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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Jaenner 2002; 14:28
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Israel/Palaestina:

> Keine palaestinensische "Saison"
"Ihr seid nicht ernsthaft", sagten die Algerier den
palaestinensischen Anfuehrern. "Ihr muesst eure Gegner toeten!"
Das war vor Jahren. Die PLO-Anfuehrer hatten ihre siegreichen
Brueder, die Veteranen der algerischen Befreiungsfront (FLN) um
Rat gefragt. "Es kann nur eine Richtung geben, es ist kein Platz
fuer interne Opposition," rieten sie. "Gegner muessen liquidiert
werden." Als Beispiel fuehrten sie ihr Verhalten an der
algerisch-tunesischen Grenze an, wo sie interne Gegner nach einem
kurzen Prozess hingerichtet hatten. "Wir, die Palaestinenser,
sagten: das wird in unserer Bewegung nie passieren, berichtete
mir ein alter palaestinensischer Funktionaer. Und tatsaechlich,
um zu verstehen, was nun in den Palaestinensergebieten geschieht,
muss man verstehen, dass dies ein einstimmiger nationaler
Beschluss ist: einen Buergerkrieg um jeden Preis zu vermeiden.
Dieser Entschluss ruehrt von einem palaestinensischen Trauma her.
1936 brach die "arabische Rebellion" als Folge der verstaerkten
juedischen Immigration aus, weil die Araber merkten, dass ihnen
tatsaechlich das Land unter den Fuessen weggezogen wurde. In
einem verzweifelten Versuch, ihre nationale Existenz zu sichern,
riefen sie einen Generalstreik aus, der in eine bewaffnete
Rebellion muendete. Der Anfuehrer, Haj Amin al-Husseini,
Grossmufti von Jerusalem, benuetzte die Gelegenheit, saemtliche
Oppositionelle in seinem Machtbereich auszuschalten. Wer seine
Vorherrschaft nicht anerkannte, wurde ermordet. 1947, nach der
Gruendung Israels, hatten die Palaestinenser keine wirkliche
nationale Fuehrung.

Nun moechte Ariel Sharon Arafat dazu bringen, einen Buergerkrieg
zu beginnen. Das ist die Bedeutung seiner Forderung, dass Arafat
die Hamas- und Jihad-Anfuehrer liquidieren und ihre Institutionen
zerstoeren soll. Sharon erwartet, das Hamas und Jihad sich
raechen und die Vertreter der Autonomiebehoerde ermorden werden.
Das gegenseitige Toeten wuerde den palaestinensischen Kampf
beenden, vielleicht fuer immer.

Weder Arafat noch seine Gegner haben die Absicht, Sharons
Hoffnungen zu erfuellen. In seiner Rede an die Nation erklaerte
Arafat die fortgesetzten Angriffe auf die Israelis als schaedlich
fuer die nationalen Interessen des palaestinensischen Volkes. Die
meisten Palaestinenser verstehen, dass Arafat recht hat. Hamas
und Jihad sind anderer Meinung, wollen aber nicht in einen
Buergerkrieg gezogen werden. Daher kam es zu einem "dramatischen
Rueckgang" der Angriffe.

All dies erinnert an eine aehnliche Phase in der juedischen
Geschichte unmittelbar vor der Entstehung des Staates Israel.
Nach der Ermordung von Lord Moyne durch die Lehi [Anm.:
"Freiheitskaempfer Israels", eine der Untergrundorganisationen]
entschied Ben Gurion, die "Dissidenten" an die britische Polizei
auszuliefern, die sie folterte und sie dann in ein Lager in
Afrika ueberstellte. Manche Irgun-Kaempfer [Anm.: "Nationale
Militaerorganisation", eine andere Untergrundorganisation] wurden
durch Ben Gurion's Palmah an die Briten ausgeliefert, andere
wurden von den Briten selbst gefangen mit Hilfe Ben Gurions.
Diese Episode wurde "Saison" genannt - gemeint war die
Jagdsaison. Wenn zu dieser Zeit kein blutiger Buergerkrieg
ausbrach, so war es Irgun-Fuehrer Menachem Begin zu verdanken,
der entschlossen war, einen Bruderkrieg um jeden Preis zu
vermeiden: Irgun-Kaempfern wurde befohlen, nicht auf die
Palmah-Kaempfer zu feuern, wenn sie kamen, um die Irgun-Kaempfer
zu kidnappen. Ben Gurion spielte ein komplexes Spiel: Zu einer
Zeit ordnete er die "Saison" an, zu anderen Zeiten koordinierte
er die Aktionen von Haganah, Irgun und Lehi. Er benuetzte
Diplomatie und Gewalt abwechselnd und in unterschiedlicher
Dosierung. Tatsaechlich nutzte er die Aktivitaeten von Irgun und
Lehi fuer seine eigenen Zwecke.

Arafat tut genau dasselbe. Solange es Hoffnung gibt, einen
Palaestinenserstaat durch friedliche Mittel zu erreichen und eine
Konfrontation mit den Amerikanern vermieden werden muss,
verhindert er die Aktionen der "Dissidenten". Wenn diese Hoffnung
schwindet, gibt er ihnen gruenes Licht. All dies passiert in
gegenseitigem Einverstaendnis. Entgegen dem Bild, das von ihm in
Israel gezeichnet wird, ist Arafat kein brutaler Diktator. Im
Gegenteil, manche seiner Unterstuetzer klagen ihn an, zu
nachgiebig zu sein, Verrat nicht zu raechen und die nicht zu
bestrafen, die der palaestinensischen Sache schaden.

Er folgt einer alten arabischen Tradition: der "Ijmaa":
Entscheidung durch allgemeines Einverstaendnis. (Die Alten jedes
Stammes sitzen und diskutieren einen Streitfall solange, bis
jeder einzelne ueberzeugt ist und die vorgeschlagene Entscheidung
unterstuetzt).

Das ist seine Art, die Gewalt zu beenden: Die Palaestinenser
werden nicht Selbstmord durch Buergerkrieg begehen. Sie koennen
nur ueberzeugt werden, den gewalttaetigen Kampf zu beenden, wenn
sie sehen, dass ihre nationale Existenz durch friedliche Mittel
gesichert werden kann. Und in der Zwischenzeit werden sie Waffen
sammeln...

*Uri Avnery*
in Ma´ariv am 5.1.02 via Gush Shalom/MUND, Uebers: akin/gek.


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