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Aussendungszeitpunkt:  Dienstag, 11. September 2001;
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Kosovo:

>Von theoretischen Stromrechnungen und praktischen Fuehrerscheinen


Ein balkanisches Tagebuch, Teil XIV

ANDREAS JORDAN ist wieder unterwegs auf dem Balkan  - als Wahlorganisator im Kosovo
fuer die OSZE. Und so nebenbei versorgt er auch wieder die akin mit seinen
Geschichten und Geschichterln aus einer geographisch nicht einmal so fernen Gegend...

*

Meine Arbeitstage als Wahlvorbereiter hier im Kosovo sind recht umfassend (12 bis 13
Stunden) und finden sechsmal die Woche statt. Das beginnt damit, vor halb acht im
Buero zu sein, um das ganze "sensitive Material" (= die CD-ROM mit dem
Waehlerverzeichnis, die ich staendig bei mir am Koerper zu tragen verpflichtet bin,
sowie die durchnumerierten Registrierformulare und Stempel - die muss ich zum Glueck
nicht allzeit an mir haben -) sowie die diebstahlsgefaehrdete, teure, Ausruestung
(Laptop, Drucker, Generator) in den Gelaendewagen zu verladen, mein Team (drei Frauen
und den Fahrer) auf Vollzaehligkeit zu ueberpruefen und loszufahren. (Den Uebersetzer
werden wir unterwegs aufsammeln.)

Aus Prizren hinauszukommen, ist schon ein kleines Abenteuer: im Morgenstau durch die
engen Gassen des alten Zentrums, wo auf den Gehsteigen ueberall Standler ihre
Steigerln aufgebaut haben und ergo alle Fussgaenger auf der Strasse gehen (auf der
Strasse gehen sie sowieso ueberall, an anderen Orten halt deshalb, weil alle
Gehsteige zugeparkt sind). Das Abenteuer steigert sich beim Verlassen der Stadt, in
der Tempo 40 gilt (vorgestern hab ich erstmals Radar gesehen): Ich habe in meinem
Leben selten (vielleicht in Albanien, und Lima war auch nicht ohne!) so schlechte und
ruecksichtslose Autofahrer gesehen. Es wird geschnitten, in unuebersichtlichen
Bergauf-Rechtskurven so riskant ueberholt, dass man alle paar Kilometer nur
haarscharf an einem Frontalzusammenstoss vorbeikommt. Gut, es sind viele Traktoren
unterwegs auf dieser Fernverkehrsstrasse, auch Pferdefuhrwerke, und eine Menge
"Kosovo-Harleys", wie sie spoettisch genannt werden, das sind zweiraedrige Fahrzeuge,
die wie ueberdimensionale Rasenmaeher aussehen und auch so klingen, die in eine lange
Gabel auslaufen, an der sich nach Art eines Motorrades die Steuerung befindet, und
dahinter sitzt der Fahrer auf einem offenen Sitz; dieses Vehikel zieht, unaehnlich
seinem Namensverwandten, normalerweise mit 10 - 12 km/h einen zweiraedrigen
Anhaenger, beladen mit Melonen, Baumaterialien oder auch Familienangehoerigen. Klar,
dass diese Fahrzeuge das Verkehrstempo reduzieren

Warum DERMASSEN schlecht gefahren wird im Kosovo (frueher war das angeblich nicht so;
aber frueher waren bekanntlich ja auch die Kinder braver, und die Ochsen hatten
groessere Koepfe), hat eine einfache Erklaerung, das heisst, sogar zwei: Die erste:
Die serbische Verwaltung hat in den Jahren vor '99 im Kosovo keine Fuehrerscheine
ausgestellt, auch wenn man hundertmal mit Erfolg eine Fahrschule besucht hatte. Da es
aber staendig Verkehrkontrollen inclusive Schikanen durch die serbische Polizei gab,
schuf die draengende Nachfrage ein Angebot: Die Fuehrerscheine wurden in einer
Faelscherwerkstaette produziert. (Im allgemeinen waren das "ehrliche" Faelschungen,
also mit den KORREKTEN Daten der Person auf dem gefaelschten Formular.) Natuerlich
kamen so auch Leute zu Fuehrerscheinen, die auf regulaerem Weg nie einen gekriegt
haetten. - Und die zweite Erklaerung: Bekanntlich haben die serbischen Soldaten und
Polizisten bei den Vertreibungen 1999 den meisten Leuten ihre Dokumente abgenommen
und vernichtet. Und jeder Idiot, der sich ein Auto leisten kann, moege er fahren
koennen oder nicht, kann sich heute, wenn er von der Polizei gestoppt wird, darauf
ausreden, sein Fuehrerschein sei 1999 zerstoert worden. Unmoeglich, ihm das Gegenteil
zu beweisen - es existieren keine Karteien, wer jemals zu Zeiten der serbischen
Verwaltung einen Fuehrerschein ausgestellt erhielt.

