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Aussendungszeitpunkt:  Dienstag,  22.01.2002
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Demokratie/Oesterreich/Schweiz:

>Die Linke und das Volk
Nicht ganz eine Million Unterschriften fuer das "Ja zur Krone -
Ja zu Haider"-Volksbegehren sind es geworden. Egal, ob man das
jetzt fuer einen Erfolg haelt oder nicht, viele Unterschriften
sind es allemal. Zeit also wieder einmal zu fragen: Wie steht die
Linke zur Vox Populi? Hat es Sinn bei einer derartigen
Medienlandschaft und einer Tradition des hinterhaeltigen
Untertanentums ueberhaupt mehr Demokratie und noch dazu direkte
zu fordern? Soll man der Stimme einer wenn auch zweifelhaften
pragmatischen Vernunft folgen und hoffen, dass das Volk
moeglichst wenig zu reden hat? Oder soll man auf mehr
"Buergerbeteiligung" draengen in der kuehnen Erwartung, dass das
Volk dann auch versucht, mehr Informationen zu bekommen? Ein
Blick ueber die Grenze kann da vielleicht helfen: In der Schweiz
gibt es das wohl am weitesten entwickelte Modell hin zu einer
direkten Demokratie, doch linke Initiativen haben dort in den
letzten Jahre reihenweise Niederlagen erlitten - zuletzt im
Dezember letzten Jahres. In der Schweiz stellt sich daher die
Frage anders: Hat es fuer Linke Sinn Energien in
Abstimmungs-Initiativen zu stecken? Nachfolgend zwei kontraere
Stellungnahmen aus der WoZ. (Nr 49/01):


> Nein zur Illusion

Es gibt eine Reihe von linken Initiativen, die im letzten
Jahrzehnt mit Ja- stimmenanteilen von 18 Prozent
(Quoten-Initiative) bis 26,5 Prozent (Droleg; Anm. akin:
Drogenlegalisierunganitiative) ;n der Urne scheiterten. Allen war
gemeinsam. dass sie fuer bestimmte Probleme radikale Loesungen
vorschlugen und bei SP wie Gewerkschaften kaum Unterstuetzung
fanden. Aus linker Sicht vertraten sie zwar unbestrittene
Anliegen, dennoch waere es besser gewesen, man haette nie ueber
sie abstimmen muessen: Denn die katastrophalen Abfuhren waren
absehbar. Es gelang nicht einmal mehr, Grundsatzdebatten
auszuloesen. Die Abstimmungen gerieten materiell wie symbolisch
zu unnoetigen Niederlagen. Warum? Einige Vermutungen:

- Wiederholungen sind toedlich: Die GSoA (Anm. akin: Gruppe
Schweiz ohne Armee) hat dies jetzt bitter zu spueren bekommen.
Nur weil sie nochmals versuchte, die Armee abzuschaffen, hat sie
gleich zwei Initiativen versenkt. Ein Tabubruch laesst sich eben
nicht wiederholen.

- Trotz macht blind: Nach der Niederlage der ultrareaktionaeren
Initiative «Jugend ohne Drogen» waren 1997 die Grenzen
abgesteckt. Die InitiantInnen der progressiven Droleg hatten
jedoch nicht die Groesse, ihre Initiative zurueckzuziehen, obwohl
ihre Anliegen zu einem Grossteil umgesetzt waren. Lieber steckten
sie 1998 eine fruchtlose Niederlage ein.

- Zeit macht vergesslich: Die Initiative «S.o.S. Schweiz ohne
Schnueffelstaat» wurde vom Bundesrat waehrend Jahren erfolgreich
verzoegert. Als sie 1998 zur Abstimmung gelangte, war der
Fichenskandal von 1989 schon lange vergessen. Wenn Initiativen
nicht schneller vors Volk kommen, haben auch die
erfolgver-sprechendsten keine Chance.

- Kontraproduktive Illusionen: Die gruene Initiative «Energie
statt Arbeit besteuern» kam zur Abstimmung, obwohl aehnliche,
aber bescheidenere Vorlagen schon im Herbst 2000 abgelehnt
wurden. Die wiederholte Abfuhr haette man sich besser erspart,
weil sie den Buergerlichen erlaubt, die oekologische Steuerreform
definitiv zu schubladisieren. Frueher war es einfacher mit
Initiativen.

1989 demonstrierte die GSoA-Abstimmung, was man mit einem
Volksbegehren anstellen konnte: Es kam zu einer breiten Debatte,
die Armee verlor ihre mythische Aura und die mehr als 35 Prozent
Ja-Stimmen setzten dem buergerlichen Establishment arg zu.

