschaft hat weitere Polizeizeugen
aufgerufen, um
zu belegen, dass der Menschenauflauf durch die
Infozentrale
organisiert wurde, aber die Zeugenaussagen
ueberzeugen nicht.
Wie kann da jemand von Fernsteuerung reden
ausgehend von vier
kurzen SMS-Nachrichten, die weder konkrete
inhaltliche noch
zeitgebundene Instruktionen
enthielten?
Hinzu kommt das Faktum, dass, obwohl diese
Infozentrale als gut
funktionierende Organisation beschrieben
wurde, es unter den
gesamten Geschehnissen am Donnerstag nicht zu
einem organisierten
Angriff gegen die Polizei kam. Der
Einsatzleiter sagte selbst am
Dienstag vor Gericht aus: "Ich kann
nicht eine spezielle
Nachricht mit einem speziellen Geschehen in
Verbindung bringen."
Als die acht Angeklagten bereits im
Gefaengnis sassen, standen
noch zwei Tage mit Krawallen bevor:
Verwuestung der Avenyn,
Schuesse auf der Wasastrasse und mehr.
Wie waren denn noch
umfassendere Krawalle moeglich, wenn die
Infozentrale, die laut
Geschworenengericht "das ordnungsstoerende
Vorhaben nicht nur der
direkten Empfaenger, sondern ebenso auch
der Menschenmengen
verursacht hat" da bereits aufgeloest und
unschaedlich gemacht
war?
Das Schicksal der acht
Jugendlichen wird nun im Oberlandesgericht
festgelegt. Sie
behaupten, dass alles, was sie beabsichtigten,
war, das
Gipfeltreffen zu dokumentieren wie auch
Auseinandersetzungen mit
der Polizei zu vermeiden.
Eine weitere Sache ist, dass die
acht Jugendlichen sich fuerchten
und vor Gericht sich darum
herumdruecken, jemanden anzugeben, der
vor den Rechner sass.
Aber selbst wenn jemand von ihnen wirklich
diese SMS von
dem Rechner verschickt hat, oder wenn es jemand der
vielen
anderen sich zeitweise in der Wohnung aufhaltenden
Personen es
getan hat, so ist die Tragweite der Nachrichten nicht
bewiesen
und ihr Zusammenhang mit den Geschehen in der Stadt
nicht
ausgemacht.
Wie soll das einer Person vier Jahre Gefaengnis
und bei nicht
weniger als acht Personen zusammengerechnet
30 Jahre Gefaengnis
einbringen? Schwer zu sagen, da individuelle
Verantwortlichkeit
auch nicht in diesem Gruppenprozess gesehen
wurde.
(Von akin gekuerzte und ueberarbeitete Uebersetzung
von
M@IL gipfelsoli@gmx.de
eines
Textes von Erik Wijk, erschienen in
"Goeteborgs-Posten",
16.1.2001)
Volltext der Übersetzung:
URL W³.germany.indymedia.org
**********************************************************
'akin - aktuelle informationen'
wipplingerstrasze 23/20
a-1010 wien
kontakt: bernhard redl
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
fax: ++43 (0222) 535-38-56
e-mail:akin.büro@gmx.at
Domain:http://akin.mediaweb.at
Bank Austria, BLZ 12000,223-102-976/00, Zweck: akin