Nach einer halben Stunde biegen wir ueber eine Bruecke von der Fernverkehrsstrasse ab
auf eine Piste, die uns durch kleine Doerfer der Has-Region zu unserer Destination
fuehrt. Ab hier wird es idyllisch - die Kinder am Strassenrand winken allen Autos
nach, so viele sind es hier ja nicht. Es ueberwiegen die einfachen hoelzernen
Fuhrwerke, die in Polen wohl "Panjewagen" heissen wuerden, gezogen von schoenen,
gutgenaehrten, quastengeschmueckten Pferden (nicht solche abgemagerten Krewecherln
wie in Albanien drueben), und auch "Kosovo-Harleys" und Traktoren kommen uns
gelegentlich entgegen. Heute ist Markttag in Rogovo, d.h. Durchqueren des Ortes im
halben Schritttempo zwischen Standeln, Menschen, Kaelbern und Fuhrwerken. Auch
jenseits des Ortes viel Verkehr, ganze Familien auf ihren Pferdewagen und Traktoren,
auch in einzelnen Autos, die alle dem woechentlichen Markt zustreben. Bilder, wie ich
sie aus Erzaehlungen der Zwischenkriegszeit kenne, Fuhrwerke, hoch beladen mit
Melonen, oder mit einer Kuh drauf, der Bauer im besten Gewand, die Baeuerin in der
typischen Has-Tracht, die Kinder geschneuzt und gekampelt, unterwegs zum Hoehepunkt
der Woche. Irgendwo dann ein die Piste entlang auf uns zugaloppierender
Wasserbueffel - hinterher laeuft ein kleiner Bub mit einem Steckerl in der Hand. Ob
die auch zum Markt unterwegs sind? Am Fluss eine Kuhherde, die an der Furt zur
Traenke getrieben wird. Ein Stueck oberhalb weitere Wasserbueffel mit ihren flachen,
wie zurueckgebuegelt wirkenden Hoernern zwischen rostigen Autowracks, die im Schlamm
versinken - wobei erstere dabei zweifelsohne mehr in ihrem Element sind als letztere.
An der Furt stehen diverse Pferdefuhrwerke, auch ein Wagen mit zwei vorgespannten
Ochsen - die Leute fuellen Wasserfaesser, die sie dann kilometerweit in ihre Gehoefte
transportieren. Ein paar Halbwuechsige hockerln am Wegrand, jeder vor vier oder sechs
Wassermelonen - offensichtlich Melonenverkaeufer, mitten im Nirgendwo. Ich will eine
Melone kaufen, wir bleiben stehen: Der Verkaeufer weigert sich standhaft, Geld dafuer
zu nehmen, wir erhalten sie geschenkt. (Vergleichbares ist mir zwei Tage vorher in
Prizren passiert, als ich in der Frueh einen Kilo Paradeiser kaufen wollte.) Die OSZE
(das Logo pickt ja unuebersehbar allseitig am Auto) muss sagenhaft beliebt sein
hier... Obwohl, dass wir hier an der Wahlvorbereitung arbeiten, hat sich sicher schon
herumgesprochen, und es ist einfach das erstemal seit ueber einem Jahrzehnt, dass die
Leute die Gelegenheit zu freien, fairen Wahlen haben werden... - Nach dem Fluss
biegen wir in einen Feldweg ein, der nur passierbar ist, wenn es mindestens zwei Tage
nicht geregnet hat - dieser Abschneider spart uns einige Kilometer. (Ja, ueber diesen
Weg fahren taeglich mindestens einige Traktoren, wie man an den stets frischen Spuren
erkennen kann - also keine Minengefahr.)

