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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. Jaenner 2002; 14:28
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Asyl/Sozial:

> Offene Weihnachtsbotschaft an Innenminister Strasser> Offene Weihnachtsbotschaft an Innenminister Strasser
Wien, 24. Dezember 2001

Sehr geehrter Herr Minister! Wir haben Sie in einem per Email
uebermittelten Schreiben am 18. Dezember 2001 auf die Missstaende
in der Bundesbetreuung hingewiesen. Wir haben davor gewarnt, dass
schutzsuchende Menschen, denen der Staat die Aufnahme verweigert,
erfrieren koennten. Gleichlautende Schreiben, die Sie an Ihre
Verantwortung erinnerten, haben Sie auch von anderen
Nichtstaatlichen Organisationen, so dem Evangelischen
Fluechtlingsdienst, und von einzelnen Persoenlichkeiten erhalten.

Unsere Schreiben wurden von subalternen MitarbeiterInnen der
Buergerdienst- und Auskunftsstelle Ihres Hauses beantwortet. Zu
unserem Erstaunen lesen wir in diesen Antwort-Mails, dass eine
"generelle Aufnahme aller Antragsteller nicht moeglich" sei, dass
aber immerhin "Alte, Kranke, Frauen oder Kinder" als "Grenz- oder
Haertefaelle" eingestuft werden koennten, fuer die Sie
"humanitaere Loesungen zu erarbeiten versuchen".

Wie guetig von Ihnen. Also nicht einmal fuer die am meisten
Schutzbeduerftigen, fuer Alte, Kranke, Frauen und Kinder, sehen
Sie den - von der gesamten Zivilgesellschaft geforderten -
Rechtsanspruch auf soziale Grundsicherung vor. Selbst diese
verzweifelten Menschen sollen von der Gnade Ihrer Beamtenschaft
abhaengig sein.

Ihre PostbeantworterInnen behaupten auch, "im Sinne der gerechten
Hilfeleistung" sei es "dem Bundesministerium fuer Inneres aber
keinesfalls moeglich, jener nicht unbetraechtlichen Anzahl von
Personen Unterstuetzung einzuraeumen, die mit unwahren oder
unvollstaendigen Angaben - insbesondere zu ihrer Identitaet oder
ihrer vorgegebenen Hilfsbeduerftigkeit - versuchen, in die
Bundesbetreuung zu gelangen."

Glauben Sie wirklich, irgend jemand, der es gar nicht noetig hat,
taeuscht Hilfsbeduerftigkeit vor, nur damit er ins Lager
Traiskirchen kommen darf? Meinen Sie ernstlich, dort ist es so
toll? Meinen Sie, jemand, der nicht hilfsbeduerftig ist, moechte
unbedingt dorthin?

Oder glauben Sie, die Tausenden, die alljaehrlich die kirchlichen
Notquartiere bevoelkern, weil ihnen die Bundesbetreuung
verweigert wurde, schwimmen in Wirklichkeit im Geld? Oder was
sonst stellen Sie sich vor, wenn jemand in Ihrem Auftrag so etwas
schreibt?

Wissen Sie, warum Fluechtlinge ihre Identitaet nicht nachweisen
koennen? Weil sie auf der Flucht ihre Papiere verloren haben;
oder weil sie ihnen weggenommen wurden; oder weil sie im Krieg
verbrannt sind; oder weil sie sie nicht mitnehmen konnten auf der
Flucht und sie auch nicht nachschicken lassen koennen, weil Krieg
ist und die Post nicht funktioniert. Oder auch: weil sie immer
noch Angst haben vor den Verfolgern und aus Angst nicht sagen,
wer sie sind. Haben alle diese Menschen keinen Anspruch auf ein
Dach ueber dem Kopf?

Wissen Sie, dass der Schutz der Menschenrechtskonvention absolut
ist? Dass er auch "undokumentierte" Menschen schuetzt? Menschen,
deren Identitaet nicht feststeht, weil ihnen der Fetzen Papier
fehlt, der sie nach Meinung mancher Beamter erst zu Menschen
macht? Die aber trotzdem den Hunger und den Frost genauso spueren
wie jeder "dokumentierte" Mensch?

Wissen Sie, dass der Verwaltungsgerichtshof in staendiger
Rechtsprechung feststellt, dass "das Feststehen der Identitaet
keine besondere gesetzliche Voraussetzung fuer die Gewaehrung von
Abschiebungsschutz" ist (so etwa 99/20/0465-6 vom 25.11.1999,
u.a.m.)? Dass also auch "undokumentierte" Fluechtlinge nicht
dorthin abgeschoben werden duerfen, wo ihnen Folter oder
unmenschliche Behandlung droht?

Meinen Sie nicht, dass das Gleiche auch fuer die Aufnahme in die
Bundesbetreuung zu gelten hat? Oder glauben Sie, die Verweigerung
elementarster Beduerfnisse wie Essen, Trinken und Waerme sei
keine so schlimme Grundrechtsverletzung wie die Abschiebung in
ein Folterland?

Das Recht, zu leben, das Recht, nicht zu hungern und zu frieren,
ist ein elementares Menschenrecht, ueber das auch Ihr Haus, Herr
Minister Strasser, auf die Dauer sich nicht hinwegsetzen kann.

Frohe Weihnachten!

*Michael Genner*, Asyl in Not (gek.)



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