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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Jaenner 2002; 14:28
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Bildung/Glosse:

> Weniger ist oft mehr
Lernen ist nicht nur in der Schule moeglich

In der Hitze des spaeten August 2001 blieb eine Meldung
unbemerkt, die viel  Beachtung verdient haette: Die
oesterreichischen Schueler zwischen 12 und 14  Jahren verbringen
in diesen drei Schuljahren insgesamt 3407 Stunden in ihren
Klassenzimmern: Bedeutend mehr als ihre Kollegen aus allen
anderen  europaeischen Laendern. Finnische Schueler dieses Alters
muessen hingegen nur  2222 Unterrichtsstunden besuchen !

Die Ueberraschung ueber diesen Unterschied in der
Unterrichtsdauer (ca. 50%  mehr Stunden fuer unsere Schueler im
Vergleich zu den Finnen !) wird noch  gesteigert durch die
Ergebnisse der PISA-Studie der OECD, die alle drei  Jahre
Schueler-Leistungen vergleicht: Gerade die Finnen sind am Ende
der  Schulpflicht in den Bereichen Mathematik und
Naturwissenschaften europaeische  Spitze, in der
Schluesselqualifikation "Lesen - Erfassen von Texten" sind sie
"mit Abstand" die Besten - und zwar aller OECD-Staaten! Der
Punkteabstand  zwischen den Finnen und den zweitplazierten
Kanadiern ist so gross wie der  zwischen den Kanadiern und den am
achten Platz gereihten Japanern.  Ausdruecklich stellt die Studie
fest, dass Finnland nicht nur die besten Leser  habe, "sondern
auch die groesste Gruppe von Jugendlichen mit hoher  Lesefreude".

Fuer dieses finnische Ausbildungs-Wunder wird es sicher ein
Buendel von  Gruenden geben. Aber ein Umstand faellt auf, ueber
den nachzudenken sich lohnen  duerfte: In Finnland wird mit
geringster Unterrichtszeit das beste Ergebnis  erreicht - und
damit bestaetigt, was sich offiziell niemand zu sagen getraut:
Lernen hat viel weniger mit Unterricht zu tun, als uns
Schullobbyisten  weismachen wollen.

Natuerlich unterstuetzt Unterricht das Lernen, aber wir erwerben
den groessten  Teil unseres Wissens ausserhalb der Schule.

Auch wenn Oesterreich in der oben erwaehnten PISA-Studie relativ
gut  abgeschnitten hat, ist das Ergebnis im Verhaeltnis zum
Unterrichtsaufwand  nicht befriedigend. Oesterreichs Schulen
wirken oft wie Aufbewahrungsstaetten,  in denen Jugendliche so
sehr mit Unterricht zugeschuettet werden, dass sie zu  Hause zu
erschoepft sind, um noch wirklich zu lernen.

Wenn man Schueler fragt, warum sie den Unterricht immer wieder
"schwaenzen",  antworten sie offenherzig: "Ich muss lernen.
Uebermorgen habe ich eine  Pruefung." Wirkliches Lernen ist
offensichtlich nur zu Hause oder gemeinsam  mit Kollegen
moeglich - der Unterricht stoert da nur. Und sie tun gut daran.
Sie lernen so, sich ihre Informationen aus verschiedenen Quellen
(Buecher,  Lern-Software, Internet, Wissen der Kollegen und
anderer Bezugspersonen)  selbst zu besorgen und erringen so die
Faehigkeiten, die alle modernen  Lerntheoretiker von der Schule
bisher vergeblich eingefordert haben:  Kompetenz zum
selbstgesteuerten Lernen.

Technologisch fuehrende Nationen auferlegen ihren Jugendlichen
eine deutlich  geringere Unterrichtszeit als wir, einige deutsche
Bundeslaender gehen daran,  das bisher angeblich so
unverzichtbare 9. Gymnasialjahr zu streichen. Viele  beginnen ein
Studium (mittels der Berufsreifepruefung oder der
Studienberechtigungspruefung), ohne jemals eine Mittelschule von
innen  gesehen zu haben.

Den Praesenzunterricht auf allen Schulstufen zu reduzieren,
haette daher nur  positive Folgen. In der gymnasialen Oberstufe
(7. / 8. Klasse) sollten die  Schueler weniger unterrichtet, eher
in ihrem Lernfortgang betreut werden.  Zwei Massnahmen, die
Kosten senken und die Schueler freimachen koennten zu  bewusstem,
kreativem Lernen.

*Heinz Kohlhammer*
Gastkommentar in der "Presse" vom 3.1.2002
Der Autor ist AHS-Lehrer und unterrichtet an einem Abendgymnasium
in Graz.
Quelle:
URL W³.diepresse.at


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