Auf den Feldern waechst die mesoamerikanische Trinitaet: Kukuruz, an dessen Stengeln
sich Bohnen emporranken, und zwischen den Reihen Kuerbisse, deren breite Blaetter den
Boden decken und so die Austrocknung vermindern. In Mexiko wird diese Kombination
(drei, vier Koerner Kukuruz, zwei Bohnen, ein Kuerbiskern in jedes Pflanzloch)
haendisch gesaet in die Loecher, die mit der Coa, dem zugespitzten Pflanzstock,
gestochen werden. Aber hier? - Die Reihen sind viel zu gerade, um haendisch gesaet zu
sein - wahrscheinlich macht die Arbeit hier der Traktor, und die Bohnen und Kuerbisse
werden hinterher gepflanzt. An Produkten bietet die Gegend noch Paprika, einem
Grundnahrungsmittel der Region und gemeinsam mit Kraut (Sarma) das einzige
Vitaminhaltige, was fuer den Winter eingemacht werden kann, und Wassermelonen.

Bei einem Friedhof treffen wir wieder auf die Hauptpiste. Den Friedhof erkennt man
als einen Eichenhain am Hang (heiliger Boden, da wird nicht geschlaegert), und die
Graeber darunter sind anhand von schraeg aufgestellten, unbeschrifteten und
unbearbeiteten Natursteinplatten kenntlich.

Stein ist auch das dominierende Element der aelteren Bauwerke in den Doerfern - die
Waende der Kullas sind aus Stein errichtet, die Daecher sind mit sich ueberlappenden,
flachen Steinplatten gedeckt, und sogar die Rauchfaenge sind aus Stein, mit kleinen
Steinhaeubchen oben drauf, damit's in den Kamin nicht hineinregnet. Eine Kulla muss
man sich vorstellen in der Mitte zwischen dem Stall in den herkoemmlichen
Weihnachtskrippen-Darstellungen, einer romanischen Kirche (steinerne
Rundbogenfenster) und einer Burg. Tatsaechlich ist "Familien-Wohnburg" wohl die beste
Uebersetzung dafuer - traditionelle Architektur aus Zeiten der Blutrache (die hier in
der Gegend ja bis heute existiert), ein festungsaehnliches Anwesen, dessen
fensterloses Erdgeschoss als Lagerraum oder Stall dient, waehrend der erste Stock nur
kleine Fenster hat, nicht viel mehr als Schiessscharten, und der schoene, helle Raum
mit den steinernen Rundbogenfenstern im 2.Stock liegt. (Das ist das beheizbare
"Winterzimmer" oder der Gaesteraum.)

Als wir uns "unserem" Dorf naehern, ueberqueren wir zuerst eine weite, grasbestandene
Ebene, eine Art ausserhalb gelegenen Dorfanger: Kuehe, Schafe, einige Pferde und ein
paar schwarze Wasserbueffel weiden dort, gehuetet von ein paar Hunden, und rund zwei
Dutzend Kindern. Kaelber huepfen herum, Kuhglocken bimmeln, Kinder spielen eine Art
rurales Baseball mit einem abgenagten Kukuruzkolben als Ball und einem Stecken als
Schlaeger. Der "Ort" ist eine Streusiedlung aus einigen wenigen alten Kullas und dem
Rest aus neuerbauten Hohlziegelhaeusern. Ob der offensichtliche Bauboom, der seit
zwei Jahren im ganzen Kosovo herrscht, mehr auf die vorherigen Zerstoerungen durch
den Krieg oder mehr auf die nunmehrige relative Investitionssicherheit fuer die
jahrelang im Ausland verdienten Gelder kosovoalbanischer Arbeitsmigranten
zurueckzufuehren ist, habe ich noch nicht herausgefunden - vermutlich spielt beides
eine gleichermassen wichtige Rolle.

