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Aussendungszeitpunkt: 20. Februar 2001 - 14:09
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Brasilien/Umwelt:

> Todesurteil fuer den Amazonas

Die bisher detaillierteste Studie ueber den weltweit groeszten
Regenwald kommt zum Ergebnis, dasz im Jahr 2000 moeglicherweise
nur mehr 5% seiner Flaeche unberuehrter Urwald sein werden.

Zu dieser pessimistischen Einschaetzung kommt eine Gruppe
brasilianischer und US-amerikanischer Wissenschaftler, die
untersucht haben, wie dieses sensible Oekosystem auf ein neues
Straszenbauprojekt reagieren wird, fuer das 40 Mrd. Dollar
veranschlagt sind. Zwar stellt Amazonien heute etwa 40% der
tropischen Regenwaeder der Erde, doch werde dieser Anteil in den
naechsten zwanzig Jahren infolge des ehrgeizigen
Entwicklungsprogramms Avan‡a Brasil, das den Bau von Straszen,
Eisenbahnlinien und Wasserkraftwerken vorsieht, dramatisch
abnehmen.

Die Wissenschaftler werfen der brasilianischen Regierung vor, das
Projekt zu beguenstigen, indem sie Umweltorganisationen -- und
sogar das Umweltministerium -- davon fernhaelt, wodurch sie dazu
beitrage, Holzeinschlag und Entwaldung zu beschleunigen. "Mit dem
Bau einer Strasze oder Autobahn wird eine Art Buechse der Pandora
geoeffnet, mit Folgen, die fuer die Regierung praktisch
unkontrollierbar sind", meint William Laurence vom in Panama
ansaessigen Institut fuer Tropenstudien. "Mit dem Bau einer
Strasze durch einen intakten Wald beginnt unweigerlich ein Prozesz
illegaler Kolonisierung, des Kahlschlags und der Zerstoerung des
Regenwaldes."

Das aus Wissenschaftlern des brasilianischen Instituts fuer
Amazonasforschung bestehende Team erstellte mit Computerhilfe
Modelle zur Vorhersage des Verlaufs der Waldzerstoerung, wobei es
sich darauf stuetzte, was Straszenbau und Ausbeutung in den
letzten 20 Jahren fuer den Regenwald bewirkt haben. "Wir haben die
Vergangenheit als Maszstab fuer die Zukunft benuetzt. Wir haben
das Netz aus Straszen und Autobahnen im Amazonas untersucht, um zu
sehen, wie die Entwaldung im Bereich neuer Straszen vor sich
geht", erklaert Laurance. "Bisher hat es keine Untersuchung
vergleichbaren Umfangs gegeben."

Die in der Zeitschrift Science veroeffentlichte Studie zeigt ein
optimistisches und ein nicht optimistisches Szenario, wobei in
beiden Faellen mit radikalen Veraenderungen zu rechnen ist. Die
weniger optimistische Variante rechnet damit, dasz im Jahr 2020
mehr als 95% des Amazonas ihren unberuehrten Charakter verloren
haben werden; 42% des Regenwaldes werden voellig zerstoert oder
stark geschaedigt sein. Auch den optimistischen Prognosen zufolge
wird ueber die Haelfte des Regenwaldes ihren unberuehrten
Charakter verlieren; 30% seiner Flaeche werden fuer immer verloren
gehen.

Schon heute verlaeuft die Zerstoerung im Amazonas mit dem Verlust
von fast 20.000 km2 pro Jahr rascher, als es jemals in einem
anderen Tropenwald der Fall war. Duch den Plan Avan‡a Brasil
werden die jaehrlichen Verluste um 14 bis 25% zunehmen, so die
Studie. "Die Zukunft des groeszten Regenwaldes der Erde steht auf
dem Spiel", versichern die Wissenschaftler.

Bis jetzt hat sich die Zerstoerung auf die suedlichen und
oestlichen Randgebiete des Regenwaldes konzentriert, doch wird der
Straszenbau den Holzfaellern den Zugang zu zentralen Gebieten des
Regenwaldes ermoeglichen. Weil sie den Regenwald in kleinere
Parzellen aufteilen, stellen Straszen den bei weitem
destruktivsten Aspekt der Ausbeutung des Regenwaldes dar.