Noch immer wird argumentiert, mit Initiativen liessen sich
notwendige Debatten in Gang setzen. Doch die neuen, agilen
Bewegungen wie die Antiglobalisierungs- oder
Sans-Papiers-Bewegung beweisen, dass es keine Initiativen
braucht, um wichtige Themen zu lancieren. Vielmehr koennte man
konstatieren, dass Initiativen unnoetig Kraefte binden,
kanalisieren und neutralisieren. All die Leute, die fuer
Initiativen weibeln, an Staenden stehen und Unterschriftenboegen
zaehlen, wuerden vermutlich bei effektvolleren Aktionen ihre
Energie wirkungsvoller einsetzen. Wer Initiativen lanciert, muss
sich deshalb heute die Frage gefallen lassen, ob es damit
gelingt, eine realpolitisch einflussreiche Minderheit hinter sich
zu scharen. Wenn nicht, gibt man sich willentlich damit
zufrieden, im dunklen Viertel der Politik vergessen zu gehen.
*Johannes Wartenweiler*


> Ja zur Notwehr

Die Demokratie gibt jedem das Recht, sein eigener Unterdruecker
zu sein. Nirgendwo wird dies so praechtig zelebriert wie in der
direkten Demokratie Schweiz. Das so genannte Volk lehnt
Initiativen ab «fuer die Mitbestimmung der Arbeitnehmer», «fuer
einen wirksamen Mieterschutz», «fuer eine Verlaengerung der
bezahlten Ferien», «fuer eine Reichtumssteuer», «zur Herabsetzung
des AHV-Alters» und so weiter. Spricht dies nun gegen die
Initiativen? Gegen die Demokratie? Odergegen das Volk?

Nach der Abstimmungsniederlage vom Wochenende klagte die SP, sie
wolle nun endlich weg vom «Verlierer-Image». Gegenueber den
Medien sagte der SP-Hauspolitologe, Hans Hirter: «Zum Schluss
bleibt die Niederlage allein an der SP kleben.(...) Im
oeffentlichen Bewusstsein gilt jeweils nur sie als
Verliererin -und nicht die Komitees, die das Begehren lanciert
haben.»

Die Botschaft ist unmissverstaendlich: Gewerkschaften, Gruene,
GSoAtlnnen oder andere kleine Gruppierungen sollen gefaelligst
keine Initiativen mehr lancieren, die zum Scheitern verurteilt
sind -oder sie mindestens vor der Abstimmung zurueckziehen. Weil
man mit 1nitiativen heute keine Themen mehr besetzen koenne, wie
dies in den siebziger und achtziger Jahren noch funktioniert
habe, sagt Reto Gamma, Generalsekretaer der Sozialdemokratischen
Partei.

War dem wirklich so? Zwischen 1949 und 1982 wurde nicht eine
einzige Initiative angenommen. Danach gewann die Linke lediglich
drei Initiativen: Die Rothenturm- (1987), die Atommoratoriums-
(1990) sowie die Alpenschutz-Initiative (1994). In den
vergangenen hundert Jahren nahm das Volk nur 12 Initiativen an
und lehnte deren 80 ab. Ergo sollte die Linke, um sich ein
Sieger-Image zuzulegen, grundsaetzlich die Finger von der
direkten Demokratie lassen.

Die Furcht vor Niederlagen kann aber kaum ein Grund sein, auf
Initiativen oder Referenden zu verzichten. Wer will urteilen,
welche linke Initiative, welches Referendum zu welcher Zeit
siegestraechtig und deshalb opportun ist? Ein Beispiel: Vor
einigen Jahren kaempften prominente SP-Politiker gegen ein
Asylgesetz-Referendum. Sie argumentierten, die Abstimmung lasse
sich nie gewinnen, sie wuerde lediglich den Fremdenhass noch mehr
schueren und manifestieren, wie xenophob dieses Land ist. Gibt es
also eine linke Pflicht, das Volk vor sich selbst zu schuetzen?
Wie es eine weibliche Pflicht gibt, keine kurzen Roecke zu
tragen, damit die Maenner nicht zu Vergewaltigern werden?

Eine Demokratie ist weder paedagogisch, noch einsichtig noch
gerecht, sie bestimmt nur, dass die Mehrheit die Minderheit
regiert. Wehrt sich die Minderheit nicht, verschmilzt sie mit der
Mehrheit. Wodurch Referenden oder Initiativen politischer Notwehr
gleichr kommen: Man wehrt sich fuer Utopien, Werte, freche Ideen
und manchmal fuer die Geschichtsbuecher - aber nicht, um zu
siegen. Denn wer siegen will, muss sich dem besagten Volk
anpassen, das einem altbekannten politischen Naturgesetz folgt:
Nach rechts rutscht man, nach links muss man klettern. *Susan
Boos*

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