Der Weg zur Schule hinunter, unserem Voter Service Center, das ausserhalb des Dorfes
liegt, - die letzten 200 m - sind bei Regen unpassierbar und wir muessen das ganze
Material vom Auto zur Schule und zurueck tragen. Zum Glueck regnet es hier im
Hochsommer nicht so oft... Wie das allerdings bei den Wahlen (17.November) hier
funktionieren soll, ist mir noch nicht wirklich klar.

Von meinem Arbeitsplatz aus in einem der Klassenzimmer (die Schule wurde von den
Deutschen wiederaufgebaut, so wie die Volksschule im Nachbarort von der Gemeinde
Wien) sehe ich auf die Berge, ueber deren Kamm die Grenze zu Albanien verlaeuft.
(Zumindest seit dem 2.Weltkrieg; in der Zwischenkriegszeit gehoerte das Gebiet
zwischen der jetzigen Grenze und dem Weissen Drin, den wir vor einer guten halben
Stunde ueberquert haben, also dieser Teil der heutzutage kosovarischen Haelfte der
Region Has, zu Albanien.)

Auf dem hoechsten Gipfel, 1600 oder 1700 m wird er wohl hoch sein, liegt das Grab des
Derwisch-Heiligen Baba Pashtrik, der, wie die Legende berichtet, einst einen Drachen
getoetet haben soll. Der Tradition folgend, wallfahrtet die Bevoelkerung des Dorfes
jedes Jahr einen Monat lang taeglich zu dem Grab hoch - seit zwei Jahren allerdings
nicht mehr, wegen der Minen. Meine Arbeit besteht darin, den Leuten, die entweder bei
den letztjaehrigen Gemeinderatswahlen noch nicht registriert waren oder aber
uebersiedelt, seit vorigem Jahr grossjaehrig geworden etc. sind, ein Wahllokal
zuzuteilen, wenn sie bestimmte Auflagen erfuellen, d.h. das ist eigentlich die Arbeit
meines TEAMS, und ich habe das zu kontrollieren, den korrekten Ablauf des Prozesses
zu garantieren und in Zweifelsfaellen (Gueltigkeit von Dokumenten etc.) zu
entscheiden. Das ist oft gar nicht so einfach: wie erbringt man den Nachweis der
Wohnhaftigkeit in einem Land, in dem kein geregeltes Meldewesen existiert? Per
Stromrechnung, zum Beispiel, sagt mein Handbuch. Nur, das ist schwierig in Doerfern,
wo es keinen Strom gibt. D.h. THEORETISCH gibt es NATUERLICH Strom, aber PRAKTISCH
meistens nicht. (Aus diesem Grund schleppen wir auch staendig Generator und
Benzinkanister mit uns herum, um den Computer betreiben zu koennen.) Und die Chuzpe,
fuer dieses Nicht-Angebot Rechnungen zu legen, haben die Behoerden (zumindest hier)
nicht, was eh fair ist.

Ein weiteres Problem sind die Analphabeten, die hier hauptsaechlich AnalphabetINNEN
sind. Bei Menschen (Maennern wie Frauen) zwischen 60 und 70 versteh ich das ja, die
waeren gerade in die Schule gegangen, als hier der 2.Weltkrieg gewuetet hat, aber
dass auch juengere Menschen, besonders Frauen, nicht in der Lage sind, ihren Namen zu
schreiben, ist verstoerend. Die juengste Klientin, die ein Kreuz unter das Formular
gesetzt hat, war etwa zwanzig, die kann Lesen und Schreiben unmoeglich schon verlernt
haben, wenn sie je in die Schule gegangen ist. Eins ist offensichtlich: Auf die
Schulbildung von Toechtern wurde (wird?) weniger Wert gelegt -die heiraten eh
bald.... Aber auch der Anteil an (auch jungen) Maennern, deren Unterschrift aus
ungelenken Blockbuchstaben besteht, ist erstaunlich.