Es gibt zwar auf nationaler und internationaler Ebene diverse
Bemuehungen zur Erhaltung des Regenwaldes -- darunter auch ein
Beitrag der reichsten Industrielaender (G7) in der Hoehe von 340
Mio. Dollar --, doch diese Bemuehungen seien "nichts im Vergleich
zu den derzeitigen und geplanten Aktivitaeten zu seiner
Ausbeutung", erklaeren die Wissenschaftler. Fuer diese
"Erschlieszung" sei im Zeitraum 2000-2007 ein Betrag von 40 Mrd.
Dollar vorgesehen. Unter den heutigen Bedingungen wuerden sich die
Bemuehungen um eine umweltvertraegliche Entwicklung des
brasilianischen Amazonas gegen die vorherrschenden
zerstoererischen Tendenzen nicht behaupten koennen.

Das Projekt Avan‡a Brasil verdiene besonderes Augenmerk, da es
sich um eine grosze Initiative handle, die grosze Gebiete der
Grenzregion des Amazonas fuer die Erschlieszung oeffnen werde,
erklaeren die Forscher. Es handle sich dabei um ein typisches
Beispiel der Planung von oben, wie sie heute im Amazonas ueblich
sei, mit riesigen Projekten, "die vorgeschlagen und gebilligt
werden, lange bevor die Kosten und Risiken fuer die Umwelt
abgeschaetzt werden koennen".

Die in der Studie verwendeten Computermodelle stuetzten sich auf
Satellitenaufnahmen des Regenwaldes. Als Folge der
Straszenbauprojekte werden, so Mark Cochrane,
Umweltwissenschaftler der Universitaet Michigan und Mitglied des
Forschungsteams, 3100 km2 Regenwald pro Jahr verloren gehen. "Wir
versuchen die Auswirkungen abzuschaetzen, was bisher nicht
geschehen ist, erklaert er. "Aus der Ferne betrachtet, wirken
diese Waelder intakt. Untersucht man sie aber aus der Naehe, sieht
man, dasz es immer weniger Lebewesen gibt und dasz sie sich
veraendert haben. Sie sind wie durchloechert. Durch diese Loecher
kann der Wald austrocknen und fuer Braende anfaellig werden."

Fuer den brasilianischen Oekologen und Wissenschaftler Carlos
Peres sind die Braende eine der schlimmsten Folgen des
Straszenbaus im Urwald: "Wo es eine neu Strasze gibt, nehmen die
Schlaegerungen zu, und damit steigt auch das Risiko von Braenden.
Diese sind besonders gefaehrlich, weil sie auch die Baumkronen
angreifen koennen. Dadurch koennte sich der Regenwald innerhalb
von zwei bis drei Jahrzehnten zu einer Savanne-aehnlichen
Landschaft entwickeln", erklaert er. "Wenn sich die derzeitigen
Tendenzen fortsetzen, wird sich die Umwandlung des Waldes noch
beschleunigen, und wir werden es mit einer sehr fragmentierten
Landschaft zu tun haben." Die Wissenschaftler schlagen vor,
Brasilien solle zur Rettung des Regenwaldes Kompensationszahlungen
seitens der entwickleten Laender akzeptieren. Dasz Brasilien das
abgelehnt hat, bezeichnen sie als "furchtbaren Irrtum".

Peres, der im Amazonas geboren wurde, ist pessimistisch in
Hinblick auf Avan‡a Brasil, gibt aber zu, dasz viele Brasilianer
seine Meinung nicht teilen. "Fuer andere symbolisiert die
Ausbeutung des Regenwaldes eine Zukunft in Wohlstand. Ich wuerde
es vorziehen, die Geschwindigkeit der Veraenderungen zu
verringern, doch viele meine Landsleute wollen das nicht."

Entnommen aus: El País, 21.1.2001; Uebersetzung und Kuerzung
Hermann Klosius
 

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