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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Jaenner 2002; 14:28
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Prinzipielles/Glosse:

> Der Nebenwiderspruch
Was wir aus der Causa Temelin lernen koennten

Die sozialistischen Bewegungen haben es zum grossen Teil gelernt:
Man kann die Diskriminierung der Haelfte der Bevoelkerung nicht
ignorieren, wenn man die Gesellschaft veraendern will - das
jahrzehntelange Versagen der Linken auf dem Gebiet der
Frauengleichberechtigung war sicher nicht ganz unschuldig an
vielen Niederlagen und Verzerrungen an sich fortschrittlicher
Bewegungen. Moderne Einpunktbewegungen, politische Lobbies fuer
andere Segmente der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
machen heute aber immer noch den selben Fehler zwischen Haupt-
und Nebenwiderspruch zu unterscheiden - wenn es haeufig auch um
ganz andere Widerspruchspaarungen geht. Das gilt heute fuer
Anti-Imp-Gruppen, denen jede dahergelaufene Bewegung recht ist,
wenn sie nur gegen den westlichen Imperialismus gerichtet ist,
genauso wie fuer Globalisierungsgegner, denen antisemitische
Tendenzen in ihren Aktionsstrukturen wurscht sind. Aber
natuerlich auch fuer Teile der heutigen Frauenbewegung, die der
Meinung sind, dass es das Wichtigste ist, dass viele Frauen in
irgendwelchen Machtgremien vertreten sind, wurscht, was die dann
dort vertreten und wurscht, ob diese Gremien nicht als solche
fragwuerdig sind. Das gilt gilt fuer Anti-Nazi-Gruppen, die zum
Zwecke der Antisemitismusbekaempfung prinzipiell alles versuchen
zu legitimieren, was der israelische Staat so verbricht, und es
gilt - wie im jetzt akuten Fall Temelin - fuer
Umweltorganisationen, die mit allen Mitteln wie z.B. dem Spiel
mit Vorurteilen oder der Kumpanei mit der Kronen-Zeitung
versuchen, ihre Anliegen zu den Anliegen einer breiten
Oeffentlichkeit zu machen.

Gegen eine Spezialisierung auf Teile der politischen
Auseinandersetzung ist ja nicht prinzipiell etwas zu sagen, aber
die Politik zur Durchsetzung dieser Teilanliegen muss eingebettet
sein, in groessere Zusammenhaenge - man nenne es Ideologie,
Ganzheitliches Denken oder Philosophie, ganz nach
Herangehensweise und Sprachtradition.

Wenn man Politik hingegen nur auf die eigenen Lieblingsthemen
abstellt, schadet man zum einen anderen durchaus
fortschrittlichen Bewegungen, zum anderen aber auch sich selbst.
Denn ein Fokussieren auf ein einzelnes Politikfeld und das
Ausblenden aller anderen faellt auf lange Sicht all diesen
Bewegungen auf den Kopf - was bei der Anti-Atom-Bewegung nun
aeusserst augenfaellig geworden ist. Natuerlich versuchen jetzt,
wenige Tage vor dem Temelin-Volksbegehren, manche
Anti-Atom-Lobbyisten zaghaft vom FPOe-gepraegten Diskurs
abzuruecken, aber der Karren steckt halt schon im Dreck. Haette
man sich nicht frueher davon verleiten lassen, dass eine Kritik
vornehmlich der Ost-Kernkraftwerke mit deutlich
vorurteils-traechtigen Attitueden ("Schrottreaktoren") groessere
Breitenwirkung erzielt, haette man jetzt nicht diesen Scherm auf.
Die Anti-Atom-Bewegung, frueher als linksradikal tituliert, ist
jetzt vom gesunden Volksempfinden okkupiert. Haette man mit
selber Verve deutsche, schweizer und franzoesische "Wertarbeit"
kritisiert - etwas, was die Umweltbewegung in ihren fruehen
Jahren ja sehr wohl intensiv betrieb -, stuende man jetzt nicht
so da: Als Huntigton fuer Arme.

Es macht wenig Sinn, auszutuefteln, wer was genau wann gesagt
hat; die Suche nach einzelnen "Schuldigen" hiesse nur im lustigen
Szene-Hick-Hack zu verharren und auch noch Traenen ueber
verschuettete Milch zu vergiessen. Aber wir koennen daraus
lernen, dass wir partielle politische Anliegen, so bedeutend sie
auch immer sein moegen, nicht von der gesamtgesellschaftlichen
Auseinandersetzung losloesen koennen, wollen wir wirklich die
Welt verbessern. Die Trennung zwischen Haupt- und
Nebenwiderspruch sollte daher wohl nicht mehr weiter recycliert,
sondern endgueltig dorthin entsorgt werden, wo sie hingehoert:
Auf die Sondermuellendlagerstaette der Geschichte. Denn
schliesslich gibt es wohl kein richtiges Anliegen in einer
falschen Politik.

*Bernhard Redl*


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