Mein Team besteht (der ethnischen Komposition Prizrens entsprechend) aus vier Leuten
mit albanischer Muttersprache und einer Kosovotuerkin. Von denen sind aber alle (bis
auf meinen Uebersetzer, der nicht Prizren selbst, sondern einem Nachbardorf
entstammt) zweisprachig (albanisch/tuerkisch), was auch wieder dem Standard von
Prizren entspricht. (Serbisch koennten sie natuerlich auch alle, wollen sie aber
nicht sprechen.) Die internationalen Organisationen, also primaer UN und OSZE,
stellen Mitarbeiter nach einem fixen ethnischen Schluessel an, und zwar nach dem der
letzten Volkszaehlung vor Milosevic. Weil es inzwischen aber viel weniger Serben als
damals hier gibt (je nach Quelle sind 80.000 bis 400.000 von hier geflohen), ist es
schwierig, den serbischen Anteil an anzustellenden Mitarbeitern mit Hiesigen
abzudecken, und so sind die meisten serbischen Mitarbeiter, zumindest die
Hoeherqualifizierten, aus Serbien selbst, aus Belgrad, Novi Sad oder sonstwoher,
sozusagen als Quotenserben. (Das hat als Begleiteffekt, dass mit ihnen sehr angenehm
zusammenzuarbeiten ist, weil sie weniger engstirnig-nationalistisch sind als die
HIESIGEN Serben und Albaner, einfach, weil sie an diesem Strudel von Gewalt und
Gegengewalt weder als Taeter noch als Opfer beteiligt waren.)

Die Schule, in der wir jetzt, waehrend der Sommerferien, arbeiten, ist auf drei
Seiten von einem riesigen Kukuruzfeld, saeuberlich aufgeteilt in kleinere Parzellen,
umgeben - sicher die beste Anbauflaeche des Dorfes. Und um die vazierenden
Rindviecher draussenzuhalten, ist das ganze Feld inclusive der Schule von einem
Flechtzaun aus Aesten umgeben. Betreten wird das Gelaende (sogar waehrend des
Schuljahres) ueber eine Art dreistufige Leiter, die auf der einen Seite des Zauns
hoch - und auf der anderen hinabfuehrt. Weil wir Generator etc. nicht ueber diese
Leiter schleppen wollen, oeffnen wir ein Tor aus zusammengebundenen Baustahlgittern,
um bis direkt vor das Gebaeude fahren zu koennen. Das haben wir bisher jeden Tag
getan, heute sind aber erstmalig etliche Kaelber durch das Tor eingedrungen, stehen
im Feld, fressen Kukuruzstauden und fuehlen sich offensichtlichg sehr wohl. - Die
Menschen hier sind arm, dieses Feld hier (unter anderm) ist ihr taeglich Brot, und es
geht nicht an, dass sie aufgrund unserer Anwesenheit Schaden nehmen, denke ich, bevor
ich zum Besen greife, um die Rindviecher aus dem Feld zu scheuchen. Auf die
Aufforderung, mir doch dabei zu helfen, reagiert mein Team in keiner Weise, man merkt
deutlich ihre Haltung: "Dafuer sind wir nicht angestellt." - Stadtpflanzen eben, ein
bisschen (oder noch mehr) hochnaesig gegenueber den abgearbeiteten Dorfbewohnern in
ihren geflickten Hosen und mit dem verschwitzten Pliss auf dem Kopf (traditionelle
albanische Kopfbedeckung aus weissem Filz in Form einer Kalotte, die sogar bei der
groessten Hitze getragen wird). - Es bleibt also an mir haengen, die Kaelber aus dem
Feld und zurueck durchs Tor zu scheuchen , aber danach bekommen meine
MitarbeiterInnen was zu hoeren.

Am Nachmittag kommt der Schulwart vorbei und bringt uns in einem riesigen, flachen
runden Blechgefaess etwas zu essen vorbei. Was auf den ersten Blick wie ein
Mega-Baklava aussieht, ist tatsaechlich um einiges schlichter: Duenne Teigfladen aus
Wasser und (Kukuruz?-)Mehl gebacken und uebereinandergelegt, mit je einer duennen
Schicht Oel dazwischen, und das ganze nochmals ueberbacken, mit einer symbolischen
Schicht Kaese darueber. Das Ganze erinnert in seiner Kargheit an die Nahrung der
Holzknechte und Bergbauern seinerzeit in Oesterreich, den Sterz aus Wasser und Mehl,
mit Schmalz in der Pfanne gebacken, und ist ein klassisches Gericht der Region, das
in seiner opulenteren Variante mit Honig oder Kaese zwischen den Teigschichten
serviert wird - was wir hier angeboten kriegen, ist aber die Armeleuteversion. Sie
sind also WIRKLICH arm hier - dem Gast wird ja immer das Beste serviert. Mein Team
kostet einmal und lehnt dann dankend ab. Mir ist das ganze ziemlich unangenehm -
etwas uebrigzulassen, waere eine grobe Unhoeflichkeit, ja eine Beleidigung, soweit
bin ich mit albanischen Gepflogenheiten inzwischen vertraut. Und als Supervisor bin
ich halt der letzte, den die Hunde beissen - ich lass mir's unter lobenden
Bemerkungen einpacken, "um diese lokale Spezialitaet meinen Freunden in Prizren zu
servieren." (Die naechsten beiden Tage werde ich daran essen)

Bis um sechs Uhr abends ordinieren wir also in der Schule, unterbrochen von einer
Stunde (theoretischer) Mittagspause, waehrend der wir Mitgebrachtes muemmeln, es gibt
weitum kein Ausspeisungsetablissement, dann wird zusammengepackt, der Wagen beladen,
nach Prizren zurueckgekehrt. Dort, im OSZE-Buero, ist dann noch mancherlei Papierkram
zu erledigen, und bis ich aus dem Buero komme, ist es im allgemeinen acht, halb neun.
Und das von Montag bis Samstag. Wenn man bei der OSZE der Demokratie dient, dient man
ihr eigentlich ganz schoen lange pro Woche.

Heute begleitet mich auf dem Nachhauseweg wieder einmal die Dunkelheit des fast
allabendlichen Stromausfalls. (Der Kosovo liegt doch fast 1000 km suedlich von Wien,
somit wird es hier schon bedeutend frueher finster.) Nicht alle Aktivitaeten werden
dadurch behindert: Auf einem freien Stueck Uferpromenade am Fluss tanzen etwa zwanzig
Leute einen traditionellen Rundtanz und winken die Vorbeikommenden in ihren Kreis.
Die Liveband, zwei Musiker, spielen im Lichtschein der beleuchteten Auslage einer
Fleischhauerei, die offensichtlich ueber einen Generator verfuegt. Drinnen steht der
Fleischer, in Unterleiberl und mit weisser Schuerze, und sprueht mit einer (ohne
Uebertreibung!) halbmeterlangen Insektenspraydose wild herum.

Und die letzte Ueberlegung des Tages in meinem Drei-mal-drei-Meter-Kellerzimmer, das
mir mein freundlicher Unterkunftgeber "inklusive Strom" (den es die halbe Zeit nicht
gibt) um 510 DM pro Monat vermietet, ist, waehrend ich einzuschlafen versuche, dass
die Nachbarn, im Gegensatz zu meinem Hausherrn, offensichtlich mit einem Generator
ausgestattet sind .Fuenf Meter von meinem Kellerfenster weg steht eine der beiden
Boxen, die schon die ganze Woche allabendlich eine Runde von zwoelf oder fuenfzehn
Menschen beim Tanzen zu traditioneller albanischer und tuerkischer Musik in
Disco-Lautstaerke unterhalten. Ich will ja kein Spassverderber sein, aber vor zwoelf
oder halb eins haben sie noch nie Schluss gemacht, ja, Laerm ist (genauso wie etwa
Dreck) einfach kein Thema im Kosovo, und ich denk dran, dass ich morgen wieder um
halb sieben aufstehen muss.... (Und trotz allem, es gibt das Gefuehl von
Sinnhaftigkeit und macht auch Spass, hier an der Demokratisierung mitzuarbeiten! Wann
sonst kann man das schon jemals in so direkter Form?) *A.J.*


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